Das Buch habe ich vom Verlag als Rezensionsexemplar bekommen, man konnte sich per Mail bewerben, zehn Exemplare wurden als ebooks verteilt.
Da ich zuhause lieber physische Bücher in der Hand halte und das Cover eh so wunderschön finde, dass ich es mir gerne auch einfach mal so im Bücherregal anschauen möchte, habe ich € 10,00 aus eigener Tasche draufgelegt und mir die Taschenbuchausgabe zugelegt.
Fangen wir mal bei den Äußerlichkeiten an: Das Cover ist wunderschön gestaltet, sehr atmosphärisch und perfekt zum Inhalt des Buches passend – das klingt selbstverständlich? Ist es aber nicht. Ich habe schon Bücher gesehen, bei denen ich mich nach dem Lesen wirklich gefragt habe, wie Cover und Inhalt zusammen passen sollen.
Toll finde ich auch die Feder auf dem Buchschnitt, wahlweise in schwarz oder orange. Da ich mein Buch online bestellt habe, musste ich mich überraschen lassen und bekam eine schwarze Feder. Passt. 😉
Der Klappentext eine Mordserie in einem alternativen Hamburg. In dieser Welt gab es im Jahre 1913 ein fehlgeschlagenes Experiment, mehrere Kriege mit Amerika und den Wiederaufbau Europas durch die Saiwalo, eine Art überirdischer Wesen, die die Menschheit seit nun 120 Jahren regieren. Zudem war nicht Edison, sondern Tesla marktführend, was der Entwicklung der Technik eine deutlich andere Wendung gab als wir sie kennen.
Das alles klingt spannend und ich habe mich sehr auf dieses Buch gefreut!
Es beginnt auch gleich in medias res, Tavi, eine Phoenix, wie man schnell erfährt, ist auf der Flucht, und es gelingt ihr nur mit Mühe, die Drohnen, die sie verfolgen, abzuschütteln.
Tavi lebt mit ihrem Schützling Nathan zurückgezogen und gut verborgen vor den Saiwalo, die sie jagen und ihrer Habhaft werden wollen.
Auf der anderen Seite steht Leon, ein treuer Anhänger der Saiwalo und Mitarbeiter der Kontinentalarmee, der die Mordserie aufklären soll und dabei irgendwann unweigerlich auf Tavi stößt, die wiederum in diese Morde verstrickt ist. Er hält sie für die Mörderin, sie sieht in ihm vor allem den treuen Anhänger der Saiwalo. Dennoch müssen sie zusammenarbeiten, um den Mörder zu finden.
Was wirklich spannend klingt und eine tolle Hintergrundwelt bietet, ist leider, leider, in meinen Augen nur mäßig umgesetzt. Die Figuren bleiben blass, ich kann mich nicht recht in sie hineinversetzen, eine der Nebenfiguren verschwindet nach ca. 150 Seiten für den Rest des Buches und hat auch keine weitere Bedeutung mehr, eine andere stirbt, ohne dass es mich wirklich berührt hätte, obwohl diese Figur noch zu denen gehörte, die mir etwas näher standen – kurz: Die Idee ist brillant, die Umsetzung leider nicht.
Aber woran liegt es? Fangen wir mit den Formalia an:
Ich habe mir (leider erst) nach 100 Seiten einen Bleistift genommen und Randnotizen gemacht. Zunächst vor allem, weil ich entsetzt über das wirklich schlechte Lektorat und Korrektorat war – Kommafehler, die sich konsequent durch das ganze Buch ziehen und hätten bemerkt werden müssen, Satzteilleichen, die nach dem Umstellen eines Satzes übrig geblieben sind, Bezugsfehler, grammatikalische Blüten, aber auch ganz normale Tippfehler, wie sie in jedem Manuskript auftauchen (weshalb Verlage Korrektoren einsetzen), all das ist ärgerlich und geht eindeutig zu Lasten des Verlages.
Aber das alleine hätte mir das Buch nicht wirklich madig gemacht. Also schaue ich weiter, was mich gestört hat:
Immer wieder entspinnen sich Dialoge, die geradezu mutwillig von der Autorin nicht beendet werden, sondern die in Missverständnissen, Wut und Misstrauen enden. Leider aber nicht, weil die Figuren authentisch handeln, sondern vielmehr, weil die Autorin etwas andeuten, aber noch nicht aufklären wollte. Und man merkt es sehr deutlich. Das größte Missverständnis zwischen den beiden entsteht, weil er etwas bereut und sie wütend reagiert. Dabei haben sie kurz zuvor noch genau darüber gesprochen, und auch ein Mensch, der noch keine 2000 Jahre lebt, hätte den Bezug gefunden – ich als Leserin hatte ihn sofort und habe völlig irritiert reagiert, als sie weder darauf kommt, was ihn abgeschreckt hat, noch er in der Lage ist, es zu erklären. Stattdessen stammelt er sinnloses Zeug und sie zieht wütend ab.
Genau das ist ein riesengroßes Manko des Buches: Immer, wenn es spannend wird, zieht sich die Autorin aus der Affäre. Es gibt Andeutungen, aber keine Klärung. Sehr viele Dialoge verlaufen nach dem Schema A fragt etwas, B gibt eine unpassende Antwort, A nimmt es einfach hin, anstatt nachzuhaken. Das funktioniert in beide Richtungen und macht mich kribbelig, weil ich nicht so funktioniere und die meisten Menschen in meiner Umgebung auch nicht. Wenn ich auf die Frage nach der Uhrzeit mit „Mittwoch“ antworte, sagen meine Freunde in den seltensten Fällen „okay“, sondern fragen, ob ich bitte mal die Frage korrekt beantworten könne.
Generell sind die Dialoge oft so geschrieben, dass ich überlege, ob jemals Menschen so sprechen. Laut vorgelesen lautete die Antwort oftmals: Nein.
Die Nebenfigur, die eh irgendwann nicht mehr auftaucht, hat ein weiteres Manko: sie ist zu jung. Es handelt sich um Leons Kollegen, der recht früh im Text als Siebzehnjähriger beschrieben wird. In meiner Welt ist er damit noch ein Azubi, in dieser anscheinend nicht, Okay, das kann ich gerade so gelten lassen, aber die Art und Weise, wie er spricht und handelt, lässt eher auf einen jungen Mann Anfang 20 schließen, der wiederum ziemlich kindisch ist. Ich habe mich mehr als einmal gefragt, warum er so seltsam gezeichnet wird, bin aber zu keinem Ergebnis gekommen.
Während Tavi wenigstens noch recht stringent in ihrer Handlung dargestellt wird, ist Leon ein Spielball der Umstände. Auf der einen Seite ein ach so treuer Kontinentalarmeeler, auf der anderen Seite aber auch an Tavi so weit interessiert, dass er sich auf ihre Bedingungen einlässt. So weit, so gut. Aber ich nehme ihm weder die Gesetzestreue ab noch die Gefühle für Tavi. Es wird mir erzählt, aber nicht vorgelebt. Leon begeht einen riesigen Verrat, den Tavi ihm geradezu mit einem Schulterzucken verzeiht. Er plant es die ganze Zeit, er freut sich diebisch über seinen bevorstehenden Fang, und gleichzeitig mag er Tavi und fühlt sich zu ihr hingezogen. Was wunderbaren Stoff für innere Konflikte geboten hätte, wird leider einfach sinnlos verheizt.
Und Katharina, die Seherin / Hexe, sieht nur das Gute in Leon und erkennt nicht, mit welchen Absichten er wirklich unterwegs ist? Tut mir Leid, auch hier hakt es an allen Ecken und Enden.
Ich habe mich mehrfach gefragt, ob ich überhaupt wissen will, wie es ausgeht. Die letzten 30, 40 Seiten habe ich tatsächlich mit etwas mehr Begeisterung gelesen, weil es im Showdown dann doch recht spannend wurde, aber auch hier fehlten mir zum einen Emotionen und zum anderen die „Kamera auf der Schulter“, die einen mitten ins Geschehen führt. Kurzfristig ist sie da, zeigt mir die Kämpfe auf Leben und Tod, um dann gleich wieder rauszuzoomen und mir nur einen groben Überblick zu verschaffen.
Dann kommen oft Sätze vor, die einfach Tatsachen beschreiben. „Es war ein nackter Fuß. Der Mensch trug keine Schuhe.“ Da habe ich an den Rand gekritzelt, dass das eine das andere bedingt. Es ist redundant, ein weißer Schimmel, als Lektor hätte ich eine der beiden Formulierungen gnadenlos gestrichen.
Oder es wird davon berichtet, dass Dinge in Vergessenheit geraten sind – wie kann man dann von ihnen wissen? Auch die Perspektive ist nicht immer stimmig. Zwar wechseln Leon und Tavi sich mit der Persoektive ab, doch ist nie ganz klar, ob diese nun auktorial oder personal ist – und oft genug passiert der Fehler, dass Tavi „weiß“, was in Leon vorgeht und umgekehrt. Das ist ein Bruch in der Perspektive. Sie darf mutmaßen, sie darf anhand seiner Reaktionen darauf tippen, was er denkt und fühlt, aber ein Satz wie „Leon spürte Wut in sich aufsteigen“ (der nicht wortwörtlich auftaucht, es ist ein Beispiel für einige dieser Patzer) kann nicht in einem Abschnitt stehen, der aus Tavis Sicht verfasst ist.
Mir tut es in der Seele weh, dieses Buch zu verreißen, weil ich der Autorin eine gute Rezension von Herzen gegönnt hätte, zumal sie mit Herzblut und sehr viel Liebe geschrieben hat (ich weiß es, da ich sie kenne), aber ich mag nicht unehrlich sein. Und keine Rezension zu schreiben, wenn man ein Rezensionsexemplar erhalten hat, käme mir auch falsch vor.
Für die Idee an sich, für die alternative Welt, die sie erschaffen hat, und für manche Szenen, die mir (auch wenn es bisher nicht so klang) gut gefallen haben, vergebe ich zweieinhalb von fünf Sternen. Da ich aber das Buch als Gesamtheit bewerten muss, kommen noch zwei für das tolle Cover hinzu, deutlicher Abzug aber für Lektorat und Korrektorat, die kaum vorhanden waren.
Um es klarzustellen: Es handelt sich nicht um einen Tippfehler hier und da. Ich habe im Schnitt auf jeder dritten Seite einen Fehler gefunden. Und das ist eindeutig deutlich über der Toleranzgrenze.
Alles in allem also zwei Sterne. Und der gut gemeinte Rat an den Verlag, sich ein vernünftiges Lektorat zuzulegen. Denn dieser Roman hat so viel Potential, das verschenkt wurde, dass ich nur hoffen kann, dass im zweiten Band einiges besser gemacht wird.
Ann-Kathrin Karschnick: Phoenix – Tochter der Asche
papierverzierer Essen, 2013
€ 14,95 (TB) / € 4,99 (ebook)