Über Susanne Bloos

Autorin, Kosmetikherstellerin, Taucherin und seit 2013 auch Tauchlehrerin. Leidenschaftliche Leseratte, Frau mit zu vielen Hobbies, Katzennärrin. Und noch vieles mehr!

„Es muss einfach sein.“

Wir alle sind pandemiemüde. Wir alle wollen arbeiten, Freunde und Familie treffen, ins Kino, Café oder Theater gehen, wir wollen Menschen umarmen, reisen und Parties feiern.
Da nehme ich mich nicht aus. Ich habe die Pandemie so etwas von satt!

Eben treffe ich eine Nachbarin im Supermarkt: Ohne Maske. Ich weiß, dass sie ein Attest hat, weil sie „im letzten Sommer bei der Hitze ja keine Luft mehr unter der Maske bekommen hat und fast kollabiert ist“. Ich verstehe nur leider nicht, warum der Supermarkt nicht von seinem Hausrecht Gebrauch macht. Sie könnte sich ihre Einkäufe ja auch liefern lassen. Oder ihre Tochter schicken (aber ich glaube, die darf auch keine Maske tragen, ihr Lebensgefährte ist jedenfalls auch befreit, trotz oder wegen seines erhöhten Herzinfarktrisikos, man weiß es nicht).

Etwas später lese ich auf Facebook, dass eine Bekannte gerade Urlaub in Ägypten macht. „Das musste jetzt einfach sein.“ Genauso begründete ein am deutschen Flughafen interviewter Mallorcareisender seinen Urlaub, während eine andere Frau sagte, sie komme aus einem Landkreis mit hoher Inzidenz und fühle sich auf Mallorca deutlich sicherer.

Das alles sind Beispiele dafür, wie die Akzeptanz für Maßnahmen immer weiter sinkt. Die MP-Konferenzen verkommen so langsam zur Farce, denn Beschlüsse werden schneller widerrufen, abgeschwächt oder gleich gar nicht umgesetzt, als sie gefasst werden.
Und die Bevölkerung hat keine Lust mehr, sich einzuschränken. Warum auch, wenn subjektiv die Maßnahmen nichts bringen und der Lockdown gefühlt in alle Ewigkeit verlängert wird?

Dass der eine oder andere die Maßnahmen sehr weit gefasst auslegt und andere sich Verschwörungstheorien zuwenden, erscheint mir da durchaus logisch. Ich billige es nicht und ich versuche, es anders zu halten, aber ganz ehrlich: Ich lebe alleine. Ich bin gut darin, alleine zu sein, aber ohne Kontakte zu anderen Menschen gehe auch ich ein. Also schaue ich, was ich legal machen kann. Meine Präsenz in sozialen Medien ist gestiegen, ich habe keine Angst mehr vor Videotelefonie (auch wenn ich immer finde, dass ich irgendwie seltsam aussehe und mich das ablenkt) und ich treffe mich gelegentlich mit Freunden. Einzeln. Mit Abstand, nach Möglichkeit draußen.
Aber: Ich gehe eben auch einkaufen (häufiger, als es sein müsste, weil es so ein bisschen ein Pandemiehobby geworden ist), zum Sport (Klettern und Bouldern, maximal zu zweit, aber halt auch nicht zu zweit alleine in der Halle, die Abstandsregeln sind aber in beiden Hallen sehr gut durchdacht) und gelegentlich spazieren. Und ja, ich habe inklusive Weihnachten meine Familie jetzt zweimal seit Pandemiebeginn gesehen. Das dritte Mal ist in knapp zwei Wochen.

Ich möchte mich über niemanden erheben. Ich weiß, dass wir alle unterschiedlich damit umgehen, unterschiedlich viele Kontakte haben und brauchen. Es gibt Dinge, die ich nicht verstehe – warum man jetzt unbedingt reisen muss, zum Beispiel. Oder dass man hinter allem eine Verschwörung vermutet. Aber ich verstehe die Mechanismen, die dazu führen.

Dennoch eine dringende Bitte: Werdet nicht nachlässig, nicht übermütig, nicht verschwörungsgläubig. Wir haben alle das gleiche Ziel: Wieder ein einigermaßen sorgenfreies Leben führen zu können, so wie es vor der Pandemie war.
Dem Virus ist es leider total egal, woran wir glauben. Es freut sich über jeden Wirt, den es erreichen kann, ob dieser nun drei oder 93 Jahre alt ist. Es verändert sich und passt sich an. Je weniger Menschen geimpft sind, desto mehr Chancen hat es dazu. Ihm sind Demonstrationen gegen die Maßnahmen egal, weil ein Virus nichts empfindet. Hätte es Emotionen, wäre es begeistert, denn die Demos geben ihm so viel mehr Möglichkeiten, sich zu verbreiten. Und ja, das gilt auch für Büros, Kitas und Schulen, Bus und Bahn und einfach alle Räume, in denen Menschen auf relativ engem Raum zusammentreffen. Und nein, wir können nicht alles dicht machen. Aber wir können auf Treffen verzichten, die nicht lebensnotwendig sind. Und ja, dazu gehören Demos, solange niemand real vom Tod betroffen ist, wenn diese eine konkrete Demo nicht stattfindet (disclaimer: Das ist bei uns in Deutschland generell nicht der Fall).

Wir (=die von uns gewählte und teilweise auch aktiv unterstützte Regierung) haben es verpasst, im November einen harten Lockdown durchzuführen, vermutlich aus Angst. Nun eiern wir alle herum und müssen sehen, wie wir das Problem lösen. Und nichts von dem, was passiert, kommt überraschend. Bereits vor einem Jahr gab es Berechnungen, die das Infektionsgeschehen bei unterschiedlichen Szenarien sehr eindeutig bestimmten. Und die eben jetzt auch zutreffen.
Es ist aber noch nicht zu spät, um etwas zu tun. Für alle mit gesundem Menschenverstand bedeutet das, weiterhin die Kontakte so niedrig wie möglich zu halten, sich so wenig wie möglich vom Wohnort zu entfernen und weiterhin auszuharren. Für alle anderen wird es möglicherweise bedeuten, dass doch noch härtere Maßnahmen kommen. Ich habe keine Lust darauf, aber wenn ich die Wahl habe zwischen hartem Lockdown für 1-2 Monate und Herumgeeier für mindestens ein weiteres Jahr, dann weiß ich, was ich nehme.
Denn hier gilt definitiv: „Es muss einfach sein.“

P.S.: Falls hier irgendjemand noch etwas Impfstoff übrig hat, nehme ich den übrigens auch. Ja, auch Astra Zeneca.

„Das ist rassistisch!“ – „Ich bin doch kein Rassist.“

Vor ein paar Wochen fand eine junge nicht weiß gelesene Autorin in dem Schreibforum, in dem wir beide schon einige Jahre angemeldet sind, einen Thread aus dem Jahr 2014, in dem es darum ging, wie man am besten BIPoC1 in seinen Romanen schreibt. Es war eine unschuldige Frage, die zumindest teilweise auch korrekt beantwortet wurde – aber es kamen eben auch die üblichen Verdächtigen zu Wort, die meinten, „früher hätte man das N-Wort noch verwenden können, und wenn eine meiner Figuren das sagt, dann ist das halt so, weil er das okay findet“ oder „Der Schwarze in meinem Bekanntenkreis reißt selber N-Witze, ich verstehe nicht, warum ich das nicht darf“ und ähnliches. Und immer wieder fiel auf, wie wenig Bewusstsein für Diskriminierung im Allgemeinen und Rassismus im Besonderen vorhanden war.

Nun liegt der Thread gut sechs Jahre in der Vergangenheit, die Aufmerksamkeit für internalisierten Rassismus ist in den letzten Jahren stetig gewachsen und man sollte meinen, dass es inzwischen anders aussieht.
Für mich selbst kann ich sagen, dass ich schon länger ein gewisses Schaumzuckergebäck „Schokokuss“ nenne und trotzdem jeder weiß, was gemeint ist, dass ich versuche, meine Sprache zu kontrollieren und das N-Wort noch nie bewusst benutzt habe (okay, als Kind stand es in einigen meiner Bücher, aber tatsächlich wurde mir sehr schnell bewusst (gemacht), dass „man das nicht sagt“). Aber das sind eben nur diese ganz offensichtlichen Sachen, die die allermeisten Menschen, die nicht rassistisch sein wollen, inzwischen eh meiden.

Die Diskussion im Schreibforum wurde von den Moderatoren vorerst in einen geschlossenen Bereich verschoben, einige weitere Beiträge mit entsprechendem Kontent ebenfalls, das Forum war für etwa eine Woche komplett geschlossen. Nun sind die „Forien“ vorbei und es wird händeringend nach einem Konzept gesucht, um weder alle pauschal als Rassisten abzustempeln, noch denen, die von Rassismus betroffen sind, ein unangenehmes Gefühl zu vermitteln, denn tatsächlich war das Motto des Forums von Anfang an, dass sich jeder willkommen fühlen soll und alle gleichwertig sind. Ausgenommen Rassisten, Trolle und andere Ruhestörer, die wir vermeintlich auch gut vor der Tür stehengelassen oder sehr schnell wieder vor selbige befördert hatten.
Sagen wir es so: Der Weg ist noch sehr weit, denn letzten Endes sollen sich alle wohlfühlen und an der aktuellen Diskussion sieht man, dass da noch weitere Minderheiten nicht ausreichend gehört werden. Aber das führt an dieser Stelle zu weit, daher sei es nur am Rande erwähnt.

Nun sind an mehreren Stellen Diskussionen um den Umgang mit rassistischem Kontent entbrannt, und wie immer tauchte auch „aber Weiße sind in anderen Ländern auch von Rassismus betroffen“ auf.
Parallel dazu habe ich es auch noch geschafft, in einer ebenfalls autorenlastigen Facebook-Gruppe es zu wagen, dem Satz „spätestens jetzt gibt es Rassismus gegen Weiße“ zu widersprechen. Ja, da hat jemand über sein Ziel hinausgeschossen, als sie verlangte, dass eine schwarze Autorin nur von einer schwarzen Übersetzerin übersetzt werden dürfe (hier findet ihr den auslösenden Artikel, die Forderung ging ursprünglich von der ebenfalls schwarzen Journalistin Janice Deul aus, was man wiederum in diesem Artikel nachlesen kann), auf der anderen Seite kann ich die Forderung nachvollziehen. Nicht handwerklich, da bin ich durchaus der Meinung, dass sprachliche Kompetenz und ein Mindestmaß an Hintergrundwissen zu den Lebensumständen der Autorin reichen sollten, aber kann ich das wirklich beurteilen? Ich bin weiß, bin in mehr oder weniger heilen Umständen aufgewachsen und kenne keinen Rassismus. Natürlich weiß ich, was Rassismus ist und dass es ihn gibt, aber ich weiß nicht, wie er sich anfühlt, wenn man ihm ausgesetzt ist. Tagtäglich, in jeder Minute seines Lebens. Wenn man sich keine Auszeit davon nehmen kann, außer, man ist ausschließlich unter seinesgleichen oder absolut allein.
Aber nehmen wir mal an, die Übersetzer*in kann die Nuancen des Originals gut rüberbringen, dann spricht meiner Meinung nach nichts dagegen, dass eine Person ohne Rassismuserfahrungen den Text einer BIPoC übersetzt. Die Autorin selbst war übrigens mit der Wahl der Übersetzerin einverstanden, und das ist für mich definitiv ausreichend.
Dennoch ist die Forderung, dass eine schwarze Übersetzerin, die sich viel weiter in die Thematik des Textes eindenken kann, einfach, weil sie ähnliche Erfahrungen gemacht hat, nicht per se von der Hand zu weisen.

Nun wurde in besagter Facebook-Gruppe aber nicht einfach akzeptiert, dass hier jemand (Janice Deul) vielleicht einfach nur über das Ziel hinausgeschossen ist, weil eben lebenslange Diskriminierung auch mal wütend macht, sondern es wurden – als Gegenrede zu meiner Aussage, es gäbe in einer von Weißen dominierten Welt keinen Rassismus gegen Weiße – Beispiele angebracht, in denen Weißen in Vietnam der Zutritt zu Lokalen nur aufgrund ihrer Hautfarbe verwehrt wurde und in denen sie in Südafrika und Brasilien nur aufgrund ihrer Hautfarbe mit einer Waffe bedroht wurden. Meine Aussage wurde als „menschenverachtend“ bezeichnet, erklären wollte mir bisher aber niemand, warum man das so sehe, obwohl ich so höflich wie möglich um eine Erklärung bat. Denn so, wie ich auch nach und nach erst merke, wie viele internalisierte Rassismen auch in mir stecken, obwohl ich mich immer für sehr weltoffen und unrassistisch hielt, so halte ich es auch durchaus für möglich, dass ich eine Formulierung gewählt habe, die jemanden getroffen hat. Dass es so ist, geht aus den Antworten deutlich hervor, womit ich das aber getan habe, wird mir verschwiegen.

Ich habe im Laufe der letzten Jahre „Was Weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ von Alice Hasters sowie „Deutschland schwarz weiß“ von Noa Sow gelesen und fange an, zu verstehen. Ich möchte mich nicht über andere stellen, denn auch ich wurde in dieser Gesellschaft großgezogen, die ganz gönnerhaft erlaubt, dass BIPoC hier leben, „wenn sie sich denn unseren Regeln anpassen“ und unsere Sprache lernen (wie viele Deutsche leben dauerhaft im Ausland und glauben, die Menschen dort müssten endlich mal Deutsch lernen? Ich kenne einige). Ich beginne, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Und ich schäme mich für das, was tief in mir verwurzelt ist und was ich auch mit noch so gutem Willen nur schwer wegbekomme. Und ich wünsche mir, dass wir nicht mehr Rassismus mit krassem Rechtsextremismus gleichsetzen, um dann im selben Atemzug sagen zu können „ja, das bin ich ja nicht“, sondern dass wir mehr darauf achten, was wir sagen und wie wir handeln. Die vielen kleinen Begegnungen machen das Bild aus.

Das betrifft euch nicht? Ihr seid nicht rassistisch? Ihr seht keine Hautfarben?

Gerade letzteres ist Blödsinn. Natürlich seht ihr Hautfarben, ihr sehr ja auch Augen- und Haarfarben, ihr seht, ob jemand glattes oder gelocktes Haar hat, ihr sehr Körpergröße, ihr seht, ob jemand dick, dünn, trainiert oder eher eine Couchpotato ist und ihr seht schiefe Nasen, abstehende Ohren und Pickel. All diese Kategorien sorgen dafür, wie ihr den Menschen wahrnehmt. Ob ihr ihn hübsch oder hässlich, sympathisch oder unsympathisch, gepflegt oder ungepflegt findet. Und ausgerechnet die Hautfarbe seht ihr nicht? Vermutlich behauptet ihr auch, keinen Akzent zu hören.
Anstatt zu behaupten, wir sähen das alles nicht und würden keine Beurteilung aufgrund der Gesamterscheinung fällen, sollten wir uns eher bewusst machen, warum wir einen Menschen mit dunklerer Hautfarbe als unserer, mit krauseren Haaren oder einer nicht mitteleuropäischen Physiognomie sofort als „der ist nicht von hier“ wahrnehmen und entsprechend (negativ) behandeln.

Sprecht nicht automatisch Englisch (oder sehr langsames und lautes Deutsch), wenn jemand anders aussieht als es unserer zentraleuropäische Norm entspricht. Wenn die Person kein Deutsch spricht oder versteht, wird sie es euch schon mitteilen.
Wechselt nicht die Straßenseite, wenn euch jemand entgegenkommt, der anders aussieht. Tut es aber dann, wenn euch jemand entgegenkommt, der aggressiv wirkt – völlig unabhängig von seiner Hautfarbe.
Fragt nicht nach der Herkunft des Täters, wenn ihr von einem Verbrechen hört. Die hat nichts damit zu tun, dass er Unrecht getan hat. Und wenn doch, ist es Sache der Behörden, das zu klären (aber es gibt kein „Verbrechens-Gen“, anhand dessen man irgendwie sehen könnte, dass jemand tötet, vergewaltigt oder stiehlt. Weiße machen das auch alles. Ja, Weiße töten sogar aus Eifersucht und Besitzdenken, das führt hier aber zu weit).

BIPoC bekommen seltener die Wohnung, auf die sich auch ein Weißer bewirbt, man unterstellt ihnen häufiger schlechtere Kompetenzen, wenn es um einen Job geht, sie haben es beim Dating schwerer (oder geraten an Fetischisten, die sich damit schmücken, dass sie mit BIPoC ausgehen) und vieles mehr, das ich als weiße Frau vermutlich nicht einmal sehe. Ihnen wird ungefragt in die Haare gegrabscht, ihnen werden angebliche Talente unterstellt (Schwarze können toll tanzen, die haben ja „den Rhythmus im Blut“, Asiaten sind alle sehr diszipliniert etc. pp.) und immer wieder heißt es „sag doch mal was in deiner Muttersprache“, selbst wenn die betroffene Person bereits mehrfach erklärt hat, dass ihre Muttersprache Deutsch ist.
Dies alles sind Mechanismen, die nach wie vor verhindern, dass BIPoC als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft angesehen werden. Und ja, es kommt vor, dass uns Weißen in Asien eine Tür vor der Nase geschlossen wird, dass wir in bestimmten Stadtteilen Sao Paolos oder Johannisburgs mit einer Waffe bedroht werden oder dass uns jemand Kartoffel nennt. Das alles ist kein Rassismus gegen Weiße, denn Rassismus ist eine strukturelle Benachteiligung aufgrund der Herkunft oder Hautfarbe. Und damit haben wir Weißen tatsächlich weitweit das kleinste Problem. Dass Einzelpersonen diskriminiert, bedroht oder gar getötet werden, ist furchtbar und ich möchte es nicht kleinreden. Ich hätte am liebsten eine Welt, in der alle sich respektieren und zufrieden leben können. Aber solange wir glauben, Rassismus für uns beanspruchen zu können, haben wir nicht verstanden, was Rassismus wirklich bedeutet.

Ich stehe am Anfang. Ich mache Fehler. Vermutlich habe ich auch das eine oder andere Fettnäpfchen in diesem Text untergebracht. Ich möchte lernen und ich bin darauf angewiesen, dass Betroffene mir sagen „das war nicht okay, weil es mich aus diesem oder jenem Grund verletzt hat.“ Ich weiß, dass BIPoC das immer und immer wieder erklären müssen und dass sie es Leid sind. Deshalb empfehle ich, die oben verlinkten Bücher zu lesen. Und gerne auch weitere. Exit Racism von Tupoka Ogette zum Beispiel. Alle drei hier genannten Bücher sind von deutschen BIPoC geschrieben worden und beziehen sich auf Deutschland. Nur für den Fall, dass jemand sagt „ja, aber das betrifft ja nur die USA, in Deutschland gibt es keinen Rassismus.“ Doch, gibt es. Und wer ihn nicht sieht, ist meistens Teil des Problems.

Und weil das auch so ein fieser, provokativer Satz ist: Wer sich rassistisch äußert, ist nicht automatisch ein Rassist. Aber wer darauf hingewiesen wird, dass er sich rassistisch äußert und es nicht ändert, der wird sehr schnell zu einem.

1BIPoC = Black, Indigenious, and/or People of Color

Ihr feiert eure eigene Dummheit

Während in den USA der knappe Wahlsieg der Demokraten gefeiert wird und ein dünner Hoffnungsschimmer am Horizont erscheint, dass sich die allgemeine Lage dort etwas bessern wird, stehen etwa 20.000 Menschen dicht gedrängt in der Leipziger Innenstadt und demonstrieren vermeintlich für ihre Freiheit und Demokratie.

Unter ihnen sind Anhänger diverser rechter Gruppierungen, man sieht Reichskriegsflaggen und mehr als eindeutige Gesten, Plakate mit Parolen, die alles andere als demokratiezugewandt sind.
Die einen sind Nazis, die anderen sind Mitläufer. Diese reden sich damit heraus, dass sie ja nur ihr Recht auf Demonstration wahrnehmen, dass sie gegen die Coronamaßnahmen sind und nichts dafür können, dass die Rechten auch hier sind.
Aber sie marschieren mit ihnen, unreflektiert und ohne zu bemerken, dass die Rechten nicht zufällig hier sind, sondern als Rattenfänger, dass sie sich die Anti-Corona-Demonstranten zueigen machen, um sie subversiv auf ihre Spur zu bringen.
Die Saat geht auf, auch wenn die Demonstranten es noch nicht merken. Der rechte Block macht Stimmung gegen die Polizei, wird handgreiflich, gewalttätig. Die angeblich friedlichen Demonstranten lassen sich mitreißen, skandieren selig im Einklang mit den Nazis Parolen, die längst nicht mehr nur gegen die Corona-Maßnahmen sind. Es fliegen Gegenstände und pyrotechnische Artikel, sie werden handgreiflich gegen die Polizei, sie versuchen, mit Worten zu provozieren.
Hatten wir so etwas nicht schon mal? Anderes Thema, gleiche Dynamik. Mir wird schlecht, während ich das Videomaterial der heutigen Demonstration sichte.

Was wollen sie erreichen? Sie wollen keine Masken mehr tragen müssen, weil sie glauben, diese machten sie krank oder schränkten sie ein. Sie wollen ungehindert reisen, wohin und so lange sie wollen, ohne dass ihnen der Staat reinredet. Sie wollen shoppen und ins Café, ins Kino und ins Theater gehen, wollen mit ihren Freunden feiern, nicht zu zehnt und aus maximal zwei Haushalten, sondern mit allen, die sie kennen und gern haben.
Ich verstehe das. Ich komme mit meiner Maske meistens gut klar, allerdings beschlägt die Brille gerne mal, was nervig ist, aber nicht unlösbar. Ich sehe viele meiner Freunde eh schon zu selten, einige habe ich jetzt seit einem Jahr oder länger nicht mehr gesehen, weil wir es im letzten Winter nicht geschafft haben und dann Corona dazwischen kam. Ich finde es alles andere als lustig, dass schon wieder die Sportstätten geschlossen sind, dass ich nicht mit Freunden abends noch ein Bier trinken oder etwas essen gehen kann, und natürlich möchte ich mit meiner Familie Weihnachten feiern, auch wenn wir aus mehr als zwei Haushalten kommen.
Nicht zuletzt möchte ich auch ganz gerne arbeiten gehen, was zur Zeit für mich auch nicht möglich ist.

Und weil ich das alles gerne so schnell wie möglich wieder machen möchte, versuche ich, die Maßnahmen so gut wie möglich einzuhalten. Ich treffe so gut wie nie mehr als eine Person zur Zeit und warte mehrere Tage, bevor ich mich mit der nächsten Person treffe. Ich gehe nur mit Maske einkaufen und ans Reisen denke ich derzeit als etwas, das vermutlich 2022 wieder gehen wird.

All jene, die keine Masken tragen, keinen Abstand halten und heimlich über die Grenzen in unsere Nachbarländer reisen, all jene, die glauben, der Staat wolle uns mit den Masken versklaven und mit der Impfung einen Chip einsetzen, all jene, die aus lauter Angst um ihre Freiheit „jetzt erst recht!“ sagen und die Maßnahmen boykottieren – all jene, die heute in Leipzig auf die Straße gegangen sind, tragen dazu bei, dass die Maßnahmen noch verstärkt werden müssen, dass der Lockdown länger dauern wird, dass am Ende noch mehr Menschen arbeitslos, noch mehr Betriebe insolvent sein werden.
Es gibt das Präventionsparadoxon, das besagt, wenn eine Maßnahme zu gut funktioniert, glaubt keiner daran, dass die Auswirkungen wirklich so schlimm geworden wären wie prognostiziert.
Es gibt aber auch die selffulfilling prophecy, und die betreiben die Corona-Leugner gerade: Dadurch, dass sie die Maßnahmen als rechtswidrige Gängelung ansehen und glauben, der Staat treibe Menschen mit diesen Maßnahmen in den finanziellen Ruin, rufen sie genau das hervor. Wir können natürlich auch umgehend alle Maßnahmen fallenlassen und schauen, wer sich infiziert und wer nicht. Bei wem der Verlauf leicht ist und wer auf die Intensivstation muss. Wer hier noch einen Patz bekommt und wer einer Triage zum Opfer fällt. Und wie viele Betriebe dann am Ende noch bestehen. Ich habe im Frühjahr Hochrechnungen angestellt, wie viele Tote wir im Worst Case zu betrauern haben. Ich wurde dafür verhöhnt und ausgelacht, und den Sommer über schienen meine Zahlen (die sch mit denen der renommierten Forscher überwiegend deckten) in absolut dystopische Ferne gerückt zu sein.
Mit täglich um die 20.000 Neuinfektionen kommen wir der gefährlichen Grenze, an der nicht mehr genug Personal da sein wird, um alle Patienten zu versorgen, immer näher. Und alles nur, weil ein paar Idioten weder denken noch rechnen können, sondern einzig und alleine ihren Egoismus ausleben wollen. Von mir aus können die sich alle irgendwo im Wald versammeln und Corona aussitzen. Aber bitte ohne Zugang zur Außenwelt, bis wir Corona so weit im Griff haben, dass wir mit der üblichen Quote an Spinnern und Impfgegnern wieder zurechtkommen.

Ganz ehrlich: Eure Arroganz, euer Egoismus und eure Dummheit kotzen mich an. Und ja, ich bin wütend. Weil ihr dafür sorgt, dass es vielen anderen schlecht gehen wird. Viel schlechter, als es euch mit Maske und Abstand und vier Wochen ohne Party, Kino und Gastronomie je gehen könnte.

Ich bin ein Corona-Gegner

„Was? Wie jetzt? Also, das hätte ich ja nicht von dir gedacht!“

Piano. Lasst es mich erklären.
Also: Ich finde Corona total scheiße. Hätte ich einen einzigen Wunsch frei, dann den, dass das Virus einfach verschwindet. Dass es nie aufgetreten wäre, denn dann hätte ich im Frühjahr einen tollen Urlaub gehabt, wäre dieses Jahr viel draußen klettern gewesen, nicht wieder in einer Depression versunken und hätte ihren Geburtstag mit meiner Mutter feiern können (und meinen auch mit meiner Familie und meinen Freunden).

Ganz ehrlich: Ich kenne niemanden, der für Corona ist. Oder kennt ihr jemanden, der sagt „ey, voll knorke, dass da jetzt so ein krasses Virus unterwegs ist, dessen Auswirkungen wir noch gar nicht so richtig überblicken können. Komm, lass mal Oma anstecken, die hatte lange keine Abenteuer mehr“? Nee, oder? Ich auch nicht.
Kein Mensch findet Corona toll. Niemand will es haben (bis auf ein paar Verwirrte, die glauben, dass sie dann für immer immun sind), niemand findet es total super, in der Öffentlichkeit Maske tragen zu müssen.

Aber – und damit erzähle ich eigentlich auch nichts Neues, aber falls doch: Schön, dass du es liest! – das Virus interessiert das einfach nicht. Es ist ihm kackegal, weil es eben kein denkendes, fühlendes Wesen ist, sondern ein Virus, das einzig und alleine daran interessiert ist, zu überleben. Und das schafft es halt, indem es sich einen Wirt sucht, sich in ihm reproduziert und seine Nachfahren dann zum nächsten Wirt überspringen. Dass es dabei in seinem Wirt ziemlichen Schaden anrichtet, ist ihm auch egal, denn es ist kein Symbiont, dem daran gelegen ist, seinen Wirt bei Laune und Gesundheit zu halten, sondern ein Schmarotzer, dessen einziges Interesse schnelle Vermehrung ist. Bis es dir schlecht geht, sind schon reichlich Nachfahren des Virus weitergezogen.

Ich kann Corona also scheiße finden, es leugnen und so tun, als sei es nicht da: Das ändert nichts. Es ist da. Es ist gekommen, um zu bleiben. Und das wird es auch noch eine ganze Weile. Für immer, wenn wir keinen Impfstoff und kein Medikament finden, das wirksam gegen SARS-CoV-2 vorgeht, für eine möglicherweise recht lange Weile, bis wir etwas Wirksames gefunden haben.

Und weil ich das doof finde und gegen die Ausbreitung von Corona bin, trage ich Maske, wenn ich in den Supermarkt gehe. Ich gehe derzeit nicht in die Einkaufsstraßen, war seit Februar einmal selbst im Restaurant und versuche, eine für mich gesunde Balance zwischen Nähe zu meinen Freunden und Abstand zu den meisten Menschen zu erreichen. Ich arbeite mit Menschen und ich habe nicht immer eine Barriere zwischen ihnen und mir. Mir ist bewusst, dass ich gefährdeter bin als andere, dass ich zum Träger werden kann, und es macht mir Sorgen.
Auf der anderen Seite möchte ich auch nicht mehr in totaler Isolation leben – die acht Wochen, in denen ich abgesehen vom Supermarktpersonal und meinen Nachbarn exakt einen weiteren Menschen getroffen habe (zweimal), möchte ich nicht noch einmal erleben.
Und genau deshalb trage ich Maske. Genau deshalb verzichte ich auf Parties, Restaurantbesuche, bin einverstanden damit, weder ins Kino noch auf Konzerte gehen zu können und sehe meine Freunde extrem selten. Und meine Familie auch. Nicht mehr gar nicht, aber selten.
Wir alle brauchen Sozialkontakte, selbst die Introvertiertesten unter uns. Und um diese möglichst lange noch haben zu können, halte ich die Maßnahmen für sinnvoll. Lieber schwitze ich eine halbe Stunde unter meiner Maske, als wieder wochenlang niemanden zu sehen und nicht arbeiten zu dürfen. Denn so lustig das auch eine Zeitlang war, am Ende hat es mir schwer zugesetzt. Lieber halte ich noch eine Zeit lang Abstand zu anderen Menschen, als dass ich andere gefährde.

Diejenigen, die keine Masken tragen wollen, die behaupten, nicht an Corona zu glauben, denen es egal ist, dass sie andere gefährden können, sind auch diejenigen, die den nächsten Lockdown am schwersten wegstecken. Und gleichzeitig die, die ihn am ehesten hervorrufen.
Seid nicht dumm. Seid egoistisch. Tragt die verdammten Masken, damit es keinen zweiten Lockdown gibt. Denn glaubt mir: Wenn wir im Winter alle eingesperrt sind und womöglich wirklich nur noch für die nötigsten Besorgungen nach draußen dürfen, dann ist das hart. Es ist dunkel, es ist kalt, und wir sitzen drinnen und starren Netflix an. Und irgendwann kennen wir alle Serien, alle Filme, und wir können uns nicht mal auf den Balkon setzen, weil wir uns dort den Arsch abfrieren.

Daher: Seid gegen Corona! Sorgt dafür, dass das Virus keine Chance mehr hat. Tragt Masken, haltet Abstand, wascht eure Hände. Seid egoistisch, tut es für euch. Eure Oma, die kranke Nachbarin und der Herzpatient im Einkaufszentrum sind euch ja eh egal, aber ihr selbst geht euch nicht am Arsch vorbei. Denkt weiter als nur bis morgen. Damit wir 2021 wieder auf Festivals und in Biergärten gehen können, damit die Kieler Woche und das Oktoberfest stattfinden, damit wir uns wieder ungestraft in den Armen liegen können, wenn unser Verein den Sieg nach Hause trägt.

Leben in Zeiten von Corona – das Ding mit den Vorerkrankungen

Man liest und hört ja immer wieder, dass viele der Patienten gar nicht an Corona, sondern an den Vorerkrankungen gestorben seien, weshalb man sie nicht in die Sterberate für Corona mit einrechnen solle und im gleichen Zusammenhang, dass man das „normale“ Leben wieder aufnehmen und „nur“ die Risikogruppe schützen solle. Warum das auf so vielen Ebenen falsch ist, versuche ich hier, zu erklären.

Heute Morgen stieß ich auf folgenden Twitterbeitrag, der sehr gut zeigt, was „Vorerkrankung“ im Realfall bedeutet: Eine höhere Wahrscheinlichkeit, an einer Krankheit zu sterben, die ein gesunder, fitter Mensch überlebt.

Wenn man also sagt, dass „nur Vorerkrankte“ sterben und damit impliziert, dass das ja nicht so schlimm sei, weil die ja eh irgendwann sterben, dann spricht man diesen ihr Recht aufs Leben ab. Disclaimer: Wir werden alle sterben. Der eine früher, der andere später. Ich möchte jedoch, dass niemand anders entscheidet, dass ich jetzt genug gelebt habe, ich möchte selbst darüber entscheiden können, ob ich medizinisch behandelt werde und ob ggf. lebensverlängernde Maßnahmen durchgeführt werden. Ich möchte ja auch nicht vor einen fahrenden Zug gestoßen werden – und genauso klingt derzeit oft die Argumentation: Der stirbt eh bald, dann können wir ihn auch umbringen, Hauptsache, wir können auf die Wiesn und in den Baumarkt.

Schauen wir uns mal die Zahlen der Vorerkrankungen an. Besonders gefährdet gelten bei Covid-19 alle Menschen über 60 Jahre, alle mit chronischen Lungenkrankheiten und -belastungen (Asthma, COPD, Raucher, ggf. auch Menschen, die regelmäßig Feinstaubbelastungen ausgesetzt sind), Menschen mit Bluthochdruck, mit Übergewicht, Diabetes, mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und noch ein paar mehr.Also eigentlich jeder, dessen Organismus nicht mehr ganz rund läuft.

Dann gucken wir mal auf die nackten Zahlen:

  • Menschen in Deutschland über 60 Jahre: Ca. 28% bzw. 23,8 Millionen
  • Menschen 18-59 Jahre: 46,81 Mio
  • Menschen unter 18 Jahre: 12,83 Mio

    Quelle: Statistica.com

  • Menschen mit Übergewicht:
    • etwa 10,7 Mio der Menschen zwischen 18 und 59 sind stark übergewichtig (adipös)
    • etwa 28 Mio der Menschen zwischen 18 und 59 haben Übergewicht
    • Gesamt knapp 40% der Erwachsenen unter 60 Jahren

      Quelle: RKI

  • Die Zahlen für Lungenerkrankungen sind nicht ganz so leicht zu ermitteln, da es hier oft Überschneidungen gibt. Alleine an Asthma sind etwa 10-15% der Kinder und 5-7% der Erwachsenen erkrankt, chronische Bronchitis haben etwa 10-15% der Erwachsenen. Das entspricht etwa 1,28-1,92 Mio Kindern und 2,34-3,27 Mio Menschen zwischen 18 und 59 Jahren.

    Quelle: RKI

Man sieht, dass die Summe alleine dieser Zahlen selbst nach Bereinigung der Überschneidungen groß ist. Zu groß, um all diese Menschen zu isolieren, auch zu groß, um sie alle zu opfern, weil sie „ja schon vorerkrankt waren“. Die Zahlen, die immer mal wieder angegeben werden, sprechen von 30-60% der Gesamtbevölkerung, die in irgendeiner Form vorerkrankt sind.
Wenn die Sterberate bei 1,5% der Infizierten liegt (und das scheint wohl leider niedrig gegriffen zu sein, es können auch 4% oder sogar mehr sein, wirklich wissen werden wir das erst in ein bis zwei Jahren), dann kämen wir bei Infektion all dieser „Vorerkrankten“ auf 365.000-730.000 Tote. Bei 4% Sterberate wären es dann schon 970.000-1,9Mio. Einige von ihnen wären tatsächlich im etwa gleichen Zeitraum gestorben, aber niemand kann sagen, auf wen das zutrifft und wer noch Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte vor sich gehabt hätte. Dazu kommen all jene, die auch ohne Vorerkrankungen sterben. Und ja, die gibt es. Die kann man nicht mal im Vorfeld benennen und in Quarantäne stecken, so dass es eine Art Russisches Roulette ist, ob man als kerngesunder Mensch Covid-19 denn nun überlebt oder nicht. Über die aktuell vermuteten Folgeschäden will ich an dieser Stelle nicht mal reden, das mache ich ggf. in einem Folgebeitrag.
Menschen zu opfern, um selbst davonzukommen, ist durchaus in unserer Genetik verankert, sollte jedoch durch Humanität ausgeschaltet sein. Man sieht in dieser Zeit sehr gut, wer den steinzeitlichen Instinkten folgt und wer der Evolution des Denkens gefolgt ist. Ganz nebenbei hat dieses Denken „der ist vorerkrankt, der wäre doch eh gestorben, das ist doch nicht so schlimm“ einen ganz, ganz miesen Beigeschmack von „unwertem Leben“. Und auch, wenn die letzten Jahre gezeigt haben, dass dieses Denken wieder groß im Kommen ist, habe ich doch die Hoffnung, dass die Masse kein zweites Mal auf den Zug aufspringt.

Jeder Mensch hat das Recht auf ein langes, glückliches und weitestgehend gesundes Leben. Und es ist legitim, sich um seine wirtschaftliche und private finanzielle Zukunft Sorgen zu machen. Es ist aber nicht legitim, aus dieser Angst heraus andere Menschen (und es sind immer die Unbekannten, Imaginären, die nur aus Zahlen bestehen, nie die eigenen Eltern, Großeltern, Kinder, Partner oder Freunde, die ins Feld geführt werden) opfern zu wollen.
Wenn mir noch einer erzählt, es sei okay, jetzt wieder alle Geschäfte zu öffnen und „ein normales Leben“ aufzunehmen, dann könnte es passieren, dass ich sehr, sehr ungemütlich werde. Denn genau dieses „normale“ Leben wird unterm Strich Hunderttausende selbiges kosten. Aber anscheinend sind wir schon so gut in der Prävention, dass sich zu viele in falscher Sicherheit wiegen.
Nein, wir sind noch lange nicht „über den Berg“, wir stehen noch immer am Anfang der Pandemie. Und erst, wenn wir einen zuverlässig wirksamen Impfstoff haben und diesen in großer Menge produzieren können, können wir langsam wieder daran denken, unseren Alltag ungefähr so zu gestalten wie vor der Pandemie. Wer glaubt, dass alles wieder so wird wie vorher, hat wirklich noch nicht verstanden, was die Pandemie bedeutet. Aber ich fürchte, dagegen komme ich mit diesem Blog auch nicht an.

Und ja, mir ist klar, dass der Lockdown für viele einen wirtschaftlich immensen Schaden bedeutet, bis hin zum Bankrott. Mir ist auch bewusst, dass das alles andere als witzig ist. Und trotzdem bleibe ich dabei, dass Menschenleben wichtiger sind als Wirtschaft. Wer lebt, kann wieder auf die Beine kommen, wer tot ist, kann nichts mehr.

Leben in Zeiten von Corona – how to Lagerkoller

Heute Morgen las ich einen Tweet, in dem jemand sagte, dass die Alleinlebenden in den aktuellen Statements quasi nicht vorkommen. Es wird gesagt, dass man maximal mit einer nicht im Haushalt oder eben den im Haushalt lebenden Personen zusammen nach draußen darf. Und man soll den Kreis der Kontakte so klein wie möglich halten.
Und während viele in meinem Umfeld durchdrehen, weil sie plötzlich rund um die Uhr mit der gesamten Familie zuhause sind, Kinderbetreuung, Homeschooling und Home Office unter einen Hut bringen müssen und nicht wissen, wie, wann und wo sie jemals wieder eine Sekunde nur für sich haben, habe ich das umgekehrte Problem: Gar keine Sozialkontakte.

Versteht mich nicht falsch: Ich verstehe jeden, der gerade dringend ein bisschen frei von seiner Familie hätte. Ich würde vermutlich meine Mitmenschen umbringen, wenn ich sie rund um die Uhr um mich hätte, egal, wie sehr ich sie liebe.
Aber ich bin jetzt seit viereinhalb Wochen zuhause. Keine Arbeit, kein Sport, keine Verabredungen. Ich habe mich zweimal mit meinem Kletterpartner zum Kaffeetrinken und Schnacken getroffen und einmal mit einer Freundin an der Boulderhalle, als dort Griffe verschenkt wurden, außerdem war ich einmal bei meiner Nachbarin im Garten. Vier soziale Kontakte in mehr als vier Wochen, wenn man vom Einkaufen mal absieht (und ja, es hat Gründe, dass ich inzwischen jeden Tag bei Rewe bin).
Ja, ich telefoniere mehr. Aber das ersetzt keine Umarmungen, kein gemeinsames Klettern, und auch die Gespräche von Angesicht zu Angesicht nur unzureichend. Ich hatte vorher auf der Arbeit Kontakt mit meinen Kollegen, der ist weg (bis auf eine Kollegin, mit der ich gelegentlich Nachrichten schreibe oder telefoniere).
Die Gespräche in der Kletterhalle mit Kollegen und Kunden taten mir gut, auch die Kurse, die Kindergeburtstage, der KletterClub – all das sind soziale Interaktionen, die jetzt wegfallen.
Und obwohl ich mich eher als leicht soziophob und introvertiert sehe, brauche ich doch ein Mindestmaß an Zuneigung. Keinen Menschen zu haben, der in der gleichen Wohnung lebt, ist in Zeiten der Isolation kein Segen mehr, sondern ein Problem.

Dieses Problem haben derzeit viele Menschen. Manche kommen damit klar, manche nicht. Einige setzen sich über die Regeln hinweg, andere folgen ihnen zähneknirschend. Ich verstehe inzwischen jeden, der hin und wieder ausbricht und sich mit Freunden im Park trifft. Ich verstehe sogar, dass manche die Bitte, aufs Reisen und auf Wochenendausflüge zu verzichten, ignorieren. Ich finde es aus pandemischer Sicht nicht gut und kann es nicht gut heißen, aber verdammt, ja, ich verstehe es! Ich verstehe jeden, der seine Eltern, seine Kinder oder Enkel sehen will. Jeden, der irgendwann entscheidet, das Risiko für sich einzugehen. Ich verstehe meine über Achtzigjährige Nachbarin, die täglich ihre Runde zum Kiosk macht, weil sie mal raus muss. Ich halte es nicht für weise, aber ich verstehe es.

Und jetzt hätte ich bitte gerne jemanden, der mich in den Arm nimmt und mir sagt, dass das alles nur ein böser Traum war. Oder alternativ jemanden, der das Jahr neu startet, nachdem er einen Virenscanner hat drüberlaufen lassen.
Bisher war ich recht entspannt mit der Situation, aber ich bin es nicht mehr, und ich hoffe, dass das nur eine Phase ist.

Wie geht es euch? Kommt ihr zurecht? Habt ihr Menschen um euch, mit denen ihr gut auskommt?

Leben in Zeiten von Corona – Lagerkoller und die Gefahr der Gewöhnung

Gestern oder heute wäre ich aus meinem Urlaub zurückgekommen. 2,5 Wochen Klettern und Camping im Donautal, in der Fränkischen Schweiz und im Harz haben nicht stattgefunden. Stattdessen habe ich überwiegend auf meiner Couch gewohnt, die Katze geknuddelt (die ist an manchen Ecken schon ganz abgeschubbert, und da ich das nicht war, gehen wir wohl Dienstag mal zum Tierarzt) und zu viel gegessen.

Letztes Wochenende habe ich meinen Balkon aufgeräumt, so richtig. Alles weggeräumt, was herumstand, die alte Blumenerde hinterm Haus ins Beet gekippt und die leeren Töpfe in den Keller gebracht. Die Bodenfliesen angehoben und abgebürstet, ca. 5l Blumenerde vom Boden aufgefegt und diesen dreimal gewischt, bis er einigermaßen sauber war. Dann die Fliesen gewaschen, trocknen lassen, geölt und wieder ausgelegt. Die Liege ebenfalls geölt, die Fensterbank gewischt und die Vogelfutterbälle ausgetauscht. Seitdem wohne ich überwiegend auf meinem Balkon, sofern das Wetter es zulässt.

Mein Pullover ist fast wieder an der Stelle, an der ich ihn aufgeribbelt hatte. Und ich brauche mehr Wolle, als ich habe, ich muss also nachbestellen und hoffen, dass die Farbe passt, das ist bei unterschiedlichen Chargen nicht immer so.
Ich habe letzten Montag meinen Kletterpartner auf seinem Balkon besucht und wir haben uns an den Strand gesetzt. Ich brauchte das, mal rauszukommen. Dafür hatte ich die ganze Woche keine Lust auf Bewegung, und ich bemerke eine gewisse „ist ja auch egal, ich habe ja Zeit“-Haltung an mir. Aber so ein paar Dinge müsste ich halt schon erledigen, weil die Deadlines haben. Oder zumindest Konsequenzen, wenn ich sie nicht erledige. So wie der Strafzettel, der hier noch herumfliegt, weil ich keinen legalen Parkplatz im Umkreis meiner Arbeit gefunden hatte. Das kommt mir vor wie in einer anderen Welt.
Dienstag habe ich lange mit meiner Balkonnachbarin geschnackt (wir sind dann jetzt per Du) und sie lud mich in ihren Schrebergarten ein. Da war ich am Mittwoch. Und danach verliert sich so ein bisschen die Übersicht, was ich wann gemacht habe. Ach doch: Donnerstag hat die Boulderhalle aussortierte Griffe verschenkt und ich habe das zum Anlass genommen, mich mit einer Freunden vor Ort zu treffen und mit gebührendem Abstand ein bisschen zu quatschen. Tat gut!
Gestern habe ich jedenfalls einen Hefevorteig angesetzt und im Eiswürfelbereiter eingefroren. Zwei Teile habe ich behalten und zum einen einen Hefezopf und zum anderen Pizzateig daraus gemacht. Beide sind ganz hervorragend geworden und ich befürchte, ich werde in absehbarer Zeit kein Gramm abnehmen.

Ebenfalls gestern haben wir in unserer WhatsApp-Gruppe zum Megamarsch darüber geredet, ob wir so tun, als falle die Veranstaltung auf jeden Fall aus, alles stornieren und nicht trainieren, oder ob wir so tun, als werde der Marsch auf jeden Fall stattfinden. Ich hab mich für Variante 2 entschieden und bin 15km gewandert. Mit Rucksack (leer bis auf Portemonnaie, einen Proteinriegel und die Trinkflasche) und ordentlichem Tempo (Pace von 9:35). Wieder ins Eidertal, dieses Mal aber einen alternativen Rückweg, der mich letztlich durch mein altes Jogginggebiet nach Hause brachte. Ich habe noch immer Muskelkater im Hintern und gehe auf Zehenspitzen, wenn ich länger gesessen habe, aber es hat gut getan.
Heute Morgen habe ich mir einen Trainingsplan für die kommenden Wochen erstellt. Falls der Lauf stattfindet, muss ich gestern in acht Wochen 50km am Stück gehen. Und das erscheint mir noch immer total utopisch, aber wer weiß, vielleicht bekomme ich meine Gelenke ja dazu, das gut zu finden. Immerhin haben die Knie gestern problemlos mitgemacht, was mir zeigt, das Gehen im Gegensatz zu Laufen gut ist.

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Heute meinen Osterzopf gefrühstückt, sehr viel gestrickt, sehr viel SATC geschaut, den NAchmittag auf dem Balkon gesessen. Meine Pizza gemacht und gegessen, mit Freunden über WhatsApp gechattet. Und so langsam merke ich, dass ich nicht mehr kann und nicht mehr will.
Sowohl die Boulder- als auch die Kletterhalle sind seit vier Wochen zu. Es geht nicht nur um die Bewegung, es geht auch um die Kommunikation mit anderen Menschen, den Austausch, den Körperkontakt. Denn ja, auch wenn ich an sich gut alleine zurechtkomme, mir fehlen Umarmungen. Sehr.

 

Ich merke, dass ich die Nachrichten nicht mehr in dem Maß verfolge wie in den ersten Wochen. Wusste ich anfangs die aktuellen Zahlen für Deutschland und teilweise auch noch weitere Länder, habe ich derzeit kaum einen Überblick. Ich fühle mich abgestumpft, ich will raus hier und ich verstehe jeden, der ebenfalls raus will. Nicht einfach meine Klettersachen in den Bus meines Kletterpartners zu werfen und für zwei Tage in den Harz zu fahren, kostet mich von Tag zu Tag mehr Überwindung. Und ich bekomme in den sozialen Medien mit, dass es vielen so geht.

Dazu kommt aber etwas anderes, und das ist gefährlich: Weil der Shutdown derzeit so gut funktioniert, dass die Kurve sich deutlich abflacht (ja, das bekomme ich dann doch mit), glauben viele nicht mehr, dass die Pandemie wirklich ein Problem sei. Und während die einen Masken nähen, damit wir alle besser geschützt miteinander umgehen können, wenn wir einkaufen oder die Maßnahmen etwas gelockert werden, verlieren die anderen sich in Verschwörungstheorien darüber, dass das Virus ja nur ein Vorwand sei, um Deutschland in einen Polizeistaat zu verwandeln, das Bargeld abzuschaffen oder uns nach Aldebaran zu transferieren (fügt hier einfach jede beliebige weitere Verschwörungstheorie ein, irgendjemand hat sie garantiert schon mit Covid-19 in Verbindung gebracht).
Und genau diese Menschen gefährden das, was wir bisher durch den Shutdown erreicht haben: Eine kollektive Sicherheit, das Verhindern der sogenannten italienischen Verhältnisse. Denn wir haben noch immer nicht den Peak überschritten, noch lange sind nicht 50% oder mehr mit Covid-19 in Berührung gekommen, so dass die Neuinfektionsrate deutlich absteigen würde. Und wenn genug Menschen keine Lust mehr haben, sich freiwillig aus den öffentlichen Leben zurückzuziehen, dann schießt die Kurve ganz schnell wieder in die Höhe. Was dann mehrere mögliche Folgen haben kann: Zum einen werden dann die Einschränkungen verschärft, zum anderen kann es zu Engpässen in den Kliniken führen. Ich sage es gerne noch mal: Triage ist kein Spaß. Was im Klinikalltag kein Problem ist (der Patient mit den akutesten Verletzungen kommt schneller dran als der, der nur einen blauen Fleck hat), ist in Krisensituationen die Entscheidung über Leben und Tod. Das will nicht nur keiner als Patient erleben, das möchte auch kein Arzt machen müssen.

Dann gibt es noch die Helden, die meinen, es reiche doch, alle Menschen aus Risikogruppen „einzusperren“, dann könnten die anderen wieder ihr ganz normales Leben leben. Das ist auf mehreren Ebenen falsch: Erstens bedeutet es, dass eine nicht unerhebliche Anzahl an Menschen auf unbestimmte Zeit eingesperrt wird – grobe Berechnungen sagen, dass etwa 30% aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustandes gefährdet sind, schwere Verläufe bei Covid-19 zu durchleben -, damit die anderen ihrem Egoismus frönen können. Das ist asozial und inhuman. Dass diese Menschen nicht alle Rentner sind und damit auch im System fehlen, kann man sich zusätzlich ausrechnen. Dass die anderen sich dann vermutlich sehr schnell anstecken, und wir somit eben trotzdem italienische Verhältnisse bekommen können (ja, es gibt auch schwere Verläufe bei Menschen, die auf den ersten Blick nicht gefährdet sind) und dass sich auch Klinikpersonal in größerer Zahl anstecken wird, wenn sich wieder alle frei bewegen, ist auch kein Geheimnis.
Und dann bliebe eben die Frage, wie wir entscheiden, wer zuhause bleiben muss (und dann wohl nicht nur im Lockdown, sondern in strenger Quarantäne) und wer raus darf.
Nein, keine gute Lösung.

Aktuell geistert ein Artikel herum von einem Arzt, der sagt, es sei noch niemand an Covid-19 gestorben, die Menschen hätten alle Vorerkrankungen gehabt und seien entweder an Lungenentzündung oder an Herzversagen gestorben.
Willkommen bei Covi-19: Das ist genau das, was dieses Virus macht. Es greift die Lunge an und belastet damit zugleich das Herz, weil die Lunge nicht mehr genug Sauerstoff aufnehmen kann und das Herz mehr Blut pro Minute pumpen muss, was wiederum bei Herzerkrankungen, Bluthochdruck oder auch einfach Übergewicht zu Herzversagen führen kann. Diese Menschen sterben vielleicht nicht direkt am Virus, aber an dessen Folgen. Sie wären also zu einem großen Teil noch am Leben, wenn sie nicht an Covid-19 erkrankt wären.

Daher, liebe Leute: Auch wenn das Wetter geil ist und der Hintern inzwischen die Form de Couch angenommen hat: Bleibt vernünftig. Geht raus, geht spazieren, macht Sport, aber haltet Abstand, tragt Mundschutz, wenn ihr in Geschäfte oder auf die Arbeit geht, telefoniert mit Freunden und Familie statt sie zu besuchen. Wir retten damit Leben. Unser eigenes und das von anderen. Und das sollte uns eine Menge Unannehmlichkeiten wert sein.

Zu den wirtschaftlichen Folgen möchte ich mich gerade nicht äußern, auch, weil ich mich noch nicht genug damit beschäftigt habe. Ja, mir ist klar, dass gerade Existenzen den Bach heruntergehen und dass das furchtbar ist. Ich glaube aber fest daran, dass man immer noch eine Chance hat, wenn man am Leben ist, und daher stelle ich Leben über wirtschaftliche Existenz.

Bleibt tapfer, Leute. Und gesund.

Leben in Zeiten von Corona – und wie lange geht das jetzt noch?

Ich glaube, das ist die Frage, die so ziemlich alle beschäftigt. Wie lange müssen wir denn nun noch zuhause bleiben, auf soziale Kontakte verzichten, auf das Feierabendbier und den Nachmittagskaffee mit Freunden unterwegs? Auf die Pizza beim Italiener, den Urlaub, das Konzert unserer Lieblingsband?

Ich merke immer wieder in den sozialen Medien, teilweise auch in meinem direkten Umfeld, dass die Menschen glauben, dass nach Ostern alles „wieder normal“ verlaufen werde. Dieser Gedanke kommt daher, dass die strikten Maßnahmen zunächst bis Ostern festgelegt wurden (indem Kitas und Schulen vorzeitig „bis zu den Osterferien und inklusive“ geschlossen wurden). Anfang der Woche wurden die Maßnahmen vorsichtig bis zum 20.04. verlängert, was auch nicht so lange nach Ostern ist, Und dann? Dürfen wir dann wieder raus, findet die Kieler Woche doch Ende Juni statt (aktuell ist sie auf Anfang September verschoben), werden Fußballspiele wieder vor vollen Tribünen stattfinden, dürfen wir endlich wieder auf Spielplätze, in Kletterhallen und an den Strand?
Ich bin nicht der Messias und besitze auch keine Glaskugel. Aber ich höre und lese vieles zum Thema und ich kann rechnen. Wie ich in einem der ersten Beiträge zum Thema schon berechnet habe: Bis zur Herdenimmunität kann es locker ein Jahr dauern. Oder auch zwei. Viel besser und vor allem verständlicher hat das Mai Thi Nguyen-Kim in ihrem neuesten Video ihres Kanals mailab erklärt, das ich hier gerne verlinke:

maiLab: Corona geht gerade erst los

Schaut es euch in Ruhe an, ich finde, dass sie die Zahlen sehr gut zusammenfasst.

Sicher ist, dass es kein „back to normal“ geben wird. Sicher ist auch, dass unsere Wirtschaft keinen monatelangen Lockdown verträgt. Wir brauchen also einen Mittelweg, der so vielen wie möglich das (biololische) Leben erhält und so wenigen wie nötig das (wirtschaftliche) Leben ruiniert. Und dafür müssen wir die Ausbreitung derart verlangsamen, dass wir diese nach Möglichkeit wieder komplett unter Kontrolle haben und jede neue Infektion direkt zum „Absender“ verfolgen und alle Infizierten unverzüglich isolieren können. Das geht aber halt nicht, wenn wieder alle lustig Parties feiern, reisen und in Menschenmassen schwitzen. Mit viel Glück kommen wir in zwei, drei Monaten an den Punkt, dass die meisten von uns ihre Arbeit wieder aufnehmen können und wir uns wieder in Cafés oder am Strand mit unseren Freunden treffen können.

Aber vielleicht schaffen wir es ja auch, diese extremen Zeiten als Chance zu begreifen. Als Chance in so vielen Bereichen: Zum einen fördert die Situation erstaunlich stark die Kreativität der Menschen. Was ich bereits alles an witzigen und tollen Bildern, Filmen und Mitmachaktionen mit Coronabezug gesehen habe, macht mir Mut. Und es muss ja nicht bei mehr oder weniger privater Unterhaltung aufhören. Dass Unterricht jetzt online stattfindet, erfordert auch Kreativität. Wenn eine Lehrerin auf Twitter beschreibt, dass einer ihrer Schüler während des Matheunterrichts joggen geht, weil er sich dann besser konzentrieren kann, dann kann das dazu anregen, generell die Formen unseres Unterrichts zu überdenken. Das gleiche gilt analog fürs Homeoffice, das viele plötzlich als durchaus umsetzbar und sehr produktiv empfinden.
Nachbarschaftshilfe entsteht an allen Ecken und Enden, die Menschen muszieren von Balkon zu Balkon miteinander, in Hamburg stellt sich ein Fitnesstrainer auf die Straße und gibt Kurse für die Anwohner, und so weiter und so fort. Die Autos bleiben viel häufiger stehen, man geht eher zu Fuß oder mit dem Rad zum Einkaufen, und wenn man nicht in den Urlaub fahren kann, dann kommt der Urlaub eben zu uns nach Hause. Museen und Opernhäuser bieten virtuelle Ausstellungen und kostenlose online-Konzerte an, Büchereien verlängern ihre Leihfristen und bieten günstige ebook-Leihmöglichkeiten, alle Streamingdienste haben tolle Dokumentationen im Programm, und erstaunlich viele Menschen entdecken das Telefon wieder als Kommunikationsmittel.

Wenn wir all diese geballte kreative Kraft nutzen, werden wir auch Wege finden, diese Krise nicht nur zu überleben, sondern gestärkt aus ihr hervorzugehen. Vielleicht mit etwas weniger „weiter, schneller, höher“ und etwas mehr „langsam und bedächtig“ im Blick. Mit mehr Fokus für das Wesentliche und weniger Zerstreuung um der Zerstreuung Willen. Und es werden ganz tolle Lösungen entstehen für Probleme, die wir (nicht nur erst) durch Covid-19 haben. Wirtschaftliche Lösungen, aber auch zwischenmenschliche. Ich habe jedenfalls die Hoffnung, dass wir mit einer veränderten, aber gestärkten Gesellschaft aus dieser Krise kommen.

Und bis es so weit ist, versuche ich, meine Nähmaschine zu reinigen und zum Laufen zu bringen. Dann gibt es einen hübschen Mundschutz und vielleicht wird ja auch endlich mein Sommerkleid mal fertig. 😉

Und auch, wenn „bleibt gesund“ der neue Abschiedsgruß ist: Eigentlich geht es gar nicht darum. Denn mittelfristig müssen sich 60-70% der Bevölkerung infizieren, um die Pandemie „auszutrocknen“ und Herdenimmunität zu erreichen. Aber bleibt so lange wie möglich gesund, damit sich die Infektionen auf einen langen Zeitraum verteilen.

 

Leben in Zeiten von Corona – Zeitvertreibe

Sorry, jetzt war es hier viel länger still als geplant. Das lag zum einen daran, dass ich morgens immer dachte „heute Abend bloggst du über das, was du tagsüber getan hast“, aber dann war ich abends zu platt und zu müde und hatte Kopfschmerzen (seit 14 Tagen werde ich sie nicht richtig los), zum anderen daran, dass ich dachte „mach mal was fertig und blogge dann erst darüber.“

Nun ja, ich bin jemand, der quasi alles durcheinander macht, und so werde ich nie wirklich fertig. Daher jetzt also eine kleine Zusammenfassung der Dinge, die ich so getrieben habe, für das eine oder andere Thema eröffne ich bestimmt noch eigene Artikel.

Letzten Montag (es fühlt sich wirklich deutlich länger her an) stellte ich fest, dass ich den Punkt, an dem die Haare geschnitten werden müssen, erreicht habe. Das ist wie mit Fingernägeln, nur sind die Intervalle länger. Irgendwann sind sie zu lang.
Was also tun? Die Friseure haben geschlossen, ich kenne niemanden persönlich, der mir die Haare schneiden könnte, also setzte ich vorsichtig meine Küchenschere an einer kleinen Locke an – und musste feststellen, dass sie unsagbar stumpf war. Mitten in der Nacht habe ich mir dann nicht nur eine Friseurschere bestellt, sondern auch noch ein paar Produkte zur Haarpflege (nachdem ich wieder auf die Curly Girl / Hair Method gestoßen war und dieser noch eine Chance geben wollte) und Farbe. Und zwar nicht braun. 😉
Lieferzeitpunkt der einzelnen Produkte: zwischen Samstag (28.03.) und dem 05.05. Letzteres war natürlich die Schere. Also habe ich Dienstag todesmutig meiner Nachbarin im Homeoffice geschrieben, ob sie eine Friseurschere hat, und sie antwortete: „Komm mal zur Tür, ich zeige Dir mein Sortiment.“
Kurz darauf war ich mit einer schmalen, scharfen Bastelschere bewaffnet und habe mir die Haare geschnitten. Nicht viel, so 10-15cm (im nassen Zustand hingen die längsten Strähnen fast bis auf den Hintern, das war also echt okay). Ein bisschen nachgearbeitet: Sieht nicht schlecht aus!
Mehr zum ganzen Haarthema dann in einem eigenen Blogartikel, sonst schlaft ihr mir hier alle ein, bis ich mit allem durch bin.

Das zweite war dann die Wiederentdeckung meiner Stricksachen. Ich hatte im Oktober ein Paar Socken dabei, als ich eine Freundin besuchte. Socke 1 wurde fertig, von Socke 2 hatte ich das halbe Bündchen. Also habe ich Socke 2 beendet und dann beschlossen, den Pullover, den ich vor gut drei Jahren begonnen habe, endlich zu beenden. Eine ausgeräumte Wollecke meiner Abstellkammer später wusste ich: Ich hab verdammt viel Wolle, auch noch sieben Knäule für den Pulli – aber wo ist der eigentlich? Ich fand ihn dann im Arbeitszimmer an der Türklinke hängend (im Leinenbeutel). Und er hatte Mottenlöcher. Oh no!
Nebenbei hatte ich dann schon Wolle für neue Projekte bestellt und außerdem einen Möbius-Loopschal wieder ausgebuddelt, der auch erst ein paar Zentimeter breit war. Also den Rest wieder eingepackt und den Schal weitergestrickt.
Inzwischen ist der Pulli aufgeribbelt und neu gestartet, eine weitere Socke beendet und der Loopschal befindet sich gerade in Abkettung.
Auch zum Stricken werde ich noch einen eigenen Artikel starten. Oder mehrere, mal sehen.

Ansonsten schaue ich Serien, spiele online-Games und hatte am Samstag Besuch. Mein Kletterpartner sitzt wie ich alleine in seiner Wohnung (eigentlich wären wir jetzt ungefähr seit einer Woche unterwegs im Donautal, im Frankenjura oder anderswo zum Klettern) und wir hatten das dringende Bedürfnis, mal wieder nebeneinander zu sitzen und zu quatschen. Das war wirklich toll – ich bin ja bekennender Einsiedlerkrebs, aber ich mag dann doch auch hin und wieder mal einen Menschen um mich haben.

Auch mit meiner Balkonnachbarin führe ich hin und wieder nette, lange Gespräche (wir haben es nach 13 Jahren jetzt mal zum offiziellen Du geschafft, nachdem uns das vorher schon mal hin und wieder rausgerutscht ist) und wenn ich Nachbarn im Treppenhaus treffe, reden wir auch miteinander.
Ich gehe einkaufen, hin und wieder spazieren und ansonsten bin ich ziemlich faul. Naja, ich habe angefangen, meine Wohnung aufzuräumen und mag, was da passiert. Mal schauen, wie weit ich komme.
Ich werde wohl viel Zeit haben, mehr als gedacht, denn Montag bekam ich meine Kündigung. Ich hatte gehofft, dass mein Arbeitgeber länger mit kurzarbeit durchhält, aber nun ist es, wie es ist, Wir gehen alle nicht davon aus, dass die Gastronomien so schnell wieder ihren Betrieb aufnehmen dürfen, und wenn doch, stellen sie uns (zumindest einige) wieder ein.

Was mir noch so durch den Kopf ging: Wir leben in ungewöhnlichen Zeiten, Wir müssen lernen, wieder Rücksicht aufeinander zu nehmen. Das klappt auf der einen Seite sehr gut, auf der anderen gar nicht. Viele zeigen andere an, weil diese sich nicht daran halten, nur zu zweit rauszugehen. Strände werden gesperrt, weil alle gleichzeitig ans Meer strömen, Und so weiter und so fort.
Machen wir es uns doch mal zur Aufgabe, netter miteinander umzugehen. Kritik positiv zu formulieren, anstatt nur draufzuhauen. Beweggründe zu hinterfragen. Kauft da jemand so viel Klopapier, weil er seine Nachbarn mit versorgt, sieben Kinder hat oder eine Jugendwohnung betreut?
Sind die Stimmen, die sich auf Verschwörungen berufen, nicht einfach nur Stimmen der Angst? Wie können wir ihnen diese nehmen?
Und: telefoniert mehr miteinander. Schreibt Briefe, Karten, Mails oder SMS. Zeigt den anderen, dass ihr an sie denkt.

Seid nett zueinander. Und bleibt gesund!

Leben in Zeiten von Corona – von Freude und Hoffnung

Gestern habe ich mich aufgerafft und mal wieder ein Kernwerk-Training absolviert. Das war recht moderat, aber auch nicht zu lasch. Für den Wiedereinstieg ziemlich perfekt. Ich möchte versuchen, jeden Tag eine kleine Sporteinheit einzubauen, da ich hier sonst fröhlich verfette. Von sieben Stunden Stehen und Gehen täglich auf quasi Null herunter ist nicht gut für mich.

Danach habe ich dann eine kleine Rundtour gemacht. Ich wollte / musste eh noch in die langsam schwindende Hexenküche und zwei Pakete versenden, außerdem hatte mich eine Kundin aus der Kletterhalle gefragt, wie sie an ihre im Spind eingelagerten Sachen herankommt – da ich einen Hallenschlüssel habe, konnte ich das schnell für sie holen. Und ein Paket bei der Post musste ich auch noch abholen.

Also erst zur Post und kurz aber nett mit dem Mitarbeiter dort geschnackt. Dann weiter zur Halle, wo zu meiner Überraschung eine Kollegin gerade dabei war, Routen abzuschrauben, um in den kommenden Tagen neue an die Wand zu bringen. Das macht Mut, denn es zeigt doch, dass die Betreiber fest davon ausgehen, dass es weitergehen wird, wenn wir die Corona-Krise einigermaßen ausgestanden haben. Nachdem ich erst die Ersatzschlüssel nicht finden konnte, habe ich dann doch die Sachen mitnehmen können. Schnell in die Hexenküche und die beiden Päckchen gepackt und hier zur Post gebracht (ja, hätte ich besser lösen können, ich wusste aber nicht, wie lange ich brauche und ob die Filiale mit meinem Paket dann noch geöffnet hat). Und wieder nach Hause. Und hier nicht wirklich was gemacht außer herumzugammeln, zu lesen, zu schlafen und dann nicht wieder in die Hufe zu kommen – ich habe den Mittagsschlaf als Kind schon gehasst und noch heute ist es so, dass mir mein Kreislauf abhaut, auch wenn ich nur kurz schlafe. Ich brauche dann idealerweise eine deftige Mahlzeit oder zumindest einen Ziegenleckstein, um wieder fit zu werden. Gestern hab ich das mit einem Salat und Knoblachecken gelöst – letztere habe ich locker seit 13 Jahren nicht mehr gegessen, jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, sie in meiner aktuellen Wohnung je gemacht zu haben.
Viel mehr ging dann auch nicht, ich hab dann die Serie Dare Me auf Netflix angefangen. Abgesehen von echt krassen sportlichen Leistungen der Cheerleader ist die Serie düsterer als erwartet. Nix mit heiler Teeniewelt und so.

Heute war ich auch erstmal recht faul und hab mich dann entschieden, mit dem Rad zu Bekannten zu fahren, die riesige Mengen Brötchen zum WEiterverteilen bekommen hatten. Da dann noch einen Tee getrunken und mit zwei prall gefüllten Stoffbeuteln mit Brötchen nach Hause. Lecker gefrühstückt und dann wieder Couch, Katze, Buch, Netflix.

Kurz nach sechs hörte ich Musik von draußen. Tatsächlich, meine Nachbarn hatten einen Verstärker vor ihren Hauseingang gestellt und mit Geige, Gitarre und Gesang die Ode an die Freude angestimmt. Und viele weitere Nachbarn standen auf den Balkonen, hörten zu und sangen mit. Das war wunderschön! Er hat dann noch ein bisschen weiter Geige gespielt und kurz vor sieben haben wir dann alle gemeinsam Der Mond ist aufgegangen angestimmt. Ich hab mich sogar getraut, die Flöte auszupacken, was ich selten mache, weil ich ja nach wie vor nur sehr schlecht spiele. Aber es ging und hat Spaß gemacht!
Es tut gut, zu sehen, dass wir Nachbarn gemeinsam etwas auf die Beine stellen, miteinander reden, füreinander da sind. Ich bin gar nicht so alleine wie ich dachte, wenn ich hier zuhause bleibe. Danke, ihr Lieben!

Alles in allem war das ein schönes Wochenende, und auch, wenn ich noch mindestens drei Wochen zuhause sein werde, weil ich ja Urlaub habe (und bisher nicht davon ausgehe, dass nach Ostern alles wieder ist wie vor Corona, also werde ich wohl noch länger zuhause sein), habe ich so langsam das Gefühl, dass es gehen wird. Ohne Vereinsamung und Verlottern. Dafür habe ich auch zu viele Dinge, die ich gerne mache, auch wenn ich merke, dass ich mich zur Zeit noch schlechter konzentrieren kann als sonst.
Aber meine Socke wächst und gedeiht, in meinem Buch komme ich auch voran, und bald werde ich auch wieder Flöte üben und Französisch lernen. Mir ist klar, dass es nicht so einfach ist, aber es hilft zumindest ein wenig, die Krise auch als Chance zu sehen. Als Chance, ein bisschen herunterzufahren und bei sich anzukommen, achtsamer zu sein und sich nicht zu sehr zerfasern zu lassen.

Bleibt gesund – oder werdet zumindest nicht alle auf einmal krank!