Ich bin ein Corona-Gegner

„Was? Wie jetzt? Also, das hätte ich ja nicht von dir gedacht!“

Piano. Lasst es mich erklären.
Also: Ich finde Corona total scheiße. Hätte ich einen einzigen Wunsch frei, dann den, dass das Virus einfach verschwindet. Dass es nie aufgetreten wäre, denn dann hätte ich im Frühjahr einen tollen Urlaub gehabt, wäre dieses Jahr viel draußen klettern gewesen, nicht wieder in einer Depression versunken und hätte ihren Geburtstag mit meiner Mutter feiern können (und meinen auch mit meiner Familie und meinen Freunden).

Ganz ehrlich: Ich kenne niemanden, der für Corona ist. Oder kennt ihr jemanden, der sagt „ey, voll knorke, dass da jetzt so ein krasses Virus unterwegs ist, dessen Auswirkungen wir noch gar nicht so richtig überblicken können. Komm, lass mal Oma anstecken, die hatte lange keine Abenteuer mehr“? Nee, oder? Ich auch nicht.
Kein Mensch findet Corona toll. Niemand will es haben (bis auf ein paar Verwirrte, die glauben, dass sie dann für immer immun sind), niemand findet es total super, in der Öffentlichkeit Maske tragen zu müssen.

Aber – und damit erzähle ich eigentlich auch nichts Neues, aber falls doch: Schön, dass du es liest! – das Virus interessiert das einfach nicht. Es ist ihm kackegal, weil es eben kein denkendes, fühlendes Wesen ist, sondern ein Virus, das einzig und alleine daran interessiert ist, zu überleben. Und das schafft es halt, indem es sich einen Wirt sucht, sich in ihm reproduziert und seine Nachfahren dann zum nächsten Wirt überspringen. Dass es dabei in seinem Wirt ziemlichen Schaden anrichtet, ist ihm auch egal, denn es ist kein Symbiont, dem daran gelegen ist, seinen Wirt bei Laune und Gesundheit zu halten, sondern ein Schmarotzer, dessen einziges Interesse schnelle Vermehrung ist. Bis es dir schlecht geht, sind schon reichlich Nachfahren des Virus weitergezogen.

Ich kann Corona also scheiße finden, es leugnen und so tun, als sei es nicht da: Das ändert nichts. Es ist da. Es ist gekommen, um zu bleiben. Und das wird es auch noch eine ganze Weile. Für immer, wenn wir keinen Impfstoff und kein Medikament finden, das wirksam gegen SARS-CoV-2 vorgeht, für eine möglicherweise recht lange Weile, bis wir etwas Wirksames gefunden haben.

Und weil ich das doof finde und gegen die Ausbreitung von Corona bin, trage ich Maske, wenn ich in den Supermarkt gehe. Ich gehe derzeit nicht in die Einkaufsstraßen, war seit Februar einmal selbst im Restaurant und versuche, eine für mich gesunde Balance zwischen Nähe zu meinen Freunden und Abstand zu den meisten Menschen zu erreichen. Ich arbeite mit Menschen und ich habe nicht immer eine Barriere zwischen ihnen und mir. Mir ist bewusst, dass ich gefährdeter bin als andere, dass ich zum Träger werden kann, und es macht mir Sorgen.
Auf der anderen Seite möchte ich auch nicht mehr in totaler Isolation leben – die acht Wochen, in denen ich abgesehen vom Supermarktpersonal und meinen Nachbarn exakt einen weiteren Menschen getroffen habe (zweimal), möchte ich nicht noch einmal erleben.
Und genau deshalb trage ich Maske. Genau deshalb verzichte ich auf Parties, Restaurantbesuche, bin einverstanden damit, weder ins Kino noch auf Konzerte gehen zu können und sehe meine Freunde extrem selten. Und meine Familie auch. Nicht mehr gar nicht, aber selten.
Wir alle brauchen Sozialkontakte, selbst die Introvertiertesten unter uns. Und um diese möglichst lange noch haben zu können, halte ich die Maßnahmen für sinnvoll. Lieber schwitze ich eine halbe Stunde unter meiner Maske, als wieder wochenlang niemanden zu sehen und nicht arbeiten zu dürfen. Denn so lustig das auch eine Zeitlang war, am Ende hat es mir schwer zugesetzt. Lieber halte ich noch eine Zeit lang Abstand zu anderen Menschen, als dass ich andere gefährde.

Diejenigen, die keine Masken tragen wollen, die behaupten, nicht an Corona zu glauben, denen es egal ist, dass sie andere gefährden können, sind auch diejenigen, die den nächsten Lockdown am schwersten wegstecken. Und gleichzeitig die, die ihn am ehesten hervorrufen.
Seid nicht dumm. Seid egoistisch. Tragt die verdammten Masken, damit es keinen zweiten Lockdown gibt. Denn glaubt mir: Wenn wir im Winter alle eingesperrt sind und womöglich wirklich nur noch für die nötigsten Besorgungen nach draußen dürfen, dann ist das hart. Es ist dunkel, es ist kalt, und wir sitzen drinnen und starren Netflix an. Und irgendwann kennen wir alle Serien, alle Filme, und wir können uns nicht mal auf den Balkon setzen, weil wir uns dort den Arsch abfrieren.

Daher: Seid gegen Corona! Sorgt dafür, dass das Virus keine Chance mehr hat. Tragt Masken, haltet Abstand, wascht eure Hände. Seid egoistisch, tut es für euch. Eure Oma, die kranke Nachbarin und der Herzpatient im Einkaufszentrum sind euch ja eh egal, aber ihr selbst geht euch nicht am Arsch vorbei. Denkt weiter als nur bis morgen. Damit wir 2021 wieder auf Festivals und in Biergärten gehen können, damit die Kieler Woche und das Oktoberfest stattfinden, damit wir uns wieder ungestraft in den Armen liegen können, wenn unser Verein den Sieg nach Hause trägt.

Leben in Zeiten von Corona – Lagerkoller und die Gefahr der Gewöhnung

Gestern oder heute wäre ich aus meinem Urlaub zurückgekommen. 2,5 Wochen Klettern und Camping im Donautal, in der Fränkischen Schweiz und im Harz haben nicht stattgefunden. Stattdessen habe ich überwiegend auf meiner Couch gewohnt, die Katze geknuddelt (die ist an manchen Ecken schon ganz abgeschubbert, und da ich das nicht war, gehen wir wohl Dienstag mal zum Tierarzt) und zu viel gegessen.

Letztes Wochenende habe ich meinen Balkon aufgeräumt, so richtig. Alles weggeräumt, was herumstand, die alte Blumenerde hinterm Haus ins Beet gekippt und die leeren Töpfe in den Keller gebracht. Die Bodenfliesen angehoben und abgebürstet, ca. 5l Blumenerde vom Boden aufgefegt und diesen dreimal gewischt, bis er einigermaßen sauber war. Dann die Fliesen gewaschen, trocknen lassen, geölt und wieder ausgelegt. Die Liege ebenfalls geölt, die Fensterbank gewischt und die Vogelfutterbälle ausgetauscht. Seitdem wohne ich überwiegend auf meinem Balkon, sofern das Wetter es zulässt.

Mein Pullover ist fast wieder an der Stelle, an der ich ihn aufgeribbelt hatte. Und ich brauche mehr Wolle, als ich habe, ich muss also nachbestellen und hoffen, dass die Farbe passt, das ist bei unterschiedlichen Chargen nicht immer so.
Ich habe letzten Montag meinen Kletterpartner auf seinem Balkon besucht und wir haben uns an den Strand gesetzt. Ich brauchte das, mal rauszukommen. Dafür hatte ich die ganze Woche keine Lust auf Bewegung, und ich bemerke eine gewisse „ist ja auch egal, ich habe ja Zeit“-Haltung an mir. Aber so ein paar Dinge müsste ich halt schon erledigen, weil die Deadlines haben. Oder zumindest Konsequenzen, wenn ich sie nicht erledige. So wie der Strafzettel, der hier noch herumfliegt, weil ich keinen legalen Parkplatz im Umkreis meiner Arbeit gefunden hatte. Das kommt mir vor wie in einer anderen Welt.
Dienstag habe ich lange mit meiner Balkonnachbarin geschnackt (wir sind dann jetzt per Du) und sie lud mich in ihren Schrebergarten ein. Da war ich am Mittwoch. Und danach verliert sich so ein bisschen die Übersicht, was ich wann gemacht habe. Ach doch: Donnerstag hat die Boulderhalle aussortierte Griffe verschenkt und ich habe das zum Anlass genommen, mich mit einer Freunden vor Ort zu treffen und mit gebührendem Abstand ein bisschen zu quatschen. Tat gut!
Gestern habe ich jedenfalls einen Hefevorteig angesetzt und im Eiswürfelbereiter eingefroren. Zwei Teile habe ich behalten und zum einen einen Hefezopf und zum anderen Pizzateig daraus gemacht. Beide sind ganz hervorragend geworden und ich befürchte, ich werde in absehbarer Zeit kein Gramm abnehmen.

Ebenfalls gestern haben wir in unserer WhatsApp-Gruppe zum Megamarsch darüber geredet, ob wir so tun, als falle die Veranstaltung auf jeden Fall aus, alles stornieren und nicht trainieren, oder ob wir so tun, als werde der Marsch auf jeden Fall stattfinden. Ich hab mich für Variante 2 entschieden und bin 15km gewandert. Mit Rucksack (leer bis auf Portemonnaie, einen Proteinriegel und die Trinkflasche) und ordentlichem Tempo (Pace von 9:35). Wieder ins Eidertal, dieses Mal aber einen alternativen Rückweg, der mich letztlich durch mein altes Jogginggebiet nach Hause brachte. Ich habe noch immer Muskelkater im Hintern und gehe auf Zehenspitzen, wenn ich länger gesessen habe, aber es hat gut getan.
Heute Morgen habe ich mir einen Trainingsplan für die kommenden Wochen erstellt. Falls der Lauf stattfindet, muss ich gestern in acht Wochen 50km am Stück gehen. Und das erscheint mir noch immer total utopisch, aber wer weiß, vielleicht bekomme ich meine Gelenke ja dazu, das gut zu finden. Immerhin haben die Knie gestern problemlos mitgemacht, was mir zeigt, das Gehen im Gegensatz zu Laufen gut ist.

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Heute meinen Osterzopf gefrühstückt, sehr viel gestrickt, sehr viel SATC geschaut, den NAchmittag auf dem Balkon gesessen. Meine Pizza gemacht und gegessen, mit Freunden über WhatsApp gechattet. Und so langsam merke ich, dass ich nicht mehr kann und nicht mehr will.
Sowohl die Boulder- als auch die Kletterhalle sind seit vier Wochen zu. Es geht nicht nur um die Bewegung, es geht auch um die Kommunikation mit anderen Menschen, den Austausch, den Körperkontakt. Denn ja, auch wenn ich an sich gut alleine zurechtkomme, mir fehlen Umarmungen. Sehr.

 

Ich merke, dass ich die Nachrichten nicht mehr in dem Maß verfolge wie in den ersten Wochen. Wusste ich anfangs die aktuellen Zahlen für Deutschland und teilweise auch noch weitere Länder, habe ich derzeit kaum einen Überblick. Ich fühle mich abgestumpft, ich will raus hier und ich verstehe jeden, der ebenfalls raus will. Nicht einfach meine Klettersachen in den Bus meines Kletterpartners zu werfen und für zwei Tage in den Harz zu fahren, kostet mich von Tag zu Tag mehr Überwindung. Und ich bekomme in den sozialen Medien mit, dass es vielen so geht.

Dazu kommt aber etwas anderes, und das ist gefährlich: Weil der Shutdown derzeit so gut funktioniert, dass die Kurve sich deutlich abflacht (ja, das bekomme ich dann doch mit), glauben viele nicht mehr, dass die Pandemie wirklich ein Problem sei. Und während die einen Masken nähen, damit wir alle besser geschützt miteinander umgehen können, wenn wir einkaufen oder die Maßnahmen etwas gelockert werden, verlieren die anderen sich in Verschwörungstheorien darüber, dass das Virus ja nur ein Vorwand sei, um Deutschland in einen Polizeistaat zu verwandeln, das Bargeld abzuschaffen oder uns nach Aldebaran zu transferieren (fügt hier einfach jede beliebige weitere Verschwörungstheorie ein, irgendjemand hat sie garantiert schon mit Covid-19 in Verbindung gebracht).
Und genau diese Menschen gefährden das, was wir bisher durch den Shutdown erreicht haben: Eine kollektive Sicherheit, das Verhindern der sogenannten italienischen Verhältnisse. Denn wir haben noch immer nicht den Peak überschritten, noch lange sind nicht 50% oder mehr mit Covid-19 in Berührung gekommen, so dass die Neuinfektionsrate deutlich absteigen würde. Und wenn genug Menschen keine Lust mehr haben, sich freiwillig aus den öffentlichen Leben zurückzuziehen, dann schießt die Kurve ganz schnell wieder in die Höhe. Was dann mehrere mögliche Folgen haben kann: Zum einen werden dann die Einschränkungen verschärft, zum anderen kann es zu Engpässen in den Kliniken führen. Ich sage es gerne noch mal: Triage ist kein Spaß. Was im Klinikalltag kein Problem ist (der Patient mit den akutesten Verletzungen kommt schneller dran als der, der nur einen blauen Fleck hat), ist in Krisensituationen die Entscheidung über Leben und Tod. Das will nicht nur keiner als Patient erleben, das möchte auch kein Arzt machen müssen.

Dann gibt es noch die Helden, die meinen, es reiche doch, alle Menschen aus Risikogruppen „einzusperren“, dann könnten die anderen wieder ihr ganz normales Leben leben. Das ist auf mehreren Ebenen falsch: Erstens bedeutet es, dass eine nicht unerhebliche Anzahl an Menschen auf unbestimmte Zeit eingesperrt wird – grobe Berechnungen sagen, dass etwa 30% aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustandes gefährdet sind, schwere Verläufe bei Covid-19 zu durchleben -, damit die anderen ihrem Egoismus frönen können. Das ist asozial und inhuman. Dass diese Menschen nicht alle Rentner sind und damit auch im System fehlen, kann man sich zusätzlich ausrechnen. Dass die anderen sich dann vermutlich sehr schnell anstecken, und wir somit eben trotzdem italienische Verhältnisse bekommen können (ja, es gibt auch schwere Verläufe bei Menschen, die auf den ersten Blick nicht gefährdet sind) und dass sich auch Klinikpersonal in größerer Zahl anstecken wird, wenn sich wieder alle frei bewegen, ist auch kein Geheimnis.
Und dann bliebe eben die Frage, wie wir entscheiden, wer zuhause bleiben muss (und dann wohl nicht nur im Lockdown, sondern in strenger Quarantäne) und wer raus darf.
Nein, keine gute Lösung.

Aktuell geistert ein Artikel herum von einem Arzt, der sagt, es sei noch niemand an Covid-19 gestorben, die Menschen hätten alle Vorerkrankungen gehabt und seien entweder an Lungenentzündung oder an Herzversagen gestorben.
Willkommen bei Covi-19: Das ist genau das, was dieses Virus macht. Es greift die Lunge an und belastet damit zugleich das Herz, weil die Lunge nicht mehr genug Sauerstoff aufnehmen kann und das Herz mehr Blut pro Minute pumpen muss, was wiederum bei Herzerkrankungen, Bluthochdruck oder auch einfach Übergewicht zu Herzversagen führen kann. Diese Menschen sterben vielleicht nicht direkt am Virus, aber an dessen Folgen. Sie wären also zu einem großen Teil noch am Leben, wenn sie nicht an Covid-19 erkrankt wären.

Daher, liebe Leute: Auch wenn das Wetter geil ist und der Hintern inzwischen die Form de Couch angenommen hat: Bleibt vernünftig. Geht raus, geht spazieren, macht Sport, aber haltet Abstand, tragt Mundschutz, wenn ihr in Geschäfte oder auf die Arbeit geht, telefoniert mit Freunden und Familie statt sie zu besuchen. Wir retten damit Leben. Unser eigenes und das von anderen. Und das sollte uns eine Menge Unannehmlichkeiten wert sein.

Zu den wirtschaftlichen Folgen möchte ich mich gerade nicht äußern, auch, weil ich mich noch nicht genug damit beschäftigt habe. Ja, mir ist klar, dass gerade Existenzen den Bach heruntergehen und dass das furchtbar ist. Ich glaube aber fest daran, dass man immer noch eine Chance hat, wenn man am Leben ist, und daher stelle ich Leben über wirtschaftliche Existenz.

Bleibt tapfer, Leute. Und gesund.

Leben in Zeiten von Corona – und wie lange geht das jetzt noch?

Ich glaube, das ist die Frage, die so ziemlich alle beschäftigt. Wie lange müssen wir denn nun noch zuhause bleiben, auf soziale Kontakte verzichten, auf das Feierabendbier und den Nachmittagskaffee mit Freunden unterwegs? Auf die Pizza beim Italiener, den Urlaub, das Konzert unserer Lieblingsband?

Ich merke immer wieder in den sozialen Medien, teilweise auch in meinem direkten Umfeld, dass die Menschen glauben, dass nach Ostern alles „wieder normal“ verlaufen werde. Dieser Gedanke kommt daher, dass die strikten Maßnahmen zunächst bis Ostern festgelegt wurden (indem Kitas und Schulen vorzeitig „bis zu den Osterferien und inklusive“ geschlossen wurden). Anfang der Woche wurden die Maßnahmen vorsichtig bis zum 20.04. verlängert, was auch nicht so lange nach Ostern ist, Und dann? Dürfen wir dann wieder raus, findet die Kieler Woche doch Ende Juni statt (aktuell ist sie auf Anfang September verschoben), werden Fußballspiele wieder vor vollen Tribünen stattfinden, dürfen wir endlich wieder auf Spielplätze, in Kletterhallen und an den Strand?
Ich bin nicht der Messias und besitze auch keine Glaskugel. Aber ich höre und lese vieles zum Thema und ich kann rechnen. Wie ich in einem der ersten Beiträge zum Thema schon berechnet habe: Bis zur Herdenimmunität kann es locker ein Jahr dauern. Oder auch zwei. Viel besser und vor allem verständlicher hat das Mai Thi Nguyen-Kim in ihrem neuesten Video ihres Kanals mailab erklärt, das ich hier gerne verlinke:

maiLab: Corona geht gerade erst los

Schaut es euch in Ruhe an, ich finde, dass sie die Zahlen sehr gut zusammenfasst.

Sicher ist, dass es kein „back to normal“ geben wird. Sicher ist auch, dass unsere Wirtschaft keinen monatelangen Lockdown verträgt. Wir brauchen also einen Mittelweg, der so vielen wie möglich das (biololische) Leben erhält und so wenigen wie nötig das (wirtschaftliche) Leben ruiniert. Und dafür müssen wir die Ausbreitung derart verlangsamen, dass wir diese nach Möglichkeit wieder komplett unter Kontrolle haben und jede neue Infektion direkt zum „Absender“ verfolgen und alle Infizierten unverzüglich isolieren können. Das geht aber halt nicht, wenn wieder alle lustig Parties feiern, reisen und in Menschenmassen schwitzen. Mit viel Glück kommen wir in zwei, drei Monaten an den Punkt, dass die meisten von uns ihre Arbeit wieder aufnehmen können und wir uns wieder in Cafés oder am Strand mit unseren Freunden treffen können.

Aber vielleicht schaffen wir es ja auch, diese extremen Zeiten als Chance zu begreifen. Als Chance in so vielen Bereichen: Zum einen fördert die Situation erstaunlich stark die Kreativität der Menschen. Was ich bereits alles an witzigen und tollen Bildern, Filmen und Mitmachaktionen mit Coronabezug gesehen habe, macht mir Mut. Und es muss ja nicht bei mehr oder weniger privater Unterhaltung aufhören. Dass Unterricht jetzt online stattfindet, erfordert auch Kreativität. Wenn eine Lehrerin auf Twitter beschreibt, dass einer ihrer Schüler während des Matheunterrichts joggen geht, weil er sich dann besser konzentrieren kann, dann kann das dazu anregen, generell die Formen unseres Unterrichts zu überdenken. Das gleiche gilt analog fürs Homeoffice, das viele plötzlich als durchaus umsetzbar und sehr produktiv empfinden.
Nachbarschaftshilfe entsteht an allen Ecken und Enden, die Menschen muszieren von Balkon zu Balkon miteinander, in Hamburg stellt sich ein Fitnesstrainer auf die Straße und gibt Kurse für die Anwohner, und so weiter und so fort. Die Autos bleiben viel häufiger stehen, man geht eher zu Fuß oder mit dem Rad zum Einkaufen, und wenn man nicht in den Urlaub fahren kann, dann kommt der Urlaub eben zu uns nach Hause. Museen und Opernhäuser bieten virtuelle Ausstellungen und kostenlose online-Konzerte an, Büchereien verlängern ihre Leihfristen und bieten günstige ebook-Leihmöglichkeiten, alle Streamingdienste haben tolle Dokumentationen im Programm, und erstaunlich viele Menschen entdecken das Telefon wieder als Kommunikationsmittel.

Wenn wir all diese geballte kreative Kraft nutzen, werden wir auch Wege finden, diese Krise nicht nur zu überleben, sondern gestärkt aus ihr hervorzugehen. Vielleicht mit etwas weniger „weiter, schneller, höher“ und etwas mehr „langsam und bedächtig“ im Blick. Mit mehr Fokus für das Wesentliche und weniger Zerstreuung um der Zerstreuung Willen. Und es werden ganz tolle Lösungen entstehen für Probleme, die wir (nicht nur erst) durch Covid-19 haben. Wirtschaftliche Lösungen, aber auch zwischenmenschliche. Ich habe jedenfalls die Hoffnung, dass wir mit einer veränderten, aber gestärkten Gesellschaft aus dieser Krise kommen.

Und bis es so weit ist, versuche ich, meine Nähmaschine zu reinigen und zum Laufen zu bringen. Dann gibt es einen hübschen Mundschutz und vielleicht wird ja auch endlich mein Sommerkleid mal fertig. 😉

Und auch, wenn „bleibt gesund“ der neue Abschiedsgruß ist: Eigentlich geht es gar nicht darum. Denn mittelfristig müssen sich 60-70% der Bevölkerung infizieren, um die Pandemie „auszutrocknen“ und Herdenimmunität zu erreichen. Aber bleibt so lange wie möglich gesund, damit sich die Infektionen auf einen langen Zeitraum verteilen.

 

Leben in Zeiten von Corona – von Freude und Hoffnung

Gestern habe ich mich aufgerafft und mal wieder ein Kernwerk-Training absolviert. Das war recht moderat, aber auch nicht zu lasch. Für den Wiedereinstieg ziemlich perfekt. Ich möchte versuchen, jeden Tag eine kleine Sporteinheit einzubauen, da ich hier sonst fröhlich verfette. Von sieben Stunden Stehen und Gehen täglich auf quasi Null herunter ist nicht gut für mich.

Danach habe ich dann eine kleine Rundtour gemacht. Ich wollte / musste eh noch in die langsam schwindende Hexenküche und zwei Pakete versenden, außerdem hatte mich eine Kundin aus der Kletterhalle gefragt, wie sie an ihre im Spind eingelagerten Sachen herankommt – da ich einen Hallenschlüssel habe, konnte ich das schnell für sie holen. Und ein Paket bei der Post musste ich auch noch abholen.

Also erst zur Post und kurz aber nett mit dem Mitarbeiter dort geschnackt. Dann weiter zur Halle, wo zu meiner Überraschung eine Kollegin gerade dabei war, Routen abzuschrauben, um in den kommenden Tagen neue an die Wand zu bringen. Das macht Mut, denn es zeigt doch, dass die Betreiber fest davon ausgehen, dass es weitergehen wird, wenn wir die Corona-Krise einigermaßen ausgestanden haben. Nachdem ich erst die Ersatzschlüssel nicht finden konnte, habe ich dann doch die Sachen mitnehmen können. Schnell in die Hexenküche und die beiden Päckchen gepackt und hier zur Post gebracht (ja, hätte ich besser lösen können, ich wusste aber nicht, wie lange ich brauche und ob die Filiale mit meinem Paket dann noch geöffnet hat). Und wieder nach Hause. Und hier nicht wirklich was gemacht außer herumzugammeln, zu lesen, zu schlafen und dann nicht wieder in die Hufe zu kommen – ich habe den Mittagsschlaf als Kind schon gehasst und noch heute ist es so, dass mir mein Kreislauf abhaut, auch wenn ich nur kurz schlafe. Ich brauche dann idealerweise eine deftige Mahlzeit oder zumindest einen Ziegenleckstein, um wieder fit zu werden. Gestern hab ich das mit einem Salat und Knoblachecken gelöst – letztere habe ich locker seit 13 Jahren nicht mehr gegessen, jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, sie in meiner aktuellen Wohnung je gemacht zu haben.
Viel mehr ging dann auch nicht, ich hab dann die Serie Dare Me auf Netflix angefangen. Abgesehen von echt krassen sportlichen Leistungen der Cheerleader ist die Serie düsterer als erwartet. Nix mit heiler Teeniewelt und so.

Heute war ich auch erstmal recht faul und hab mich dann entschieden, mit dem Rad zu Bekannten zu fahren, die riesige Mengen Brötchen zum WEiterverteilen bekommen hatten. Da dann noch einen Tee getrunken und mit zwei prall gefüllten Stoffbeuteln mit Brötchen nach Hause. Lecker gefrühstückt und dann wieder Couch, Katze, Buch, Netflix.

Kurz nach sechs hörte ich Musik von draußen. Tatsächlich, meine Nachbarn hatten einen Verstärker vor ihren Hauseingang gestellt und mit Geige, Gitarre und Gesang die Ode an die Freude angestimmt. Und viele weitere Nachbarn standen auf den Balkonen, hörten zu und sangen mit. Das war wunderschön! Er hat dann noch ein bisschen weiter Geige gespielt und kurz vor sieben haben wir dann alle gemeinsam Der Mond ist aufgegangen angestimmt. Ich hab mich sogar getraut, die Flöte auszupacken, was ich selten mache, weil ich ja nach wie vor nur sehr schlecht spiele. Aber es ging und hat Spaß gemacht!
Es tut gut, zu sehen, dass wir Nachbarn gemeinsam etwas auf die Beine stellen, miteinander reden, füreinander da sind. Ich bin gar nicht so alleine wie ich dachte, wenn ich hier zuhause bleibe. Danke, ihr Lieben!

Alles in allem war das ein schönes Wochenende, und auch, wenn ich noch mindestens drei Wochen zuhause sein werde, weil ich ja Urlaub habe (und bisher nicht davon ausgehe, dass nach Ostern alles wieder ist wie vor Corona, also werde ich wohl noch länger zuhause sein), habe ich so langsam das Gefühl, dass es gehen wird. Ohne Vereinsamung und Verlottern. Dafür habe ich auch zu viele Dinge, die ich gerne mache, auch wenn ich merke, dass ich mich zur Zeit noch schlechter konzentrieren kann als sonst.
Aber meine Socke wächst und gedeiht, in meinem Buch komme ich auch voran, und bald werde ich auch wieder Flöte üben und Französisch lernen. Mir ist klar, dass es nicht so einfach ist, aber es hilft zumindest ein wenig, die Krise auch als Chance zu sehen. Als Chance, ein bisschen herunterzufahren und bei sich anzukommen, achtsamer zu sein und sich nicht zu sehr zerfasern zu lassen.

Bleibt gesund – oder werdet zumindest nicht alle auf einmal krank!

Leben in Zeiten von Corona – zwischen Beschäftigung und Prokrastination

Eigentlich wäre ich in diesen Tagen in extremen Aktivismus verfallen, denn einerseits will/muss ich meine ehemalige Hexenküche bis zum Ende des Monats möglichst komplett geräumt haben, andererseits hätte ich ab Montag drei Wochen Urlaub und wollte mit einem Freund in den Kletterurlaub fahren.

Der Urlaub ist aus nachvollziehbaren Gründen auf unbestimmte Zeit verschoben, frei habe ich aber trotzdem. Aber ich bin leider nur sehr begrenzt motiviert, etwas zu tun. Dazu kommt, dass ich derzeit latente Dauerkopfschmerzen habe, die mich auch nicht so richtig glücklich machen.
Was folgt daraus? Genau, ich puzzle hier ein bisschen herum und mache da ein bisschen was, aber nichts so richtig voller Elan. Wohnung aufräumen putzen? Kann ich auch noch in den kommenden Wochen. Zur Hexenküche fahren auch … Naja, da ist allerdings wirklich noch einiges zu tun und vor allem sehr viel, das auf den Recyclinghof soll. Genauso wie einiges aus meinem Keller, damit ich die Dinge, die ich auf die Schnelle nicht mehr verkaufen kann, da irgendwie noch unterbringe. Falls jemand Kosmetikrohstoffe, Formen, Tiegel, Flaschen etc. pp. gebrauchen kann: Meldet euch bei mir.

Ich habe es heute immerhin geschafft, das gesammelte Altpapier und den Müll rauszubringen, mir was zu kochen und meinen kaputten Lieblingsbecher ein bisschen weiter zu kleben. Das dauert leider, weil ich ein Teil schief eingesetzt habe, es aber auch nicht mehr herausbekomme und nun den Rest ganz vorsichtig zurechtschleifen muss.

Außerdem habe ich mein Strickzeug mal wieder ausgebuddelt und ein bisschen an meiner Socke weitergestrickt. Normalerweise stricke ich ja zwei Socken gemeinsam auf einer Rundstricknadel, hier hatte ich allerdings ein Nadelspiel genommen – und wie immer war die erste Socke fertig und bei der zweiten verließ mich die Lust. Jetzt ist vermutlich die Zeit gekommen, all diese angefangenen Projekte zu beenden. Ich habe noch mindestens zwei angefangene Pullover im Schrank und sicher noch mehr Socken.

Und weil wir alle ja in nächster Zukunft vermutlich deutlich mehr zuhause sein werden als üblich (ob nun ein Lockdown kommt, wie in einigen Bundesländern, oder „nur“ eine freiwillige Ausgangssperre herrscht), dachte ich mir, ich sammle mal, was man so alle machen kann:

  • Stricken oder Häkeln – wer es noch nicht kann, kann es lernen, es gibt tolle Tutorials auf YouTube
  • Zeichnen – ich bin da total unbegabt, habe aber Lust, es mal wieder zu versuchen. Stifte habe ich mehr als genug. Auch hier gibt es reichlich gute Tutorials auf YouTube
  • Ein Instrument spielen – in meinem Fall vor allem Querflöte, kann ich ein bisschen, will ich wieder besser können. Auch dafür habe ich neben meinen gesammelten Noten eine App (tonestro), mit der ich derzeit vor allem noch sehr einfache Volkslieder spiele
  • Backen – das geht irgendwie immer und mit dem Ergebnis kann man auch die vom musikalischen Üben genervten Nachbarn besänftigen. Natürlich sollte man nicht auf die Backware niesen und den Mindestabstand bei der Übergabe wahren!
  • Kochen. Macht satt und glücklich und man kann sich total kreativ austoben. Von Nudeln mit Klopapier rate ich allerdings ab.
  • Puzzles legen. Habe ich ewig nicht mehr gemacht, weiß auch noch nicht, ob ich es wieder machen werde, aber ich habe welche hier.
  • Wer nicht alleine wohnt: Gesellschaftsspiele spielen!
  • Virtuell ins Museum gehen. Unglaublich viele Museen bieten kostenlose virtuelle Rundgänge an. Das gleiche gilt für Zoos, Theateraufführungen etc.
  • Netflix, Amazon Prime etc. haben auch einiges an Ablenkung zu bieten (nutze ich aktuell zu viel, aber hey, ein Laster braucht der Mensch!).
  • Audible hat bis zum 19.04. ein paar Hörbücher kostenlos für alle im Angebot (ja, ohne Abo). Schaut euch mal um, vielleicht ist etwas für euch dabei. Übrigens auch auf Englisch – da kann man dann gleich seine Sprachfähigkeiten auffrischen.
  • Wer eine hat: Die Murmelbahn mal wieder aufbauen. Ich bin stolze Besitzerin einer Cuboro und werde diese ganz sicher in den nächsten Wochen wieder fleißig nutzen
  • Fremdsprachen lernen. Ich bin ein großer Fan von Rosetta Stone, die gerade ihr Lifetime-Angebot auf alle angebotenen Sprachen ausgeweitet haben (nur mein bestehender Account wurde noch nicht geswitcht, da muss ich mal nachhaken, bin mit Französisch und Arabisch aber auch mehr als ausgelastet).
    Alternativ bieten sich aber auch Babbel oder Duolingo an.
  • Und natürlich, Sport machen. Das geht auch in der Wohnung, wie einige sehr lustige Videos zeigen, die derzeit viral gehen. Es geht aber auch mit Eigengewichtsübungen (mit und ohne Anleitung), mit Yoga, einem Hometrainer und vielen anderen Dingen. Es gibt tolle Yoga-Anleitungen im Netz (Yoga mit Adrienne auf YouTube, YogaBurn und einiges mehr), für die allgemeine Fitness nutze ich gerne Kernwerk oder Freeletics.
  • Wer schon immer mal darüber nachgedacht hat, ein Buch zu schreiben, hat vermutlich nie wieder so viel Zeit wie in den kommenden Monaten. Tut es, es macht Spaß (auch, wenn einen die Figuren sehr gerne mal in den Wahnsinn treiben!). Ihr braucht dafür nur Notizbuch und Stift oder Rechner und Textverarbeitungsprogramm. Wer ein deutlich komfortableres Programm möchte, dem kann ich Scrivener ans Herz legen (andere Autoren schwören auf Papyrus Autor).
  • Und last but not least: Lesen. Bücher sind toll! Man trifft auf so viele wunderbare Kulturen, reist in andere Welten, lernt schrullige Figuren kennen. Und der lokale Buchhandel freut sich über Bestellungen (falls das nicht klappt, ist natürlich auch ein ebookreader eine Idee, besonders, wenn man eine Anbindung an die onleihe oder Kindle Unlimited bzw. vergleichbare Angebote nutzt).

 

Vorhin traf ich meine direkten Nachbarn im Treppenhaus. Wir haben uns mit dem gebotenen Sicherheitsabstand kurz unterhalten. Sie ist jetzt im Homeoffice, wir haben also die Möglichkeit, unsere Isolation ein bisschen zu unterbrechen, indem wir uns im Treppenhaus oder von Balkon zu Balkon unterhalten. Das wird auch noch eines meiner Projekte: Meinen Balkon aufzuräumen und herzurichten, damit ich möglichst viel draußen sitzen kann.

Neben all diesem Optimismus erwischt mich hin und wieder aber auch die Erkenntnis, wie surreal das alles ist. Als ich vorhin den Müll rausbrachte, war es viel stiller auf den Straßen als üblich. Keiner meiner Nachbarn war zu sehen, auch nicht auf den Balkonen. In der Ferne war ein Martinshorn zu hören, das normalerweise im Stadtlärm untergegangen wäre. Alles in allem scheint so langsam ins kollektive Bewusstsein zu sickern, dass es ernst ist.

Wer die Zahlen und Hochrechnungen verfolgt, ahnt, dass es in ein paar Wochen nicht vorbei ist. Es kommen spannende Zeiten auf uns zu. Und wie Bilbo Beutlin bin ich mir noch nicht sicher, ob ich wirklich in diesen leben will, aber mir bleibt ja gar nichts anderes übrig. Also machen wir alle das Beste daraus!

Leben in Zeiten von Corona – Ein paar Zahlenspiele

Die Entwicklungen bezüglich des Coronavirus‘ schreiten so schnell voran, dass kaum jemand noch gescheit mitkommt.
Letzten Dienstag sagte ich noch ungläubig zu einer Kollegin „ich hab eben im Radio gehört, Italien hätte 480 bestätigte Fälle, das kann doch unmöglich stimmen?!“ Und während wir noch überlegten, ob das stimmen kann, kam ein Kollege und bestätigte es. Okay, es waren 460 Fälle, aber es war viel – ein paar Tage zuvor waren es keine 20 gewesen.

Heute, nur neun Tage später, hat Italien knapp 3000 Todesfälle durch Corona. Man lasse sich das bitte durch den Kopf gehen, ganz langsam. Von 460 bestätigten Infizierten auf knapp 3000 bestätigte Todesfälle in nur neun Tagen.
Mein Kopf begreift es nicht. Und genau da liegt vermutlich auch das Problem: Die meisten verstehen es nicht. Obwohl es bitterer Ernst ist und die italienischen Krankenhäuser bereits seit Tagen überlastet sind, ist es zugleich völlig abstrakt. Weil es eine Situation ist, die wir so noch nie zu unseren Lebzeiten hatten. Wir haben eine Pandemie, und zwar weltweit. Es gibt zwar Länder, die noch nicht oder kaum betroffen sind, aber es ist eine Frage der Zeit. Und die Menschen sterben wie die Fliegen, wenn nicht rechtzeitig etwas getan wird.

„Ach, so schlimm ist das gar nicht, die Sterberate liegt bei maximal 3%. Und ich bin jung und fit, mich betrifft es eh nicht, ich mache jetzt Party, stecke mich an und wenn ich durch bin, bin ich eh immun.“ Solche und ähnliche Sätze hört man nicht nur vom US-amerikanischen Springbreak, sondern auch hierzulande immer mehr.

Stellen wir mal eine einfache Rechnung auf:

Deutschland hat derzeit knapp 81,5 Mio. Einwohner. Davon werden sich im Laufe der Zeit voraussichtlich 60-70% mit dem neuen Coronavirus infizieren. Das sind dann 49 bis 57 Mio. Menschen.
Von diesen sterben 1-3%, das macht dann im besten Falle knapp 500.000 Tote und im schlechtesten gut 1,7 Mio. Tote.

Wir haben derzeit etwa 28.000 Intensivbetten in ganz Deutschland. Wenn ungefähr 5% der Erkrankten auf Beatmung angewiesen sind, dann hieße das bei 49 Mio. Erkrankten eine Quote von 2,45 Mio. Intensivpatienten.
Nehmen wir weiter an, jeder von ihnen bliebe im Schnitt eine Woche auf der Intensivstation. Dann sind diese 28.000 Betten für 88 Wochen ausgebucht. Das sind fast 1,7 Jahre oder Ein Jahr und acht Monate.

Ein Jahr und acht Monate, in dem keine weiteren Intensivpatienten aufgenommen werden könnten, weil die Betten belegt sind. Kein Herzinfarkt, kein Schlaganfall, kein multiples Organversagen, keine Unfallpatienten – niemand, der dann noch ein freies Bett im Krankenhaus findet.

Selbst, wenn wir wie derzeit in Italien die Patienten nach bereits vier Tagen entlassen und nur 3% der Erkrankten intensivmedizinisch behandelt werden müssen, kommen wir noch auf ein komplettes Jahr volle Bettenauslastung. Ein Jahr, in dem ebenfalls kein anderer Patient auf die Intensivstation kommen darf. Keine OPs, die Intensivpflege benötigen. Keine Beatmung für andere Patienten. Lungenentzündungen, Mukoviszidose, Krebs? Darfst Du alles nicht bekommen oder haben. Und vieles mehr.

Ganz ehrlich: Wenn wir nicht umgehend dafür sorgen, dass wir die Kurve abflachen, sind wir am Arsch. Das da oben sind übrigens die best case-Zahlen. Wenn wir von 70% Infektionen und 10% Intensivpflege für sieben Tage pro Patient ausgehen, sind wir bereits bei vier vollen Jahren Bettenauslastung.

Bleibt verdammt noch mal zuhause, wenn es irgendwie geht! Geht alleine in den Wald oder Park, aber nicht in Gruppen. Sucht euch eine kleinste Peergroup und verlasst diese nicht. Und zwar keiner von euch – diese Gruppe ist euer Sozialkontakt, niemand darf Kontakte außerhalb haben, die über den zu Kassiererinnen, Tankwarten und Ärzten hinausgehen. Wenn ihr arbeiten müsst, sorgt dafür, dass ihr so wenig Kontakt zu Kunden und Kollegen habt, wie irgend möglich. Egal, wie albern andere euch finden.
Meine Kollegin hat Anfang letzter Woche damit begonnen, alles mit Handschuhen zu machen und ihre Hände sowie Kontaktflächen zu desinfizieren. Ich entschuldige mich hiermit bei ihr dafür, dass ich es für überzogen hielt. Ich bin jetzt voll bei ihr.

Ich war heute draußen. Und einkaufen. Ich bin spazieren gegangen und Menschen begegnet. Wir haben alle Abstand gehalten, sind zügig aneinander vorbeigegangen, haben höchstens kurz gegrüßt. Die Spielplätze waren leer, die größte Gruppe, die ich gesehen habe, waren fünf Kinder, ansonsten waren die Menschen alleine oder zu zweit unterwegs. Im Supermarkt wurde der Abstand so gut es ging eingehalten. Das ist wichtig, wenn wir keinen kompletten Lockdown wollen!

Noch ein kleines Rechenbeispiel:

Wenn jeder von uns zu genau vier weiteren Menschen Kontakt hat und diese insgesamt fünf Personen unter sich bleiben, dann ist das eine weitestgehend geschlossene Gruppe. Bekommt einer das Virus, bekommen die anderen fünf es mit großer Wahrscheinlichkeit auch, aber kein weiterer.
Hat auch nur einer von ihnen Kontakt zu einer weiteren Person, die ebenfalls ihre vier Kontaktpersonen hat, so sind insgesamt neun Menschen infiziert. Hat jeder von ihnen Kontakt zu einer weiteren Fünfergruppe (von der er ein Teil ist), so sind insgesamt nicht fünf, sondern 25 Personen infiziert. Und wenn diese auch alle wieder Kontakt zu einer Fünfergruppe haben, sind wir bei 125. Und so weiter und so fort.

Und genau das ist die Gefahr aktuell. Wir igeln uns zwar ein, aber wir treffen uns in Kleingruppen. Heute mit Helga, Bernd und Karl zum Spieleabend, morgen mit der Familie zum Essen. Die Kinder treffen sich heute mit Eva und Finn und morgen mit Lena und Lars. Und diese Personen treffen sich auch wieder heute mit uns und morgen mit anderen. Und so kommt das Virus weiter.
Bis zu einem gewissen Grad soll es das sogar, langsam und halbwegs kontrolliert, damit wir mittelfristig so viele Menschen infiziert haben, dass eine gewisse Grundimmunisierung besteht und die Erkrankungsrate abnimmt. Aber noch sind wir am Anfang der Kurve, nicht in der Mitte und schon lange nicht an ihrem Ende. Und um die Mitte so flach wie möglich zu strecken und die Auslastung der Krankenhäuser so niedrig zu halten, dass auch immer noch Betten für weitere Patienten zur Verfügung stehen, müssen wir unsere realen Kontakte so knapp wie möglich halten – vor allem, solange es noch keinen wirksamen Impfstoff gibt. Und das wird noch recht lange dauern.

Aber wir haben ja andere Möglichkeiten. Telefoniert miteinander. Schreibt Mails. Oder Briefe, wenn Oma keine Mailadresse hat. Chattet, schreibt Whatsapp-Nachrichten und trefft euch online bei Discord oder in MMORPGs. Das macht nebenbei auch noch eine Menge Spaß.

Informiert euch, aber verbreitet keine Panik. Die Zeiten sind hart, aber die allermeisten von uns werden sie überstehen. Wenn wir besonnen handeln.

Ich zitiere mal eine Freundin: „Ich habe sie nicht gewählt, aber Angela Merkel ist meine Kanzlerin.“ Und ja, das, was sie gestern an uns alle gerichtet hat, war klug und besonnen. Wir sollten es uns zu Herzen nehmen.

Die Kieler Woche wurde auf Anfang September verlegt. Ich finde es auf der einen Seite gut, habe aber auf der anderen Seite die Befürchtung, dass das nicht weit genug gedacht ist. Vermutlich wäre es besser, sie 2020 ausfallen zu lassen. Wir werden sehen.

Meine persönlichen Erfolge heute:

  • Ich bin gut eine Stunde spazieren gegangen und habe den beginnenden Frühling genossen, ohne in direkten Kontakt mit anderen Menschen zu kommen
  • Ich habe fast meinen kompletten Wäscheberg abgearbeitet
  • Ich habe viel gelesen
  • Ich habe sehr viel mit der Katze geknuddelt (okay, das mache ich immer und sie ist ebenfalls immer der Meinung, dass es nicht genug war)
  • Ich habe eine Stunde mit einer lieben Freundin telefoniert
  • Ich habe ein bisschen Flöte gespielt

Und ansonsten habe ich das Faulsein genossen und ein bisschen online gezockt.

Wir sind nicht allein, auch wenn wir isoliert sind. Vergesst das nicht. Die Menschen, die wir lieben, sind in ihren Wohnungen und warten darauf, dass wir uns alle wiedersehen. Sorgen wir dafür, dass es dazu kommt.

Leben in Zeiten von Corona – Teil 1

Seit gut drei Monaten ist das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 beim Menschen im Umlauf – zur allgemeinen Entwicklung muss ich nichts sagen, es beherrscht eh seit Wochen auch in Deutschland alle Medien und Gespräche und ist Thema Nummer Eins.

Ich selbst arbeite in der Gastronomie (Hauptjob) und in einer Kletterhalle (Nebenjob). Die Kletterhalle musste bereits letzten Samstag auf unbestimmte Zeit schließen, das Café hat sehr eingeschränkt noch geöffnet.
Da unsere Küche auch diverse Kitas mit Mittagessen beliefert, war der erste heftige Schlag ins Kontor die Nachricht am vergangenen Freitag, dass die Kitas bis zu den Osterferien schließen. Bis auf einen sind alle Köche in Kurzarbeit geschickt worden, der Bäcker durfte vorerst auch bleiben. Montag und Dienstag gab es noch Mittagstisch, gestern wurde dann auch der Bäcker heimgeschickt, der verbliebene Koch übernimmt alle Aufgaben.
Unsere Aushilfen haben keine Schichten mehr, der Rest von uns wurde in zwei Teams eingeteilt, die wochenweise wechselnd arbeiten sollen – Kurzarbeit. Ich hatte gestern noch eine Schicht, theoretisch auch noch heute bis Freitag, die wurden aber alle ersatzlos gestrichen. Ab kommender Woche hätte ich eh drei Wochen Urlaub, bis dahin bummel ich Überstunden ab. Und danach: Kurzarbeit.
Gestern wurde unser Lager geräumt, sämtliche Frischware (Obst, Gemüse, Milchprodukte etc.) werden günstig verkauft. Die Kunden sind teilweise so unglaublich süß, dass es uns die Tränchen in die Augen treibt.
Seit heute dürfen wir nur noch liefern und außer Haus verkaufen. Ich war vorhin dort, um mir selbst noch ein paar Lebensmittel zu holen (und ja, wir haben auch Klopapier! ;D) und es fühlt sich seltsam an, wenn die Tische alle unbesetzt sind, kaum Menschen im Laden und die beiden verbliebenen Kolleginnen halt auch nicht wissen, wie es weitergeht. Sicher ist wohl nur, dass wir nicht gekündigt werden, solange es irgendwie geht. Das ist tröstlich.

Ich habe jetzt sehr viel Zeit, denn der geplante Kletterurlaub kann und wird nicht stattfinden. Ich räume derzeit eh endlich meine Hexenküche aus und werde damit die nächsten Tage verbringen, solange es noch keine Ausgangssperre gibt. Und ich werde mich mit langen Spaziergängen fit halten, denn noch hoffe ich, dass der Megamarsch Anfang Juni stattfindet – auch, wenn die Chancen rapide sinken.

Auch meine Wohnung kann etwas Aufmerksamkeit gebrauchen, die Katze eh (aber die hätte eh gerne am liebsten eine 24/7-Kuschelbetreuung, das werde ich nicht ganz schaffen) und dann sind da auch noch diverse Bücher, die endlich mal gelesen werden wollen. Und wer weiß, vielleicht schreibe ich auch endlich mal wieder selbst.

Gedanken mache ich mir um ein paar Menschen in meinem Umfeld, die aus dem einen oder anderen Grund zur Risikogruppe gehören und nicht alle so einsichtig sind, dass sie Menschenansammlungen meiden. Und ich gehe davon aus, dass es nicht mit zwei Wochen „Ruheverordnung“ getan ist. Aktuell wird der Peak der Infektionen für Juni erwartet, das heißt, dass wir eher noch sechs Monate mit deutlichen Einschränkungen im Sozialleben rechnen müssen. Und danach wird sich das Leben neu sortieren müssen.

Hoffen wir, dass dies keinen weiteren Nährboden für rechte Strömungen bietet. Toleranz und Zusammenhalt sind das Wichtigste. Teilt Klopapier und Nudeln mit euren Nachbarn, Freunde. Lasst euch nicht von billigen Meinungsmachern einfangen. Und bleibt gesund!