Rezension Die Spiegel von Kettlewood Hall von Maja Ilisch

Vor ein paar Jahren bekam ich Das Puppenzimmer von Maja Ilisch in die Finger und habe es mit wachsender Begeisterung gelesen. Als ich also mitbekam, dass ein neuer Gaslicht-Roman von ihr erscheint, musste ich ihn unbedingt haben (das war das Buch, das ich bestellt habe, um dann gleich zwei weitere mitzunehmen bei der Abholung – ja, ich kaufe Bücher nach wie vor gerne im örtlichen Buchhandel).

Wie auch im ersten Roman begeistert mich hier die Sprache ganz besonders. Maja Ilisch gelingt es, ihrer Protagonistin eine authentische Stimme zu verleihen, die einem das Gefühl gibt, wirklich einer Vierzehnjährigen aus dem späten neunzehnten Jahrhundert zuzuhören, ohne dass es ins Kindliche oder Lächerliche abrutscht. Das alleine macht das Buch zu einem wahren Lesegenuss.

Worum es geht:
Die vierzehnjährige Iris Barling stammt aus sehr einfachen Verhältnissen. Sie ist das uneheliche Kind eines ehemaligen Hausmädchens, das sich und ihre Tochter nun mit der Arbeit in einer Spinnerei über Wasser hält. Sobald Iris alt genug ist, geht sie ebenfalls in der Fabrik arbeiten, und dass die Großmutter zu den beiden Frauen zieht, macht die Situation keinesfalls besser.
Bei einem Unfall in der Fabrik verliert Iris zwei Finger, dennoch geht sie tapfer weiter arbeiten – was soll sie auch anderes tun?
Doch dann stirbt ihre Mutter und Iris muss sich und die Großmutter durchbringen. Zudem wird ein neues Gesetz erlassen, das Kindern nicht erlaubt, länger als acht Stunden zu arbeiten und ihnen zudem zwei Stunden Unterricht am Tag verordnet. Iris sitzt wie alle anderen die Zeit völlig übermüdet im Klassenzimmer ab, lernt mühselig ein wenig Lesen und schreiben, während Handarbeiten ihr aufgrund ihrer verkrüppelten Hand sehr schwer fallen.
Eines Tages erinnert sie sich wieder an die alte Schachfigur, die sie als Kind bei ihrer Mutter fand. Und mit Hilfe ihres Lehrers lernt sie nicht nur die Grundregeln des Schachspiels, sondern findet auch heraus, wo ihre Mutter damals angestellt war. Sie will weg aus Leeds, weg von ihrer garstigen Großmutter und versuchen, ihren Vater zu finden. Und das Geheimnis ihrer Herkunft scheint in Kettlewood Hall zu liegen.

Iris schafft es mit Hilfe ihres Lehrers, dorthin zu kommen und sie wird empfangen wie die längst verlorene Tochter. Nach und nach muss sie erkennen, dass nichts von dem, was sie hier sieht und erlebt, wahr ist, dass alle ihre Geheimnisse und gute Gründe haben, diese vor Iris zu verbergen. Und abgesehen von den zwei riesigen, unheimlichen Hunden, die Iris schon immer in ihren Träumen begegnet sind und denen sie in Kettlewood Hall nun leibhaftig gegenüber steht, lebt etwas in den Spiegeln, nicht greifbar, doch immer aus dem Augenwinkel zu sehen.
Iris beschließt, die Geheimnisse zu lüften und sich auf das Spiel einzulassen, das fünfzehn Jahre lang nur auf sie gewartet zu haben scheint.

Der Roman ist intelligent komponiert und gibt nach und nach erst Preis, worum es wirklich geht. Dass die Perspektive durchgehend auf Iris liegt, macht es besonders vergnüglich, mit ihr mitzuraten, was denn nun wirklich los ist und warum sich die Bewohner Kettlewood Halls so seltsam verhalten. Die vielen kleinen und größeren Anspielungen auf Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“ machen den Roman zu einer Hommage an ein Buch, das nicht nur (siehe Nachwort / Danksagung) Maja Ilisch schon sehr lange begleitet, sondern auch mich seit meiner frühesten Kindheit fasziniert hat – so sehr, dass ich vor vielen Jahren ein Seminar in der Anglistik über dieses Buch belegt habe und fasziniert war und bin, wie vielschichtig es wirklich ist. Diese Vielschichtigkeit ist auch Maja Ilisch in ihrem Roman gelungen und ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, weil ich immer tiefer hineingezogen wurde und unbedingt wissen wollte, wie sich am Ende nun alles auflöst.
Dass es keine „Deus ex machina“-Lösung gibt, gefällt mir tatsächlich sehr gut. So kommt das Buch zu einem Ende, lässt dem Leser aber genug Spielraum, die Geschichte in seinem Kopf weiterzuspinnen, ohne dass es lose Fäden gibt, deren Auflösung es noch bedurft hätte.

Tatsächlich mal wieder ein Roman, der von mir ohne Zögern fünf Sterne erhält.

Maja Ilisch: Die Spiegel von Kettlewood Hall
Knaur 2018
ISBN: 9-78-3-426-52078-9
€ 9,99 (D) / €10,30 (A)

Rezension Obsidian – Schattendunkel von Jennifer L. Armentrout

Nachdem ich jetzt lange Zeit nur sehr wenig und vorwiegend Sachbücher gelesen habe, komme ich nach und nach wieder dazu, auch Belletristik zu lesen. Und auch, wenn ich einige Bücher nicht rezensiert habe, weil es mir an Zeit und Muße mangelte, will ich doch endlich wieder damit anfangen.

Obsidian von Jennifer L. Armentrout ist mir schon vor einiger Zeit ins Auge gesprungen (autsch!), aber ich habe es nie mitgenommen. Als ich neulich eine Woche Urlaub hatte und ein bestelltes Buch abgeholt habe, durfte es endlich mit. Ich mag das Wort Obsidian und auch den Stein, den es benennt. Es ist für mich etwas Geheimnisvolles, Dunkles, Märchenhaftes. Vom Klappentext her wusste ich immerhin, dass ich Jugendfantasy in der Hand halte, und ich fühlte mich ein wenig an die Twilight-Serie erinnert. Was nicht grundsätzlich positiv zu sehen ist.

Dann fing ich an zu lesen. Und ja, die Ähnlichkeit blieb. Ein junges Mädchen an der Grenze zum Erwachsenwerden zieht in eine verschlafene Kleinstadt und lernt einen atmberaubend gut aussehenden Typen kennen, der sich ihr gegenüber ekelhaft abweisend verhält. Und dann freundet Katy sich mit seiner Schwester an. So weit, so bekannt. Gähn. Die ständige Betonung, wie unglaublich gut alle aus seiner Familie und seinem Freundeskreis aussehen, ließ mich fast das Buch weglegen. Aber dann war plötzlich etwas anders. Statt einer Damsel in Distress bekam ich ein selbstbewusstes Mädchen, das für sich und ihre Ziele einsteht und dem ekelhaft gut aussehenden und ebenso arroganten Kerl doch tatsächlich Paroli bietet. Die Spaghettiszene (lesen, Leute, ich verrate doch nicht alles!) hat mich zum Schmunzeln gebracht. Und die kleinen Seitenhiebe auf Twilight sowieso.

Und ja, ihre neuen Freunde sind so viel stärker, schöner und toller als sie, dass sie hin und wieder Katy retten, aber netterweise schafft Katy es eben auch, für die anderen einzustehen und mit ihren ganz normalen menschlichen Fähigkeiten Übermenschliches zu bewirken.

Am Ende des Buches ist die Story noch lange nicht vorbei, es folgen noch vier weitere Romane dieser Reihe, und auch, wenn mich das Buch nicht völlig vom Hocker gerissen hat, ließ es sich angenehm genug lesen, um wissen zu wollen, wie es weitergeht. Und ob Katy sich weiterhin behauptet und ihren wunderbar selbständigen Kopf behält.

Fazit: Ein netter Roman für Zwischendurch, ein bisschen in Richtung Twilight, aber ohne das ganze hilfloses-Mädchen-Getue und als Liebe verpacktes Stalking. Gefällt mir, bekommt 3,5 Sterne.

Jennifer L. Armentrout: Obsidian. Schattendunkel
Carlsen Taschenbuch, 2018 (Deutsche Erstausgabe 2014)
ISBN: 978-3-551-31601-1
€ 9,99 (D) / 10,30 (A)