Leben in Zeiten von Corona – das Ding mit den Vorerkrankungen

Man liest und hört ja immer wieder, dass viele der Patienten gar nicht an Corona, sondern an den Vorerkrankungen gestorben seien, weshalb man sie nicht in die Sterberate für Corona mit einrechnen solle und im gleichen Zusammenhang, dass man das „normale“ Leben wieder aufnehmen und „nur“ die Risikogruppe schützen solle. Warum das auf so vielen Ebenen falsch ist, versuche ich hier, zu erklären.

Heute Morgen stieß ich auf folgenden Twitterbeitrag, der sehr gut zeigt, was „Vorerkrankung“ im Realfall bedeutet: Eine höhere Wahrscheinlichkeit, an einer Krankheit zu sterben, die ein gesunder, fitter Mensch überlebt.

Wenn man also sagt, dass „nur Vorerkrankte“ sterben und damit impliziert, dass das ja nicht so schlimm sei, weil die ja eh irgendwann sterben, dann spricht man diesen ihr Recht aufs Leben ab. Disclaimer: Wir werden alle sterben. Der eine früher, der andere später. Ich möchte jedoch, dass niemand anders entscheidet, dass ich jetzt genug gelebt habe, ich möchte selbst darüber entscheiden können, ob ich medizinisch behandelt werde und ob ggf. lebensverlängernde Maßnahmen durchgeführt werden. Ich möchte ja auch nicht vor einen fahrenden Zug gestoßen werden – und genauso klingt derzeit oft die Argumentation: Der stirbt eh bald, dann können wir ihn auch umbringen, Hauptsache, wir können auf die Wiesn und in den Baumarkt.

Schauen wir uns mal die Zahlen der Vorerkrankungen an. Besonders gefährdet gelten bei Covid-19 alle Menschen über 60 Jahre, alle mit chronischen Lungenkrankheiten und -belastungen (Asthma, COPD, Raucher, ggf. auch Menschen, die regelmäßig Feinstaubbelastungen ausgesetzt sind), Menschen mit Bluthochdruck, mit Übergewicht, Diabetes, mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und noch ein paar mehr.Also eigentlich jeder, dessen Organismus nicht mehr ganz rund läuft.

Dann gucken wir mal auf die nackten Zahlen:

  • Menschen in Deutschland über 60 Jahre: Ca. 28% bzw. 23,8 Millionen
  • Menschen 18-59 Jahre: 46,81 Mio
  • Menschen unter 18 Jahre: 12,83 Mio

    Quelle: Statistica.com

  • Menschen mit Übergewicht:
    • etwa 10,7 Mio der Menschen zwischen 18 und 59 sind stark übergewichtig (adipös)
    • etwa 28 Mio der Menschen zwischen 18 und 59 haben Übergewicht
    • Gesamt knapp 40% der Erwachsenen unter 60 Jahren

      Quelle: RKI

  • Die Zahlen für Lungenerkrankungen sind nicht ganz so leicht zu ermitteln, da es hier oft Überschneidungen gibt. Alleine an Asthma sind etwa 10-15% der Kinder und 5-7% der Erwachsenen erkrankt, chronische Bronchitis haben etwa 10-15% der Erwachsenen. Das entspricht etwa 1,28-1,92 Mio Kindern und 2,34-3,27 Mio Menschen zwischen 18 und 59 Jahren.

    Quelle: RKI

Man sieht, dass die Summe alleine dieser Zahlen selbst nach Bereinigung der Überschneidungen groß ist. Zu groß, um all diese Menschen zu isolieren, auch zu groß, um sie alle zu opfern, weil sie „ja schon vorerkrankt waren“. Die Zahlen, die immer mal wieder angegeben werden, sprechen von 30-60% der Gesamtbevölkerung, die in irgendeiner Form vorerkrankt sind.
Wenn die Sterberate bei 1,5% der Infizierten liegt (und das scheint wohl leider niedrig gegriffen zu sein, es können auch 4% oder sogar mehr sein, wirklich wissen werden wir das erst in ein bis zwei Jahren), dann kämen wir bei Infektion all dieser „Vorerkrankten“ auf 365.000-730.000 Tote. Bei 4% Sterberate wären es dann schon 970.000-1,9Mio. Einige von ihnen wären tatsächlich im etwa gleichen Zeitraum gestorben, aber niemand kann sagen, auf wen das zutrifft und wer noch Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte vor sich gehabt hätte. Dazu kommen all jene, die auch ohne Vorerkrankungen sterben. Und ja, die gibt es. Die kann man nicht mal im Vorfeld benennen und in Quarantäne stecken, so dass es eine Art Russisches Roulette ist, ob man als kerngesunder Mensch Covid-19 denn nun überlebt oder nicht. Über die aktuell vermuteten Folgeschäden will ich an dieser Stelle nicht mal reden, das mache ich ggf. in einem Folgebeitrag.
Menschen zu opfern, um selbst davonzukommen, ist durchaus in unserer Genetik verankert, sollte jedoch durch Humanität ausgeschaltet sein. Man sieht in dieser Zeit sehr gut, wer den steinzeitlichen Instinkten folgt und wer der Evolution des Denkens gefolgt ist. Ganz nebenbei hat dieses Denken „der ist vorerkrankt, der wäre doch eh gestorben, das ist doch nicht so schlimm“ einen ganz, ganz miesen Beigeschmack von „unwertem Leben“. Und auch, wenn die letzten Jahre gezeigt haben, dass dieses Denken wieder groß im Kommen ist, habe ich doch die Hoffnung, dass die Masse kein zweites Mal auf den Zug aufspringt.

Jeder Mensch hat das Recht auf ein langes, glückliches und weitestgehend gesundes Leben. Und es ist legitim, sich um seine wirtschaftliche und private finanzielle Zukunft Sorgen zu machen. Es ist aber nicht legitim, aus dieser Angst heraus andere Menschen (und es sind immer die Unbekannten, Imaginären, die nur aus Zahlen bestehen, nie die eigenen Eltern, Großeltern, Kinder, Partner oder Freunde, die ins Feld geführt werden) opfern zu wollen.
Wenn mir noch einer erzählt, es sei okay, jetzt wieder alle Geschäfte zu öffnen und „ein normales Leben“ aufzunehmen, dann könnte es passieren, dass ich sehr, sehr ungemütlich werde. Denn genau dieses „normale“ Leben wird unterm Strich Hunderttausende selbiges kosten. Aber anscheinend sind wir schon so gut in der Prävention, dass sich zu viele in falscher Sicherheit wiegen.
Nein, wir sind noch lange nicht „über den Berg“, wir stehen noch immer am Anfang der Pandemie. Und erst, wenn wir einen zuverlässig wirksamen Impfstoff haben und diesen in großer Menge produzieren können, können wir langsam wieder daran denken, unseren Alltag ungefähr so zu gestalten wie vor der Pandemie. Wer glaubt, dass alles wieder so wird wie vorher, hat wirklich noch nicht verstanden, was die Pandemie bedeutet. Aber ich fürchte, dagegen komme ich mit diesem Blog auch nicht an.

Und ja, mir ist klar, dass der Lockdown für viele einen wirtschaftlich immensen Schaden bedeutet, bis hin zum Bankrott. Mir ist auch bewusst, dass das alles andere als witzig ist. Und trotzdem bleibe ich dabei, dass Menschenleben wichtiger sind als Wirtschaft. Wer lebt, kann wieder auf die Beine kommen, wer tot ist, kann nichts mehr.

Leben in Zeiten von Corona – how to Lagerkoller

Heute Morgen las ich einen Tweet, in dem jemand sagte, dass die Alleinlebenden in den aktuellen Statements quasi nicht vorkommen. Es wird gesagt, dass man maximal mit einer nicht im Haushalt oder eben den im Haushalt lebenden Personen zusammen nach draußen darf. Und man soll den Kreis der Kontakte so klein wie möglich halten.
Und während viele in meinem Umfeld durchdrehen, weil sie plötzlich rund um die Uhr mit der gesamten Familie zuhause sind, Kinderbetreuung, Homeschooling und Home Office unter einen Hut bringen müssen und nicht wissen, wie, wann und wo sie jemals wieder eine Sekunde nur für sich haben, habe ich das umgekehrte Problem: Gar keine Sozialkontakte.

Versteht mich nicht falsch: Ich verstehe jeden, der gerade dringend ein bisschen frei von seiner Familie hätte. Ich würde vermutlich meine Mitmenschen umbringen, wenn ich sie rund um die Uhr um mich hätte, egal, wie sehr ich sie liebe.
Aber ich bin jetzt seit viereinhalb Wochen zuhause. Keine Arbeit, kein Sport, keine Verabredungen. Ich habe mich zweimal mit meinem Kletterpartner zum Kaffeetrinken und Schnacken getroffen und einmal mit einer Freundin an der Boulderhalle, als dort Griffe verschenkt wurden, außerdem war ich einmal bei meiner Nachbarin im Garten. Vier soziale Kontakte in mehr als vier Wochen, wenn man vom Einkaufen mal absieht (und ja, es hat Gründe, dass ich inzwischen jeden Tag bei Rewe bin).
Ja, ich telefoniere mehr. Aber das ersetzt keine Umarmungen, kein gemeinsames Klettern, und auch die Gespräche von Angesicht zu Angesicht nur unzureichend. Ich hatte vorher auf der Arbeit Kontakt mit meinen Kollegen, der ist weg (bis auf eine Kollegin, mit der ich gelegentlich Nachrichten schreibe oder telefoniere).
Die Gespräche in der Kletterhalle mit Kollegen und Kunden taten mir gut, auch die Kurse, die Kindergeburtstage, der KletterClub – all das sind soziale Interaktionen, die jetzt wegfallen.
Und obwohl ich mich eher als leicht soziophob und introvertiert sehe, brauche ich doch ein Mindestmaß an Zuneigung. Keinen Menschen zu haben, der in der gleichen Wohnung lebt, ist in Zeiten der Isolation kein Segen mehr, sondern ein Problem.

Dieses Problem haben derzeit viele Menschen. Manche kommen damit klar, manche nicht. Einige setzen sich über die Regeln hinweg, andere folgen ihnen zähneknirschend. Ich verstehe inzwischen jeden, der hin und wieder ausbricht und sich mit Freunden im Park trifft. Ich verstehe sogar, dass manche die Bitte, aufs Reisen und auf Wochenendausflüge zu verzichten, ignorieren. Ich finde es aus pandemischer Sicht nicht gut und kann es nicht gut heißen, aber verdammt, ja, ich verstehe es! Ich verstehe jeden, der seine Eltern, seine Kinder oder Enkel sehen will. Jeden, der irgendwann entscheidet, das Risiko für sich einzugehen. Ich verstehe meine über Achtzigjährige Nachbarin, die täglich ihre Runde zum Kiosk macht, weil sie mal raus muss. Ich halte es nicht für weise, aber ich verstehe es.

Und jetzt hätte ich bitte gerne jemanden, der mich in den Arm nimmt und mir sagt, dass das alles nur ein böser Traum war. Oder alternativ jemanden, der das Jahr neu startet, nachdem er einen Virenscanner hat drüberlaufen lassen.
Bisher war ich recht entspannt mit der Situation, aber ich bin es nicht mehr, und ich hoffe, dass das nur eine Phase ist.

Wie geht es euch? Kommt ihr zurecht? Habt ihr Menschen um euch, mit denen ihr gut auskommt?

Leben in Zeiten von Corona – Lagerkoller und die Gefahr der Gewöhnung

Gestern oder heute wäre ich aus meinem Urlaub zurückgekommen. 2,5 Wochen Klettern und Camping im Donautal, in der Fränkischen Schweiz und im Harz haben nicht stattgefunden. Stattdessen habe ich überwiegend auf meiner Couch gewohnt, die Katze geknuddelt (die ist an manchen Ecken schon ganz abgeschubbert, und da ich das nicht war, gehen wir wohl Dienstag mal zum Tierarzt) und zu viel gegessen.

Letztes Wochenende habe ich meinen Balkon aufgeräumt, so richtig. Alles weggeräumt, was herumstand, die alte Blumenerde hinterm Haus ins Beet gekippt und die leeren Töpfe in den Keller gebracht. Die Bodenfliesen angehoben und abgebürstet, ca. 5l Blumenerde vom Boden aufgefegt und diesen dreimal gewischt, bis er einigermaßen sauber war. Dann die Fliesen gewaschen, trocknen lassen, geölt und wieder ausgelegt. Die Liege ebenfalls geölt, die Fensterbank gewischt und die Vogelfutterbälle ausgetauscht. Seitdem wohne ich überwiegend auf meinem Balkon, sofern das Wetter es zulässt.

Mein Pullover ist fast wieder an der Stelle, an der ich ihn aufgeribbelt hatte. Und ich brauche mehr Wolle, als ich habe, ich muss also nachbestellen und hoffen, dass die Farbe passt, das ist bei unterschiedlichen Chargen nicht immer so.
Ich habe letzten Montag meinen Kletterpartner auf seinem Balkon besucht und wir haben uns an den Strand gesetzt. Ich brauchte das, mal rauszukommen. Dafür hatte ich die ganze Woche keine Lust auf Bewegung, und ich bemerke eine gewisse „ist ja auch egal, ich habe ja Zeit“-Haltung an mir. Aber so ein paar Dinge müsste ich halt schon erledigen, weil die Deadlines haben. Oder zumindest Konsequenzen, wenn ich sie nicht erledige. So wie der Strafzettel, der hier noch herumfliegt, weil ich keinen legalen Parkplatz im Umkreis meiner Arbeit gefunden hatte. Das kommt mir vor wie in einer anderen Welt.
Dienstag habe ich lange mit meiner Balkonnachbarin geschnackt (wir sind dann jetzt per Du) und sie lud mich in ihren Schrebergarten ein. Da war ich am Mittwoch. Und danach verliert sich so ein bisschen die Übersicht, was ich wann gemacht habe. Ach doch: Donnerstag hat die Boulderhalle aussortierte Griffe verschenkt und ich habe das zum Anlass genommen, mich mit einer Freunden vor Ort zu treffen und mit gebührendem Abstand ein bisschen zu quatschen. Tat gut!
Gestern habe ich jedenfalls einen Hefevorteig angesetzt und im Eiswürfelbereiter eingefroren. Zwei Teile habe ich behalten und zum einen einen Hefezopf und zum anderen Pizzateig daraus gemacht. Beide sind ganz hervorragend geworden und ich befürchte, ich werde in absehbarer Zeit kein Gramm abnehmen.

Ebenfalls gestern haben wir in unserer WhatsApp-Gruppe zum Megamarsch darüber geredet, ob wir so tun, als falle die Veranstaltung auf jeden Fall aus, alles stornieren und nicht trainieren, oder ob wir so tun, als werde der Marsch auf jeden Fall stattfinden. Ich hab mich für Variante 2 entschieden und bin 15km gewandert. Mit Rucksack (leer bis auf Portemonnaie, einen Proteinriegel und die Trinkflasche) und ordentlichem Tempo (Pace von 9:35). Wieder ins Eidertal, dieses Mal aber einen alternativen Rückweg, der mich letztlich durch mein altes Jogginggebiet nach Hause brachte. Ich habe noch immer Muskelkater im Hintern und gehe auf Zehenspitzen, wenn ich länger gesessen habe, aber es hat gut getan.
Heute Morgen habe ich mir einen Trainingsplan für die kommenden Wochen erstellt. Falls der Lauf stattfindet, muss ich gestern in acht Wochen 50km am Stück gehen. Und das erscheint mir noch immer total utopisch, aber wer weiß, vielleicht bekomme ich meine Gelenke ja dazu, das gut zu finden. Immerhin haben die Knie gestern problemlos mitgemacht, was mir zeigt, das Gehen im Gegensatz zu Laufen gut ist.

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Heute meinen Osterzopf gefrühstückt, sehr viel gestrickt, sehr viel SATC geschaut, den NAchmittag auf dem Balkon gesessen. Meine Pizza gemacht und gegessen, mit Freunden über WhatsApp gechattet. Und so langsam merke ich, dass ich nicht mehr kann und nicht mehr will.
Sowohl die Boulder- als auch die Kletterhalle sind seit vier Wochen zu. Es geht nicht nur um die Bewegung, es geht auch um die Kommunikation mit anderen Menschen, den Austausch, den Körperkontakt. Denn ja, auch wenn ich an sich gut alleine zurechtkomme, mir fehlen Umarmungen. Sehr.

 

Ich merke, dass ich die Nachrichten nicht mehr in dem Maß verfolge wie in den ersten Wochen. Wusste ich anfangs die aktuellen Zahlen für Deutschland und teilweise auch noch weitere Länder, habe ich derzeit kaum einen Überblick. Ich fühle mich abgestumpft, ich will raus hier und ich verstehe jeden, der ebenfalls raus will. Nicht einfach meine Klettersachen in den Bus meines Kletterpartners zu werfen und für zwei Tage in den Harz zu fahren, kostet mich von Tag zu Tag mehr Überwindung. Und ich bekomme in den sozialen Medien mit, dass es vielen so geht.

Dazu kommt aber etwas anderes, und das ist gefährlich: Weil der Shutdown derzeit so gut funktioniert, dass die Kurve sich deutlich abflacht (ja, das bekomme ich dann doch mit), glauben viele nicht mehr, dass die Pandemie wirklich ein Problem sei. Und während die einen Masken nähen, damit wir alle besser geschützt miteinander umgehen können, wenn wir einkaufen oder die Maßnahmen etwas gelockert werden, verlieren die anderen sich in Verschwörungstheorien darüber, dass das Virus ja nur ein Vorwand sei, um Deutschland in einen Polizeistaat zu verwandeln, das Bargeld abzuschaffen oder uns nach Aldebaran zu transferieren (fügt hier einfach jede beliebige weitere Verschwörungstheorie ein, irgendjemand hat sie garantiert schon mit Covid-19 in Verbindung gebracht).
Und genau diese Menschen gefährden das, was wir bisher durch den Shutdown erreicht haben: Eine kollektive Sicherheit, das Verhindern der sogenannten italienischen Verhältnisse. Denn wir haben noch immer nicht den Peak überschritten, noch lange sind nicht 50% oder mehr mit Covid-19 in Berührung gekommen, so dass die Neuinfektionsrate deutlich absteigen würde. Und wenn genug Menschen keine Lust mehr haben, sich freiwillig aus den öffentlichen Leben zurückzuziehen, dann schießt die Kurve ganz schnell wieder in die Höhe. Was dann mehrere mögliche Folgen haben kann: Zum einen werden dann die Einschränkungen verschärft, zum anderen kann es zu Engpässen in den Kliniken führen. Ich sage es gerne noch mal: Triage ist kein Spaß. Was im Klinikalltag kein Problem ist (der Patient mit den akutesten Verletzungen kommt schneller dran als der, der nur einen blauen Fleck hat), ist in Krisensituationen die Entscheidung über Leben und Tod. Das will nicht nur keiner als Patient erleben, das möchte auch kein Arzt machen müssen.

Dann gibt es noch die Helden, die meinen, es reiche doch, alle Menschen aus Risikogruppen „einzusperren“, dann könnten die anderen wieder ihr ganz normales Leben leben. Das ist auf mehreren Ebenen falsch: Erstens bedeutet es, dass eine nicht unerhebliche Anzahl an Menschen auf unbestimmte Zeit eingesperrt wird – grobe Berechnungen sagen, dass etwa 30% aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustandes gefährdet sind, schwere Verläufe bei Covid-19 zu durchleben -, damit die anderen ihrem Egoismus frönen können. Das ist asozial und inhuman. Dass diese Menschen nicht alle Rentner sind und damit auch im System fehlen, kann man sich zusätzlich ausrechnen. Dass die anderen sich dann vermutlich sehr schnell anstecken, und wir somit eben trotzdem italienische Verhältnisse bekommen können (ja, es gibt auch schwere Verläufe bei Menschen, die auf den ersten Blick nicht gefährdet sind) und dass sich auch Klinikpersonal in größerer Zahl anstecken wird, wenn sich wieder alle frei bewegen, ist auch kein Geheimnis.
Und dann bliebe eben die Frage, wie wir entscheiden, wer zuhause bleiben muss (und dann wohl nicht nur im Lockdown, sondern in strenger Quarantäne) und wer raus darf.
Nein, keine gute Lösung.

Aktuell geistert ein Artikel herum von einem Arzt, der sagt, es sei noch niemand an Covid-19 gestorben, die Menschen hätten alle Vorerkrankungen gehabt und seien entweder an Lungenentzündung oder an Herzversagen gestorben.
Willkommen bei Covi-19: Das ist genau das, was dieses Virus macht. Es greift die Lunge an und belastet damit zugleich das Herz, weil die Lunge nicht mehr genug Sauerstoff aufnehmen kann und das Herz mehr Blut pro Minute pumpen muss, was wiederum bei Herzerkrankungen, Bluthochdruck oder auch einfach Übergewicht zu Herzversagen führen kann. Diese Menschen sterben vielleicht nicht direkt am Virus, aber an dessen Folgen. Sie wären also zu einem großen Teil noch am Leben, wenn sie nicht an Covid-19 erkrankt wären.

Daher, liebe Leute: Auch wenn das Wetter geil ist und der Hintern inzwischen die Form de Couch angenommen hat: Bleibt vernünftig. Geht raus, geht spazieren, macht Sport, aber haltet Abstand, tragt Mundschutz, wenn ihr in Geschäfte oder auf die Arbeit geht, telefoniert mit Freunden und Familie statt sie zu besuchen. Wir retten damit Leben. Unser eigenes und das von anderen. Und das sollte uns eine Menge Unannehmlichkeiten wert sein.

Zu den wirtschaftlichen Folgen möchte ich mich gerade nicht äußern, auch, weil ich mich noch nicht genug damit beschäftigt habe. Ja, mir ist klar, dass gerade Existenzen den Bach heruntergehen und dass das furchtbar ist. Ich glaube aber fest daran, dass man immer noch eine Chance hat, wenn man am Leben ist, und daher stelle ich Leben über wirtschaftliche Existenz.

Bleibt tapfer, Leute. Und gesund.

Leben in Zeiten von Corona – und wie lange geht das jetzt noch?

Ich glaube, das ist die Frage, die so ziemlich alle beschäftigt. Wie lange müssen wir denn nun noch zuhause bleiben, auf soziale Kontakte verzichten, auf das Feierabendbier und den Nachmittagskaffee mit Freunden unterwegs? Auf die Pizza beim Italiener, den Urlaub, das Konzert unserer Lieblingsband?

Ich merke immer wieder in den sozialen Medien, teilweise auch in meinem direkten Umfeld, dass die Menschen glauben, dass nach Ostern alles „wieder normal“ verlaufen werde. Dieser Gedanke kommt daher, dass die strikten Maßnahmen zunächst bis Ostern festgelegt wurden (indem Kitas und Schulen vorzeitig „bis zu den Osterferien und inklusive“ geschlossen wurden). Anfang der Woche wurden die Maßnahmen vorsichtig bis zum 20.04. verlängert, was auch nicht so lange nach Ostern ist, Und dann? Dürfen wir dann wieder raus, findet die Kieler Woche doch Ende Juni statt (aktuell ist sie auf Anfang September verschoben), werden Fußballspiele wieder vor vollen Tribünen stattfinden, dürfen wir endlich wieder auf Spielplätze, in Kletterhallen und an den Strand?
Ich bin nicht der Messias und besitze auch keine Glaskugel. Aber ich höre und lese vieles zum Thema und ich kann rechnen. Wie ich in einem der ersten Beiträge zum Thema schon berechnet habe: Bis zur Herdenimmunität kann es locker ein Jahr dauern. Oder auch zwei. Viel besser und vor allem verständlicher hat das Mai Thi Nguyen-Kim in ihrem neuesten Video ihres Kanals mailab erklärt, das ich hier gerne verlinke:

maiLab: Corona geht gerade erst los

Schaut es euch in Ruhe an, ich finde, dass sie die Zahlen sehr gut zusammenfasst.

Sicher ist, dass es kein „back to normal“ geben wird. Sicher ist auch, dass unsere Wirtschaft keinen monatelangen Lockdown verträgt. Wir brauchen also einen Mittelweg, der so vielen wie möglich das (biololische) Leben erhält und so wenigen wie nötig das (wirtschaftliche) Leben ruiniert. Und dafür müssen wir die Ausbreitung derart verlangsamen, dass wir diese nach Möglichkeit wieder komplett unter Kontrolle haben und jede neue Infektion direkt zum „Absender“ verfolgen und alle Infizierten unverzüglich isolieren können. Das geht aber halt nicht, wenn wieder alle lustig Parties feiern, reisen und in Menschenmassen schwitzen. Mit viel Glück kommen wir in zwei, drei Monaten an den Punkt, dass die meisten von uns ihre Arbeit wieder aufnehmen können und wir uns wieder in Cafés oder am Strand mit unseren Freunden treffen können.

Aber vielleicht schaffen wir es ja auch, diese extremen Zeiten als Chance zu begreifen. Als Chance in so vielen Bereichen: Zum einen fördert die Situation erstaunlich stark die Kreativität der Menschen. Was ich bereits alles an witzigen und tollen Bildern, Filmen und Mitmachaktionen mit Coronabezug gesehen habe, macht mir Mut. Und es muss ja nicht bei mehr oder weniger privater Unterhaltung aufhören. Dass Unterricht jetzt online stattfindet, erfordert auch Kreativität. Wenn eine Lehrerin auf Twitter beschreibt, dass einer ihrer Schüler während des Matheunterrichts joggen geht, weil er sich dann besser konzentrieren kann, dann kann das dazu anregen, generell die Formen unseres Unterrichts zu überdenken. Das gleiche gilt analog fürs Homeoffice, das viele plötzlich als durchaus umsetzbar und sehr produktiv empfinden.
Nachbarschaftshilfe entsteht an allen Ecken und Enden, die Menschen muszieren von Balkon zu Balkon miteinander, in Hamburg stellt sich ein Fitnesstrainer auf die Straße und gibt Kurse für die Anwohner, und so weiter und so fort. Die Autos bleiben viel häufiger stehen, man geht eher zu Fuß oder mit dem Rad zum Einkaufen, und wenn man nicht in den Urlaub fahren kann, dann kommt der Urlaub eben zu uns nach Hause. Museen und Opernhäuser bieten virtuelle Ausstellungen und kostenlose online-Konzerte an, Büchereien verlängern ihre Leihfristen und bieten günstige ebook-Leihmöglichkeiten, alle Streamingdienste haben tolle Dokumentationen im Programm, und erstaunlich viele Menschen entdecken das Telefon wieder als Kommunikationsmittel.

Wenn wir all diese geballte kreative Kraft nutzen, werden wir auch Wege finden, diese Krise nicht nur zu überleben, sondern gestärkt aus ihr hervorzugehen. Vielleicht mit etwas weniger „weiter, schneller, höher“ und etwas mehr „langsam und bedächtig“ im Blick. Mit mehr Fokus für das Wesentliche und weniger Zerstreuung um der Zerstreuung Willen. Und es werden ganz tolle Lösungen entstehen für Probleme, die wir (nicht nur erst) durch Covid-19 haben. Wirtschaftliche Lösungen, aber auch zwischenmenschliche. Ich habe jedenfalls die Hoffnung, dass wir mit einer veränderten, aber gestärkten Gesellschaft aus dieser Krise kommen.

Und bis es so weit ist, versuche ich, meine Nähmaschine zu reinigen und zum Laufen zu bringen. Dann gibt es einen hübschen Mundschutz und vielleicht wird ja auch endlich mein Sommerkleid mal fertig. 😉

Und auch, wenn „bleibt gesund“ der neue Abschiedsgruß ist: Eigentlich geht es gar nicht darum. Denn mittelfristig müssen sich 60-70% der Bevölkerung infizieren, um die Pandemie „auszutrocknen“ und Herdenimmunität zu erreichen. Aber bleibt so lange wie möglich gesund, damit sich die Infektionen auf einen langen Zeitraum verteilen.

 

Leben in Zeiten von Corona – Zeitvertreibe

Sorry, jetzt war es hier viel länger still als geplant. Das lag zum einen daran, dass ich morgens immer dachte „heute Abend bloggst du über das, was du tagsüber getan hast“, aber dann war ich abends zu platt und zu müde und hatte Kopfschmerzen (seit 14 Tagen werde ich sie nicht richtig los), zum anderen daran, dass ich dachte „mach mal was fertig und blogge dann erst darüber.“

Nun ja, ich bin jemand, der quasi alles durcheinander macht, und so werde ich nie wirklich fertig. Daher jetzt also eine kleine Zusammenfassung der Dinge, die ich so getrieben habe, für das eine oder andere Thema eröffne ich bestimmt noch eigene Artikel.

Letzten Montag (es fühlt sich wirklich deutlich länger her an) stellte ich fest, dass ich den Punkt, an dem die Haare geschnitten werden müssen, erreicht habe. Das ist wie mit Fingernägeln, nur sind die Intervalle länger. Irgendwann sind sie zu lang.
Was also tun? Die Friseure haben geschlossen, ich kenne niemanden persönlich, der mir die Haare schneiden könnte, also setzte ich vorsichtig meine Küchenschere an einer kleinen Locke an – und musste feststellen, dass sie unsagbar stumpf war. Mitten in der Nacht habe ich mir dann nicht nur eine Friseurschere bestellt, sondern auch noch ein paar Produkte zur Haarpflege (nachdem ich wieder auf die Curly Girl / Hair Method gestoßen war und dieser noch eine Chance geben wollte) und Farbe. Und zwar nicht braun. 😉
Lieferzeitpunkt der einzelnen Produkte: zwischen Samstag (28.03.) und dem 05.05. Letzteres war natürlich die Schere. Also habe ich Dienstag todesmutig meiner Nachbarin im Homeoffice geschrieben, ob sie eine Friseurschere hat, und sie antwortete: „Komm mal zur Tür, ich zeige Dir mein Sortiment.“
Kurz darauf war ich mit einer schmalen, scharfen Bastelschere bewaffnet und habe mir die Haare geschnitten. Nicht viel, so 10-15cm (im nassen Zustand hingen die längsten Strähnen fast bis auf den Hintern, das war also echt okay). Ein bisschen nachgearbeitet: Sieht nicht schlecht aus!
Mehr zum ganzen Haarthema dann in einem eigenen Blogartikel, sonst schlaft ihr mir hier alle ein, bis ich mit allem durch bin.

Das zweite war dann die Wiederentdeckung meiner Stricksachen. Ich hatte im Oktober ein Paar Socken dabei, als ich eine Freundin besuchte. Socke 1 wurde fertig, von Socke 2 hatte ich das halbe Bündchen. Also habe ich Socke 2 beendet und dann beschlossen, den Pullover, den ich vor gut drei Jahren begonnen habe, endlich zu beenden. Eine ausgeräumte Wollecke meiner Abstellkammer später wusste ich: Ich hab verdammt viel Wolle, auch noch sieben Knäule für den Pulli – aber wo ist der eigentlich? Ich fand ihn dann im Arbeitszimmer an der Türklinke hängend (im Leinenbeutel). Und er hatte Mottenlöcher. Oh no!
Nebenbei hatte ich dann schon Wolle für neue Projekte bestellt und außerdem einen Möbius-Loopschal wieder ausgebuddelt, der auch erst ein paar Zentimeter breit war. Also den Rest wieder eingepackt und den Schal weitergestrickt.
Inzwischen ist der Pulli aufgeribbelt und neu gestartet, eine weitere Socke beendet und der Loopschal befindet sich gerade in Abkettung.
Auch zum Stricken werde ich noch einen eigenen Artikel starten. Oder mehrere, mal sehen.

Ansonsten schaue ich Serien, spiele online-Games und hatte am Samstag Besuch. Mein Kletterpartner sitzt wie ich alleine in seiner Wohnung (eigentlich wären wir jetzt ungefähr seit einer Woche unterwegs im Donautal, im Frankenjura oder anderswo zum Klettern) und wir hatten das dringende Bedürfnis, mal wieder nebeneinander zu sitzen und zu quatschen. Das war wirklich toll – ich bin ja bekennender Einsiedlerkrebs, aber ich mag dann doch auch hin und wieder mal einen Menschen um mich haben.

Auch mit meiner Balkonnachbarin führe ich hin und wieder nette, lange Gespräche (wir haben es nach 13 Jahren jetzt mal zum offiziellen Du geschafft, nachdem uns das vorher schon mal hin und wieder rausgerutscht ist) und wenn ich Nachbarn im Treppenhaus treffe, reden wir auch miteinander.
Ich gehe einkaufen, hin und wieder spazieren und ansonsten bin ich ziemlich faul. Naja, ich habe angefangen, meine Wohnung aufzuräumen und mag, was da passiert. Mal schauen, wie weit ich komme.
Ich werde wohl viel Zeit haben, mehr als gedacht, denn Montag bekam ich meine Kündigung. Ich hatte gehofft, dass mein Arbeitgeber länger mit kurzarbeit durchhält, aber nun ist es, wie es ist, Wir gehen alle nicht davon aus, dass die Gastronomien so schnell wieder ihren Betrieb aufnehmen dürfen, und wenn doch, stellen sie uns (zumindest einige) wieder ein.

Was mir noch so durch den Kopf ging: Wir leben in ungewöhnlichen Zeiten, Wir müssen lernen, wieder Rücksicht aufeinander zu nehmen. Das klappt auf der einen Seite sehr gut, auf der anderen gar nicht. Viele zeigen andere an, weil diese sich nicht daran halten, nur zu zweit rauszugehen. Strände werden gesperrt, weil alle gleichzeitig ans Meer strömen, Und so weiter und so fort.
Machen wir es uns doch mal zur Aufgabe, netter miteinander umzugehen. Kritik positiv zu formulieren, anstatt nur draufzuhauen. Beweggründe zu hinterfragen. Kauft da jemand so viel Klopapier, weil er seine Nachbarn mit versorgt, sieben Kinder hat oder eine Jugendwohnung betreut?
Sind die Stimmen, die sich auf Verschwörungen berufen, nicht einfach nur Stimmen der Angst? Wie können wir ihnen diese nehmen?
Und: telefoniert mehr miteinander. Schreibt Briefe, Karten, Mails oder SMS. Zeigt den anderen, dass ihr an sie denkt.

Seid nett zueinander. Und bleibt gesund!