Ihr feiert eure eigene Dummheit

Während in den USA der knappe Wahlsieg der Demokraten gefeiert wird und ein dünner Hoffnungsschimmer am Horizont erscheint, dass sich die allgemeine Lage dort etwas bessern wird, stehen etwa 20.000 Menschen dicht gedrängt in der Leipziger Innenstadt und demonstrieren vermeintlich für ihre Freiheit und Demokratie.

Unter ihnen sind Anhänger diverser rechter Gruppierungen, man sieht Reichskriegsflaggen und mehr als eindeutige Gesten, Plakate mit Parolen, die alles andere als demokratiezugewandt sind.
Die einen sind Nazis, die anderen sind Mitläufer. Diese reden sich damit heraus, dass sie ja nur ihr Recht auf Demonstration wahrnehmen, dass sie gegen die Coronamaßnahmen sind und nichts dafür können, dass die Rechten auch hier sind.
Aber sie marschieren mit ihnen, unreflektiert und ohne zu bemerken, dass die Rechten nicht zufällig hier sind, sondern als Rattenfänger, dass sie sich die Anti-Corona-Demonstranten zueigen machen, um sie subversiv auf ihre Spur zu bringen.
Die Saat geht auf, auch wenn die Demonstranten es noch nicht merken. Der rechte Block macht Stimmung gegen die Polizei, wird handgreiflich, gewalttätig. Die angeblich friedlichen Demonstranten lassen sich mitreißen, skandieren selig im Einklang mit den Nazis Parolen, die längst nicht mehr nur gegen die Corona-Maßnahmen sind. Es fliegen Gegenstände und pyrotechnische Artikel, sie werden handgreiflich gegen die Polizei, sie versuchen, mit Worten zu provozieren.
Hatten wir so etwas nicht schon mal? Anderes Thema, gleiche Dynamik. Mir wird schlecht, während ich das Videomaterial der heutigen Demonstration sichte.

Was wollen sie erreichen? Sie wollen keine Masken mehr tragen müssen, weil sie glauben, diese machten sie krank oder schränkten sie ein. Sie wollen ungehindert reisen, wohin und so lange sie wollen, ohne dass ihnen der Staat reinredet. Sie wollen shoppen und ins Café, ins Kino und ins Theater gehen, wollen mit ihren Freunden feiern, nicht zu zehnt und aus maximal zwei Haushalten, sondern mit allen, die sie kennen und gern haben.
Ich verstehe das. Ich komme mit meiner Maske meistens gut klar, allerdings beschlägt die Brille gerne mal, was nervig ist, aber nicht unlösbar. Ich sehe viele meiner Freunde eh schon zu selten, einige habe ich jetzt seit einem Jahr oder länger nicht mehr gesehen, weil wir es im letzten Winter nicht geschafft haben und dann Corona dazwischen kam. Ich finde es alles andere als lustig, dass schon wieder die Sportstätten geschlossen sind, dass ich nicht mit Freunden abends noch ein Bier trinken oder etwas essen gehen kann, und natürlich möchte ich mit meiner Familie Weihnachten feiern, auch wenn wir aus mehr als zwei Haushalten kommen.
Nicht zuletzt möchte ich auch ganz gerne arbeiten gehen, was zur Zeit für mich auch nicht möglich ist.

Und weil ich das alles gerne so schnell wie möglich wieder machen möchte, versuche ich, die Maßnahmen so gut wie möglich einzuhalten. Ich treffe so gut wie nie mehr als eine Person zur Zeit und warte mehrere Tage, bevor ich mich mit der nächsten Person treffe. Ich gehe nur mit Maske einkaufen und ans Reisen denke ich derzeit als etwas, das vermutlich 2022 wieder gehen wird.

All jene, die keine Masken tragen, keinen Abstand halten und heimlich über die Grenzen in unsere Nachbarländer reisen, all jene, die glauben, der Staat wolle uns mit den Masken versklaven und mit der Impfung einen Chip einsetzen, all jene, die aus lauter Angst um ihre Freiheit „jetzt erst recht!“ sagen und die Maßnahmen boykottieren – all jene, die heute in Leipzig auf die Straße gegangen sind, tragen dazu bei, dass die Maßnahmen noch verstärkt werden müssen, dass der Lockdown länger dauern wird, dass am Ende noch mehr Menschen arbeitslos, noch mehr Betriebe insolvent sein werden.
Es gibt das Präventionsparadoxon, das besagt, wenn eine Maßnahme zu gut funktioniert, glaubt keiner daran, dass die Auswirkungen wirklich so schlimm geworden wären wie prognostiziert.
Es gibt aber auch die selffulfilling prophecy, und die betreiben die Corona-Leugner gerade: Dadurch, dass sie die Maßnahmen als rechtswidrige Gängelung ansehen und glauben, der Staat treibe Menschen mit diesen Maßnahmen in den finanziellen Ruin, rufen sie genau das hervor. Wir können natürlich auch umgehend alle Maßnahmen fallenlassen und schauen, wer sich infiziert und wer nicht. Bei wem der Verlauf leicht ist und wer auf die Intensivstation muss. Wer hier noch einen Patz bekommt und wer einer Triage zum Opfer fällt. Und wie viele Betriebe dann am Ende noch bestehen. Ich habe im Frühjahr Hochrechnungen angestellt, wie viele Tote wir im Worst Case zu betrauern haben. Ich wurde dafür verhöhnt und ausgelacht, und den Sommer über schienen meine Zahlen (die sch mit denen der renommierten Forscher überwiegend deckten) in absolut dystopische Ferne gerückt zu sein.
Mit täglich um die 20.000 Neuinfektionen kommen wir der gefährlichen Grenze, an der nicht mehr genug Personal da sein wird, um alle Patienten zu versorgen, immer näher. Und alles nur, weil ein paar Idioten weder denken noch rechnen können, sondern einzig und alleine ihren Egoismus ausleben wollen. Von mir aus können die sich alle irgendwo im Wald versammeln und Corona aussitzen. Aber bitte ohne Zugang zur Außenwelt, bis wir Corona so weit im Griff haben, dass wir mit der üblichen Quote an Spinnern und Impfgegnern wieder zurechtkommen.

Ganz ehrlich: Eure Arroganz, euer Egoismus und eure Dummheit kotzen mich an. Und ja, ich bin wütend. Weil ihr dafür sorgt, dass es vielen anderen schlecht gehen wird. Viel schlechter, als es euch mit Maske und Abstand und vier Wochen ohne Party, Kino und Gastronomie je gehen könnte.

Leben in Zeiten von Corona – das Ding mit den Vorerkrankungen

Man liest und hört ja immer wieder, dass viele der Patienten gar nicht an Corona, sondern an den Vorerkrankungen gestorben seien, weshalb man sie nicht in die Sterberate für Corona mit einrechnen solle und im gleichen Zusammenhang, dass man das „normale“ Leben wieder aufnehmen und „nur“ die Risikogruppe schützen solle. Warum das auf so vielen Ebenen falsch ist, versuche ich hier, zu erklären.

Heute Morgen stieß ich auf folgenden Twitterbeitrag, der sehr gut zeigt, was „Vorerkrankung“ im Realfall bedeutet: Eine höhere Wahrscheinlichkeit, an einer Krankheit zu sterben, die ein gesunder, fitter Mensch überlebt.

Wenn man also sagt, dass „nur Vorerkrankte“ sterben und damit impliziert, dass das ja nicht so schlimm sei, weil die ja eh irgendwann sterben, dann spricht man diesen ihr Recht aufs Leben ab. Disclaimer: Wir werden alle sterben. Der eine früher, der andere später. Ich möchte jedoch, dass niemand anders entscheidet, dass ich jetzt genug gelebt habe, ich möchte selbst darüber entscheiden können, ob ich medizinisch behandelt werde und ob ggf. lebensverlängernde Maßnahmen durchgeführt werden. Ich möchte ja auch nicht vor einen fahrenden Zug gestoßen werden – und genauso klingt derzeit oft die Argumentation: Der stirbt eh bald, dann können wir ihn auch umbringen, Hauptsache, wir können auf die Wiesn und in den Baumarkt.

Schauen wir uns mal die Zahlen der Vorerkrankungen an. Besonders gefährdet gelten bei Covid-19 alle Menschen über 60 Jahre, alle mit chronischen Lungenkrankheiten und -belastungen (Asthma, COPD, Raucher, ggf. auch Menschen, die regelmäßig Feinstaubbelastungen ausgesetzt sind), Menschen mit Bluthochdruck, mit Übergewicht, Diabetes, mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und noch ein paar mehr.Also eigentlich jeder, dessen Organismus nicht mehr ganz rund läuft.

Dann gucken wir mal auf die nackten Zahlen:

  • Menschen in Deutschland über 60 Jahre: Ca. 28% bzw. 23,8 Millionen
  • Menschen 18-59 Jahre: 46,81 Mio
  • Menschen unter 18 Jahre: 12,83 Mio

    Quelle: Statistica.com

  • Menschen mit Übergewicht:
    • etwa 10,7 Mio der Menschen zwischen 18 und 59 sind stark übergewichtig (adipös)
    • etwa 28 Mio der Menschen zwischen 18 und 59 haben Übergewicht
    • Gesamt knapp 40% der Erwachsenen unter 60 Jahren

      Quelle: RKI

  • Die Zahlen für Lungenerkrankungen sind nicht ganz so leicht zu ermitteln, da es hier oft Überschneidungen gibt. Alleine an Asthma sind etwa 10-15% der Kinder und 5-7% der Erwachsenen erkrankt, chronische Bronchitis haben etwa 10-15% der Erwachsenen. Das entspricht etwa 1,28-1,92 Mio Kindern und 2,34-3,27 Mio Menschen zwischen 18 und 59 Jahren.

    Quelle: RKI

Man sieht, dass die Summe alleine dieser Zahlen selbst nach Bereinigung der Überschneidungen groß ist. Zu groß, um all diese Menschen zu isolieren, auch zu groß, um sie alle zu opfern, weil sie „ja schon vorerkrankt waren“. Die Zahlen, die immer mal wieder angegeben werden, sprechen von 30-60% der Gesamtbevölkerung, die in irgendeiner Form vorerkrankt sind.
Wenn die Sterberate bei 1,5% der Infizierten liegt (und das scheint wohl leider niedrig gegriffen zu sein, es können auch 4% oder sogar mehr sein, wirklich wissen werden wir das erst in ein bis zwei Jahren), dann kämen wir bei Infektion all dieser „Vorerkrankten“ auf 365.000-730.000 Tote. Bei 4% Sterberate wären es dann schon 970.000-1,9Mio. Einige von ihnen wären tatsächlich im etwa gleichen Zeitraum gestorben, aber niemand kann sagen, auf wen das zutrifft und wer noch Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte vor sich gehabt hätte. Dazu kommen all jene, die auch ohne Vorerkrankungen sterben. Und ja, die gibt es. Die kann man nicht mal im Vorfeld benennen und in Quarantäne stecken, so dass es eine Art Russisches Roulette ist, ob man als kerngesunder Mensch Covid-19 denn nun überlebt oder nicht. Über die aktuell vermuteten Folgeschäden will ich an dieser Stelle nicht mal reden, das mache ich ggf. in einem Folgebeitrag.
Menschen zu opfern, um selbst davonzukommen, ist durchaus in unserer Genetik verankert, sollte jedoch durch Humanität ausgeschaltet sein. Man sieht in dieser Zeit sehr gut, wer den steinzeitlichen Instinkten folgt und wer der Evolution des Denkens gefolgt ist. Ganz nebenbei hat dieses Denken „der ist vorerkrankt, der wäre doch eh gestorben, das ist doch nicht so schlimm“ einen ganz, ganz miesen Beigeschmack von „unwertem Leben“. Und auch, wenn die letzten Jahre gezeigt haben, dass dieses Denken wieder groß im Kommen ist, habe ich doch die Hoffnung, dass die Masse kein zweites Mal auf den Zug aufspringt.

Jeder Mensch hat das Recht auf ein langes, glückliches und weitestgehend gesundes Leben. Und es ist legitim, sich um seine wirtschaftliche und private finanzielle Zukunft Sorgen zu machen. Es ist aber nicht legitim, aus dieser Angst heraus andere Menschen (und es sind immer die Unbekannten, Imaginären, die nur aus Zahlen bestehen, nie die eigenen Eltern, Großeltern, Kinder, Partner oder Freunde, die ins Feld geführt werden) opfern zu wollen.
Wenn mir noch einer erzählt, es sei okay, jetzt wieder alle Geschäfte zu öffnen und „ein normales Leben“ aufzunehmen, dann könnte es passieren, dass ich sehr, sehr ungemütlich werde. Denn genau dieses „normale“ Leben wird unterm Strich Hunderttausende selbiges kosten. Aber anscheinend sind wir schon so gut in der Prävention, dass sich zu viele in falscher Sicherheit wiegen.
Nein, wir sind noch lange nicht „über den Berg“, wir stehen noch immer am Anfang der Pandemie. Und erst, wenn wir einen zuverlässig wirksamen Impfstoff haben und diesen in großer Menge produzieren können, können wir langsam wieder daran denken, unseren Alltag ungefähr so zu gestalten wie vor der Pandemie. Wer glaubt, dass alles wieder so wird wie vorher, hat wirklich noch nicht verstanden, was die Pandemie bedeutet. Aber ich fürchte, dagegen komme ich mit diesem Blog auch nicht an.

Und ja, mir ist klar, dass der Lockdown für viele einen wirtschaftlich immensen Schaden bedeutet, bis hin zum Bankrott. Mir ist auch bewusst, dass das alles andere als witzig ist. Und trotzdem bleibe ich dabei, dass Menschenleben wichtiger sind als Wirtschaft. Wer lebt, kann wieder auf die Beine kommen, wer tot ist, kann nichts mehr.