Leben in Zeiten von Corona – und wie lange geht das jetzt noch?

Ich glaube, das ist die Frage, die so ziemlich alle beschäftigt. Wie lange müssen wir denn nun noch zuhause bleiben, auf soziale Kontakte verzichten, auf das Feierabendbier und den Nachmittagskaffee mit Freunden unterwegs? Auf die Pizza beim Italiener, den Urlaub, das Konzert unserer Lieblingsband?

Ich merke immer wieder in den sozialen Medien, teilweise auch in meinem direkten Umfeld, dass die Menschen glauben, dass nach Ostern alles „wieder normal“ verlaufen werde. Dieser Gedanke kommt daher, dass die strikten Maßnahmen zunächst bis Ostern festgelegt wurden (indem Kitas und Schulen vorzeitig „bis zu den Osterferien und inklusive“ geschlossen wurden). Anfang der Woche wurden die Maßnahmen vorsichtig bis zum 20.04. verlängert, was auch nicht so lange nach Ostern ist, Und dann? Dürfen wir dann wieder raus, findet die Kieler Woche doch Ende Juni statt (aktuell ist sie auf Anfang September verschoben), werden Fußballspiele wieder vor vollen Tribünen stattfinden, dürfen wir endlich wieder auf Spielplätze, in Kletterhallen und an den Strand?
Ich bin nicht der Messias und besitze auch keine Glaskugel. Aber ich höre und lese vieles zum Thema und ich kann rechnen. Wie ich in einem der ersten Beiträge zum Thema schon berechnet habe: Bis zur Herdenimmunität kann es locker ein Jahr dauern. Oder auch zwei. Viel besser und vor allem verständlicher hat das Mai Thi Nguyen-Kim in ihrem neuesten Video ihres Kanals mailab erklärt, das ich hier gerne verlinke:

maiLab: Corona geht gerade erst los

Schaut es euch in Ruhe an, ich finde, dass sie die Zahlen sehr gut zusammenfasst.

Sicher ist, dass es kein „back to normal“ geben wird. Sicher ist auch, dass unsere Wirtschaft keinen monatelangen Lockdown verträgt. Wir brauchen also einen Mittelweg, der so vielen wie möglich das (biololische) Leben erhält und so wenigen wie nötig das (wirtschaftliche) Leben ruiniert. Und dafür müssen wir die Ausbreitung derart verlangsamen, dass wir diese nach Möglichkeit wieder komplett unter Kontrolle haben und jede neue Infektion direkt zum „Absender“ verfolgen und alle Infizierten unverzüglich isolieren können. Das geht aber halt nicht, wenn wieder alle lustig Parties feiern, reisen und in Menschenmassen schwitzen. Mit viel Glück kommen wir in zwei, drei Monaten an den Punkt, dass die meisten von uns ihre Arbeit wieder aufnehmen können und wir uns wieder in Cafés oder am Strand mit unseren Freunden treffen können.

Aber vielleicht schaffen wir es ja auch, diese extremen Zeiten als Chance zu begreifen. Als Chance in so vielen Bereichen: Zum einen fördert die Situation erstaunlich stark die Kreativität der Menschen. Was ich bereits alles an witzigen und tollen Bildern, Filmen und Mitmachaktionen mit Coronabezug gesehen habe, macht mir Mut. Und es muss ja nicht bei mehr oder weniger privater Unterhaltung aufhören. Dass Unterricht jetzt online stattfindet, erfordert auch Kreativität. Wenn eine Lehrerin auf Twitter beschreibt, dass einer ihrer Schüler während des Matheunterrichts joggen geht, weil er sich dann besser konzentrieren kann, dann kann das dazu anregen, generell die Formen unseres Unterrichts zu überdenken. Das gleiche gilt analog fürs Homeoffice, das viele plötzlich als durchaus umsetzbar und sehr produktiv empfinden.
Nachbarschaftshilfe entsteht an allen Ecken und Enden, die Menschen muszieren von Balkon zu Balkon miteinander, in Hamburg stellt sich ein Fitnesstrainer auf die Straße und gibt Kurse für die Anwohner, und so weiter und so fort. Die Autos bleiben viel häufiger stehen, man geht eher zu Fuß oder mit dem Rad zum Einkaufen, und wenn man nicht in den Urlaub fahren kann, dann kommt der Urlaub eben zu uns nach Hause. Museen und Opernhäuser bieten virtuelle Ausstellungen und kostenlose online-Konzerte an, Büchereien verlängern ihre Leihfristen und bieten günstige ebook-Leihmöglichkeiten, alle Streamingdienste haben tolle Dokumentationen im Programm, und erstaunlich viele Menschen entdecken das Telefon wieder als Kommunikationsmittel.

Wenn wir all diese geballte kreative Kraft nutzen, werden wir auch Wege finden, diese Krise nicht nur zu überleben, sondern gestärkt aus ihr hervorzugehen. Vielleicht mit etwas weniger „weiter, schneller, höher“ und etwas mehr „langsam und bedächtig“ im Blick. Mit mehr Fokus für das Wesentliche und weniger Zerstreuung um der Zerstreuung Willen. Und es werden ganz tolle Lösungen entstehen für Probleme, die wir (nicht nur erst) durch Covid-19 haben. Wirtschaftliche Lösungen, aber auch zwischenmenschliche. Ich habe jedenfalls die Hoffnung, dass wir mit einer veränderten, aber gestärkten Gesellschaft aus dieser Krise kommen.

Und bis es so weit ist, versuche ich, meine Nähmaschine zu reinigen und zum Laufen zu bringen. Dann gibt es einen hübschen Mundschutz und vielleicht wird ja auch endlich mein Sommerkleid mal fertig. 😉

Und auch, wenn „bleibt gesund“ der neue Abschiedsgruß ist: Eigentlich geht es gar nicht darum. Denn mittelfristig müssen sich 60-70% der Bevölkerung infizieren, um die Pandemie „auszutrocknen“ und Herdenimmunität zu erreichen. Aber bleibt so lange wie möglich gesund, damit sich die Infektionen auf einen langen Zeitraum verteilen.