Leben in Zeiten von Corona – Lagerkoller und die Gefahr der Gewöhnung

Gestern oder heute wäre ich aus meinem Urlaub zurückgekommen. 2,5 Wochen Klettern und Camping im Donautal, in der Fränkischen Schweiz und im Harz haben nicht stattgefunden. Stattdessen habe ich überwiegend auf meiner Couch gewohnt, die Katze geknuddelt (die ist an manchen Ecken schon ganz abgeschubbert, und da ich das nicht war, gehen wir wohl Dienstag mal zum Tierarzt) und zu viel gegessen.

Letztes Wochenende habe ich meinen Balkon aufgeräumt, so richtig. Alles weggeräumt, was herumstand, die alte Blumenerde hinterm Haus ins Beet gekippt und die leeren Töpfe in den Keller gebracht. Die Bodenfliesen angehoben und abgebürstet, ca. 5l Blumenerde vom Boden aufgefegt und diesen dreimal gewischt, bis er einigermaßen sauber war. Dann die Fliesen gewaschen, trocknen lassen, geölt und wieder ausgelegt. Die Liege ebenfalls geölt, die Fensterbank gewischt und die Vogelfutterbälle ausgetauscht. Seitdem wohne ich überwiegend auf meinem Balkon, sofern das Wetter es zulässt.

Mein Pullover ist fast wieder an der Stelle, an der ich ihn aufgeribbelt hatte. Und ich brauche mehr Wolle, als ich habe, ich muss also nachbestellen und hoffen, dass die Farbe passt, das ist bei unterschiedlichen Chargen nicht immer so.
Ich habe letzten Montag meinen Kletterpartner auf seinem Balkon besucht und wir haben uns an den Strand gesetzt. Ich brauchte das, mal rauszukommen. Dafür hatte ich die ganze Woche keine Lust auf Bewegung, und ich bemerke eine gewisse „ist ja auch egal, ich habe ja Zeit“-Haltung an mir. Aber so ein paar Dinge müsste ich halt schon erledigen, weil die Deadlines haben. Oder zumindest Konsequenzen, wenn ich sie nicht erledige. So wie der Strafzettel, der hier noch herumfliegt, weil ich keinen legalen Parkplatz im Umkreis meiner Arbeit gefunden hatte. Das kommt mir vor wie in einer anderen Welt.
Dienstag habe ich lange mit meiner Balkonnachbarin geschnackt (wir sind dann jetzt per Du) und sie lud mich in ihren Schrebergarten ein. Da war ich am Mittwoch. Und danach verliert sich so ein bisschen die Übersicht, was ich wann gemacht habe. Ach doch: Donnerstag hat die Boulderhalle aussortierte Griffe verschenkt und ich habe das zum Anlass genommen, mich mit einer Freunden vor Ort zu treffen und mit gebührendem Abstand ein bisschen zu quatschen. Tat gut!
Gestern habe ich jedenfalls einen Hefevorteig angesetzt und im Eiswürfelbereiter eingefroren. Zwei Teile habe ich behalten und zum einen einen Hefezopf und zum anderen Pizzateig daraus gemacht. Beide sind ganz hervorragend geworden und ich befürchte, ich werde in absehbarer Zeit kein Gramm abnehmen.

Ebenfalls gestern haben wir in unserer WhatsApp-Gruppe zum Megamarsch darüber geredet, ob wir so tun, als falle die Veranstaltung auf jeden Fall aus, alles stornieren und nicht trainieren, oder ob wir so tun, als werde der Marsch auf jeden Fall stattfinden. Ich hab mich für Variante 2 entschieden und bin 15km gewandert. Mit Rucksack (leer bis auf Portemonnaie, einen Proteinriegel und die Trinkflasche) und ordentlichem Tempo (Pace von 9:35). Wieder ins Eidertal, dieses Mal aber einen alternativen Rückweg, der mich letztlich durch mein altes Jogginggebiet nach Hause brachte. Ich habe noch immer Muskelkater im Hintern und gehe auf Zehenspitzen, wenn ich länger gesessen habe, aber es hat gut getan.
Heute Morgen habe ich mir einen Trainingsplan für die kommenden Wochen erstellt. Falls der Lauf stattfindet, muss ich gestern in acht Wochen 50km am Stück gehen. Und das erscheint mir noch immer total utopisch, aber wer weiß, vielleicht bekomme ich meine Gelenke ja dazu, das gut zu finden. Immerhin haben die Knie gestern problemlos mitgemacht, was mir zeigt, das Gehen im Gegensatz zu Laufen gut ist.

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Heute meinen Osterzopf gefrühstückt, sehr viel gestrickt, sehr viel SATC geschaut, den NAchmittag auf dem Balkon gesessen. Meine Pizza gemacht und gegessen, mit Freunden über WhatsApp gechattet. Und so langsam merke ich, dass ich nicht mehr kann und nicht mehr will.
Sowohl die Boulder- als auch die Kletterhalle sind seit vier Wochen zu. Es geht nicht nur um die Bewegung, es geht auch um die Kommunikation mit anderen Menschen, den Austausch, den Körperkontakt. Denn ja, auch wenn ich an sich gut alleine zurechtkomme, mir fehlen Umarmungen. Sehr.

 

Ich merke, dass ich die Nachrichten nicht mehr in dem Maß verfolge wie in den ersten Wochen. Wusste ich anfangs die aktuellen Zahlen für Deutschland und teilweise auch noch weitere Länder, habe ich derzeit kaum einen Überblick. Ich fühle mich abgestumpft, ich will raus hier und ich verstehe jeden, der ebenfalls raus will. Nicht einfach meine Klettersachen in den Bus meines Kletterpartners zu werfen und für zwei Tage in den Harz zu fahren, kostet mich von Tag zu Tag mehr Überwindung. Und ich bekomme in den sozialen Medien mit, dass es vielen so geht.

Dazu kommt aber etwas anderes, und das ist gefährlich: Weil der Shutdown derzeit so gut funktioniert, dass die Kurve sich deutlich abflacht (ja, das bekomme ich dann doch mit), glauben viele nicht mehr, dass die Pandemie wirklich ein Problem sei. Und während die einen Masken nähen, damit wir alle besser geschützt miteinander umgehen können, wenn wir einkaufen oder die Maßnahmen etwas gelockert werden, verlieren die anderen sich in Verschwörungstheorien darüber, dass das Virus ja nur ein Vorwand sei, um Deutschland in einen Polizeistaat zu verwandeln, das Bargeld abzuschaffen oder uns nach Aldebaran zu transferieren (fügt hier einfach jede beliebige weitere Verschwörungstheorie ein, irgendjemand hat sie garantiert schon mit Covid-19 in Verbindung gebracht).
Und genau diese Menschen gefährden das, was wir bisher durch den Shutdown erreicht haben: Eine kollektive Sicherheit, das Verhindern der sogenannten italienischen Verhältnisse. Denn wir haben noch immer nicht den Peak überschritten, noch lange sind nicht 50% oder mehr mit Covid-19 in Berührung gekommen, so dass die Neuinfektionsrate deutlich absteigen würde. Und wenn genug Menschen keine Lust mehr haben, sich freiwillig aus den öffentlichen Leben zurückzuziehen, dann schießt die Kurve ganz schnell wieder in die Höhe. Was dann mehrere mögliche Folgen haben kann: Zum einen werden dann die Einschränkungen verschärft, zum anderen kann es zu Engpässen in den Kliniken führen. Ich sage es gerne noch mal: Triage ist kein Spaß. Was im Klinikalltag kein Problem ist (der Patient mit den akutesten Verletzungen kommt schneller dran als der, der nur einen blauen Fleck hat), ist in Krisensituationen die Entscheidung über Leben und Tod. Das will nicht nur keiner als Patient erleben, das möchte auch kein Arzt machen müssen.

Dann gibt es noch die Helden, die meinen, es reiche doch, alle Menschen aus Risikogruppen „einzusperren“, dann könnten die anderen wieder ihr ganz normales Leben leben. Das ist auf mehreren Ebenen falsch: Erstens bedeutet es, dass eine nicht unerhebliche Anzahl an Menschen auf unbestimmte Zeit eingesperrt wird – grobe Berechnungen sagen, dass etwa 30% aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustandes gefährdet sind, schwere Verläufe bei Covid-19 zu durchleben -, damit die anderen ihrem Egoismus frönen können. Das ist asozial und inhuman. Dass diese Menschen nicht alle Rentner sind und damit auch im System fehlen, kann man sich zusätzlich ausrechnen. Dass die anderen sich dann vermutlich sehr schnell anstecken, und wir somit eben trotzdem italienische Verhältnisse bekommen können (ja, es gibt auch schwere Verläufe bei Menschen, die auf den ersten Blick nicht gefährdet sind) und dass sich auch Klinikpersonal in größerer Zahl anstecken wird, wenn sich wieder alle frei bewegen, ist auch kein Geheimnis.
Und dann bliebe eben die Frage, wie wir entscheiden, wer zuhause bleiben muss (und dann wohl nicht nur im Lockdown, sondern in strenger Quarantäne) und wer raus darf.
Nein, keine gute Lösung.

Aktuell geistert ein Artikel herum von einem Arzt, der sagt, es sei noch niemand an Covid-19 gestorben, die Menschen hätten alle Vorerkrankungen gehabt und seien entweder an Lungenentzündung oder an Herzversagen gestorben.
Willkommen bei Covi-19: Das ist genau das, was dieses Virus macht. Es greift die Lunge an und belastet damit zugleich das Herz, weil die Lunge nicht mehr genug Sauerstoff aufnehmen kann und das Herz mehr Blut pro Minute pumpen muss, was wiederum bei Herzerkrankungen, Bluthochdruck oder auch einfach Übergewicht zu Herzversagen führen kann. Diese Menschen sterben vielleicht nicht direkt am Virus, aber an dessen Folgen. Sie wären also zu einem großen Teil noch am Leben, wenn sie nicht an Covid-19 erkrankt wären.

Daher, liebe Leute: Auch wenn das Wetter geil ist und der Hintern inzwischen die Form de Couch angenommen hat: Bleibt vernünftig. Geht raus, geht spazieren, macht Sport, aber haltet Abstand, tragt Mundschutz, wenn ihr in Geschäfte oder auf die Arbeit geht, telefoniert mit Freunden und Familie statt sie zu besuchen. Wir retten damit Leben. Unser eigenes und das von anderen. Und das sollte uns eine Menge Unannehmlichkeiten wert sein.

Zu den wirtschaftlichen Folgen möchte ich mich gerade nicht äußern, auch, weil ich mich noch nicht genug damit beschäftigt habe. Ja, mir ist klar, dass gerade Existenzen den Bach heruntergehen und dass das furchtbar ist. Ich glaube aber fest daran, dass man immer noch eine Chance hat, wenn man am Leben ist, und daher stelle ich Leben über wirtschaftliche Existenz.

Bleibt tapfer, Leute. Und gesund.

Leben in Zeiten von Corona – Zeitvertreibe

Sorry, jetzt war es hier viel länger still als geplant. Das lag zum einen daran, dass ich morgens immer dachte „heute Abend bloggst du über das, was du tagsüber getan hast“, aber dann war ich abends zu platt und zu müde und hatte Kopfschmerzen (seit 14 Tagen werde ich sie nicht richtig los), zum anderen daran, dass ich dachte „mach mal was fertig und blogge dann erst darüber.“

Nun ja, ich bin jemand, der quasi alles durcheinander macht, und so werde ich nie wirklich fertig. Daher jetzt also eine kleine Zusammenfassung der Dinge, die ich so getrieben habe, für das eine oder andere Thema eröffne ich bestimmt noch eigene Artikel.

Letzten Montag (es fühlt sich wirklich deutlich länger her an) stellte ich fest, dass ich den Punkt, an dem die Haare geschnitten werden müssen, erreicht habe. Das ist wie mit Fingernägeln, nur sind die Intervalle länger. Irgendwann sind sie zu lang.
Was also tun? Die Friseure haben geschlossen, ich kenne niemanden persönlich, der mir die Haare schneiden könnte, also setzte ich vorsichtig meine Küchenschere an einer kleinen Locke an – und musste feststellen, dass sie unsagbar stumpf war. Mitten in der Nacht habe ich mir dann nicht nur eine Friseurschere bestellt, sondern auch noch ein paar Produkte zur Haarpflege (nachdem ich wieder auf die Curly Girl / Hair Method gestoßen war und dieser noch eine Chance geben wollte) und Farbe. Und zwar nicht braun. 😉
Lieferzeitpunkt der einzelnen Produkte: zwischen Samstag (28.03.) und dem 05.05. Letzteres war natürlich die Schere. Also habe ich Dienstag todesmutig meiner Nachbarin im Homeoffice geschrieben, ob sie eine Friseurschere hat, und sie antwortete: „Komm mal zur Tür, ich zeige Dir mein Sortiment.“
Kurz darauf war ich mit einer schmalen, scharfen Bastelschere bewaffnet und habe mir die Haare geschnitten. Nicht viel, so 10-15cm (im nassen Zustand hingen die längsten Strähnen fast bis auf den Hintern, das war also echt okay). Ein bisschen nachgearbeitet: Sieht nicht schlecht aus!
Mehr zum ganzen Haarthema dann in einem eigenen Blogartikel, sonst schlaft ihr mir hier alle ein, bis ich mit allem durch bin.

Das zweite war dann die Wiederentdeckung meiner Stricksachen. Ich hatte im Oktober ein Paar Socken dabei, als ich eine Freundin besuchte. Socke 1 wurde fertig, von Socke 2 hatte ich das halbe Bündchen. Also habe ich Socke 2 beendet und dann beschlossen, den Pullover, den ich vor gut drei Jahren begonnen habe, endlich zu beenden. Eine ausgeräumte Wollecke meiner Abstellkammer später wusste ich: Ich hab verdammt viel Wolle, auch noch sieben Knäule für den Pulli – aber wo ist der eigentlich? Ich fand ihn dann im Arbeitszimmer an der Türklinke hängend (im Leinenbeutel). Und er hatte Mottenlöcher. Oh no!
Nebenbei hatte ich dann schon Wolle für neue Projekte bestellt und außerdem einen Möbius-Loopschal wieder ausgebuddelt, der auch erst ein paar Zentimeter breit war. Also den Rest wieder eingepackt und den Schal weitergestrickt.
Inzwischen ist der Pulli aufgeribbelt und neu gestartet, eine weitere Socke beendet und der Loopschal befindet sich gerade in Abkettung.
Auch zum Stricken werde ich noch einen eigenen Artikel starten. Oder mehrere, mal sehen.

Ansonsten schaue ich Serien, spiele online-Games und hatte am Samstag Besuch. Mein Kletterpartner sitzt wie ich alleine in seiner Wohnung (eigentlich wären wir jetzt ungefähr seit einer Woche unterwegs im Donautal, im Frankenjura oder anderswo zum Klettern) und wir hatten das dringende Bedürfnis, mal wieder nebeneinander zu sitzen und zu quatschen. Das war wirklich toll – ich bin ja bekennender Einsiedlerkrebs, aber ich mag dann doch auch hin und wieder mal einen Menschen um mich haben.

Auch mit meiner Balkonnachbarin führe ich hin und wieder nette, lange Gespräche (wir haben es nach 13 Jahren jetzt mal zum offiziellen Du geschafft, nachdem uns das vorher schon mal hin und wieder rausgerutscht ist) und wenn ich Nachbarn im Treppenhaus treffe, reden wir auch miteinander.
Ich gehe einkaufen, hin und wieder spazieren und ansonsten bin ich ziemlich faul. Naja, ich habe angefangen, meine Wohnung aufzuräumen und mag, was da passiert. Mal schauen, wie weit ich komme.
Ich werde wohl viel Zeit haben, mehr als gedacht, denn Montag bekam ich meine Kündigung. Ich hatte gehofft, dass mein Arbeitgeber länger mit kurzarbeit durchhält, aber nun ist es, wie es ist, Wir gehen alle nicht davon aus, dass die Gastronomien so schnell wieder ihren Betrieb aufnehmen dürfen, und wenn doch, stellen sie uns (zumindest einige) wieder ein.

Was mir noch so durch den Kopf ging: Wir leben in ungewöhnlichen Zeiten, Wir müssen lernen, wieder Rücksicht aufeinander zu nehmen. Das klappt auf der einen Seite sehr gut, auf der anderen gar nicht. Viele zeigen andere an, weil diese sich nicht daran halten, nur zu zweit rauszugehen. Strände werden gesperrt, weil alle gleichzeitig ans Meer strömen, Und so weiter und so fort.
Machen wir es uns doch mal zur Aufgabe, netter miteinander umzugehen. Kritik positiv zu formulieren, anstatt nur draufzuhauen. Beweggründe zu hinterfragen. Kauft da jemand so viel Klopapier, weil er seine Nachbarn mit versorgt, sieben Kinder hat oder eine Jugendwohnung betreut?
Sind die Stimmen, die sich auf Verschwörungen berufen, nicht einfach nur Stimmen der Angst? Wie können wir ihnen diese nehmen?
Und: telefoniert mehr miteinander. Schreibt Briefe, Karten, Mails oder SMS. Zeigt den anderen, dass ihr an sie denkt.

Seid nett zueinander. Und bleibt gesund!