Rezension Letztendlich sind wir dem Universum egal und Letztendlich geht es nur um dich von David Levithan

Mehr zufällig bekam ich den zweiten Band in die Finger, las hinein, verstand, dass es einen ersten Teil gibt und lud ihn mir auf meinen Kindle. Und weil beide Bücher so eng miteinander verwoben sind, habe ich auch den zweiten heruntergeladen und gelesen und schreibe die Rezension nun für beide gemeinsam.

A. ist kein normaler Teenager, denn er hat keinen Körper. Oder anders: Er wacht jeden Tag in einem anderen Körper auf und übernimmt für 24 Stunden das Leben der anderen Person. Dennoch hat er eine eigene Persönlichkeit, ein eigenes Gedächtnis und eigene Gefühle -kurz: er ist ein vollständiger Mensch, nur ohne Körper.
Das ist für ihn okay, er kennt es nicht anders. Doch dann begegnet er Rhiannon und verliebt sich in sie. So sehr, dass er immer wieder ihre Nähe sucht und sich ihr offenbart. Und ihre anfängliche Skepsis wandelt sich, bis auch sie die Treffen mit A. herbeisehnt und sich wünscht, es gäbe eine Möglichkeit, mit ihm eine Beziehung zu führen. Aber wie soll das gehen, wenn er doch jeden Tag ein anderer ist?

A wechselt nicht völlig willkürlich den Körper. Eine Regel besagt, dass sein „Wirt“ immer etwa so alt ist, wie er selbst. Eine andere Regel besagt, dass er keine weiten Sprünge vollführt. Dies hat den Vorteil, dass er meistens in Rhiannons Reichweite bleibt (ich glaub, vier Stunden Fahrtzeit waren das Weiteste), aber auch den Nachteil, dass er nicht so einfach zurückkommt, wenn er mit seinem Wirt reist.

So absurd die Idee ist, so faszinierend ist die Geschichte. Ohne A’s Besonderheit wäre es einfach nur eine Teenager-Liebesgeschichte, die auch schon ihren Reiz hätte. So aber kommen haufenweise Aspekte dazu, die einem zeigen, wie selbstverständlich wir vieles nehmen, was es gar nicht ist.

Dazu kommt, dass David Levithan ohne jeden moralischen Zeigefinger Themen wie Untreue, Transgender, Homosexualität etc. behandelt. Seine Figuren sind auf angenehme Weise einfach sie selbst, manche dick, manche dünn, manche depressiv, manche narzisstisch, aber immer authentisch. Auch die Tatsache, dass nicht alle Amerikaner von weißen Europäern abstammen, bringt er völlig unaufgeregt unter.
Weil A. sich selbst als geschlechtslos betrachtet, kann man ihn vermutlich als genderfluid betrachten. Schön finde ich, dass Rhiannon gerade durch die ständig wechselnde äußere Gestalt A’s für sich selbst definiert, womit sie leben kann und womit nicht. Dass sie A immer akzeptiert, aber eben nicht jede seiner Hüllen gleich stark lieben kann. Es wäre mir heuchlerisch vorgekommen, wenn sie „ich liebe dich, egal wie die aussiehst, welchen Bildungsstand und welches Geschlecht du hast“ gesagt hätte. So ist auch hier wieder ein Coming of Age untergebracht, ohne dass in irgendeiner Weise gewertet wird.

Alles in allem mag ich die Bücher sehr und halte sie für sehr gute Jugendbücher. Und weil das Ende in beiden Büchern gleich offen ist, hoffe ich sehr auf eine Fortsetzung.

4,5 Sterne von mir.

Letztendlich sind wir dem Universum egal

  • Taschenbuch: 416 Seiten
  • Verlag: FISCHER Taschenbuch; Auflage: 8 (22. September 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3596811562
  • ISBN-13: 978-3596811564

Letztendlich geht es nur um Dich

  • Taschenbuch: 384 Seiten
  • Verlag: FISCHER Taschenbuch; Auflage: 1 (23. Mai 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 9783596035458
  • ISBN-13: 978-3596035458
  • ASIN: 3596035457

NaNoWriMo 2018 – ein Rückblick

Wie man unschwer erkennt, habe ich es nicht geschafft, jeden Tag zu bloggen. Genau genommen nicht mal jede Woche, sondern dann einfach gar nicht. Was vor allem daran liegt, dass ich dachte, ich würde häufiger bloggen und mich dann daran festgehalten habe, dass ich jetzt alles nachholen „muss“, was ich nicht erzählt habe.
Blödsinn. Auch Romane leben von den Auslassungen. Niemand will einen minutiösen 24-Stunden-Tagesbericht jeder einzelnen Figur. Auch unsere Leben sind nicht rund um die Uhr spannend. Also picken wir beim Erzählen das heraus, was interessant ist. Sowohl, wenn wir Freunden oder Familie erzählen, was wir erlebt haben, als auch beim Schreiben. Und genau das ist die wahre Kunst daran: Zu erkennen, welche Begebenheiten der Figuren wichtig sind und welche die Geschichte nicht voranbringen. Welche für die passende Stimmung sorgen und welche vom Geschehen ablenken. Ich habe sehr lange das Gefühl gehabt, dafür kein Gespür zu haben. Bei Kurzgeschichten war es einfacher, die sind eh die verdichtete Essenz einer Begebenheit. Aber ein Roman ist nicht die Aneinanderreihung von Kurzgeschichten, sondern funktioniert völlig anders.

Und all diese Dinge wusste ich, habe sie aber in diesem NaNo erlebt. Anhand meines Romans. Wie man am Counter rechts auf dieser Seite erkennen kann, habe ich die 50k nicht erreicht, aber ich ärgere mich nicht darüber. Ich habe nicht nur mehr an einer zusammenhängenden Geschichte geschrieben als in den letzten acht (?) Jahren, sondern auch mehr, als in den letzten fünf Jahren überhaupt. Und ich habe die Geschichte nicht gegen die Wand gefahren. Es gibt Szenen, die rausfliegen werden, welche, die dringend überarbeitet werden müssen und eine Figur, die erneut eine Generalüberholung benötigt, aber all diese Dinge weiß ich und kann sie umsetzen. Ich habe in diesem November nicht nur das Schreiben an sich wiedergefunden, sondern anscheinend auch gelernt, wie man Geschichten überarbeitet, um sie besser zu machen. Wie man mittendrin den Kurs ändert, damit am Ende alles passt, ohne dass man die gesamte Geschichte verändert. Und ich weiß, dass ich es doch kann: Schreiben. Geschichten erfinden, die vielleicht sogar mal jemand lesen mag. Gerne liest. Das ist eine wunderbare Erkenntnis!

Ich werde den Roman in aller Ruhe fertig schreiben und so überarbeiten, dass er rund wird. Vielleicht brauche ich dafür drei Monate, vielleicht ein Jahr. Es ist nicht wichtig – wichtig ist nur, dass ich das Schreiben wiedergefunden habe. Und dass meine Figuren lebendig geworden sind und mir gezeigt haben, dass nicht nur das echte Leben selten so verläuft wie geplant, sondern auch das erfundene. Ich kann als Autor noch so gut planen – wenn ich mich sklavisch an den Plan halte, anstatt der natürlichen Entwicklung des Romans zu folgen, wird er aller Voraussicht nach sehr statisch werden, anstatt sich organisch und lebendig anzufühlen, als schaue man beim Lesen echten Menschen beim Leben zu.

Schreiben bedeutet, der Chronist einer Geschichte zu sein

Ich war ja immer ein wenig neidisch, wenn andere sagten, dass sie eigentlich nur aufschreiben, was passiert, während die Figuren durch ihre Welt stolpern. Ich hatte immer mal Momente, in denen ich in einen solchen Schreibrausch geraten bin, aber viel häufiger hatte ich das Gefühl, meine Figuren zu etwas zwingen zu wollen, das ihnen gar nicht recht liegt.
Dieses Mal ist es anders, bisher jedenfalls. Ich habe bei allen bisherigen Szenen das Gefühl, quasi hinter der Kamera zu stehen und draufzuhalten, während meine Figuren nicht mal ein Drehbuch haben, sondern allenfalls grobe Anhaltspunkte. Und es funktioniert erstaunlich gut!
Da ist plötzlich ein Mitbewohner von Helen aufgetaucht, der einer ihrer engsten Freunde ist und den sie viel zu selten sieht, weil beide ständig auf Achse sind. Ein kleiner Twist aus der Plot-Methode hat heute zu einer großartigen Kennenlernszene zwischen Helen und Hannes geführt, die weniger von Streit geprägt war, als ich befürchtet habe, aber sie sind definitiv auch nicht als Freunde auseinandergegangen. Da steckt noch jede Menge Potential drin! 🙂
Ich habe insgesamt schon fast 6.000 Wörter geschrieben und freue mich trotz akuter Müdigkeit auf die kommenden Tage. Auf Zweifel, Streit, Versöhnung und jede Menge Strand. Wie gut, dass sowohl Helen und Fily als auch Hannes am Meer leben. Blöd, dass es nicht das gleiche ist.
Morgen habe ich weniger Zeit zum Schreiben, mal schauen, was ich dennoch schaffe.

NaNo Tag #1: Wir lernen ein paar Figuren kennen

Gestartet bin ich mit vielen Mitautoren aus dem Tintenzirkel um Mitternacht. Nach zwei Einheiten mit je 20min hatte ich 1321 Wörter und bin ins Bettchen gekippt.
Heute morgen fand ich das nachts Geschriebene gar nicht so gruselig und habe heute im Laufe des Tages noch ein paar Einheiten eingelegt, so dass ich den Tag nun mit 3.819 Wörtern beschließe und damit einen kompletten zweiten Tag „grüngeschrieben“ habe.
Die Erfahrung lehrt, dass es gut ist, sich am Anfang einen Puffer zu erschreiben, weil man immer Tage hat, an denen man nicht zum Schreiben kommt. Sei es, weil das LebenTM dazwischenkommt, sei es, dass man so starke Zweifel an seinem Roman hat, dass man einfach eine Pause braucht. Es gibt Tage, an denen man weniger als das Soll von 1.667 Wörtern erreicht, so dass auch diese gepuffert werden müssen. Und es ist immer besser, den Puffer vorneweg zu schaffen, als im Nachhinein verzweifelt zu versuchen, den Wordcount wieder zu erreichen.

Bisher habe ich Hannes und seinen dreibeinigen Hund Streuner ein bisschen besser kennengelernt, außerdem haben Helen und Fily sich getroffen und Helen darf mit ihrem Lieblingsmitbewohner ein Bier auf der Dachterrasse trinken, bevor sie in die Bretagne startet. Das wird spannend, und ich befürchte, dass ihr alter, treuer Bulli irgendwo auf der Strecke ein Problem bekommen wird. Möglicherweise ausgerechnet irgendwo im Nirgendwo in der Nähe von Hannes‘ Hütte.

NaNoWriMo 2018: Wann, wenn nicht jetzt?

Das letzte Mal habe ich 2015 am NaNoWriMo teilgenommen, aber sehr schnell aufgegeben. Wenn man selbständig ist und die Hauptsaison von Oktober bis Dezember geht, dann schafft man es nicht mehr, „nebenbei“ noch einen Roman zu schreiben.
Nun habe ich mein Leben umgekrempelt, meine Selbständigkeit an den Nagel gehängt und bin aktuell in einem Zwischenzustand, der mir erlaubt, etwas mehr Zeit für mich zu nutzen. Und da so langsam auch die Kreativität wieder anklopft, dachte ich „schreib mal ein nettes kleines Spaßprojekt zum Warmwerden, bevor Du Dich an irgendwelche Monster-Epen wagst“. Gesagt, getan.
Zwei Figuren waren schon vor einer Weile da, die dritte kam etwas später und bekam in den letzten Tagen eine Geschlechtsumwandlung (hat ihr gut getan, wirklich!), und nun plotte ich mit der Ideen-Matrix fleißig herum, um nicht völlig ins Blaue zu schreiben.
Klar, dass ich mir trotzdem einiges an Recherchen aufgehalst habe, oder? Aber das wird schon, notfalls sind da ganz viele Gurkensalate (Platzhalter) im Text, um die ich mich dann nach dem NaNo kümmern muss.

Worum es geht?
Nun ja: Um Selbstfindung, Liebe, Konventionen und ihre Aufweichung, um Liebe, Einsamkeit und das Leben.
Oder konkreter: Um drei sehr unterschiedliche Menschen, die zueinanderfinden und sich nicht sicher sind, ob und in welcher Konstellation sie nun eigentlich zueinander stehen. Sind sie drei Freunde, ein Paar mit einem Freund, zwei Paare mit einer Doppelbelegung oder ein „Threesome“? Und ist es wirklich wichtig, dass sie sich ein Etikett aufkleben?
Dazu gibt es ein bisschen hübsche Landschaften, die Auseinandersetzung mit der Rolle, quasi in zwei unterschiedlichen Traditionen aufgewachsen zu sein, einen dreibeinigen Hund namens Streuner und das Meer. ❤

Auf geht es, das wird spannend! Der Ticker da rechts auf der Seite sagt euch, wie weit ich bin. Anfeuern ausdrücklich erlaubt! 🙂

*pustet Staub vom Blog*

Lange Zeit dachte ich, ich hätte nichts mehr zu schreiben, nichts mehr zu sagen. Aber das stimmt so natürlich nicht, ich war nur durch zu viele andere Dinge in meiner Kreativität blockiert.
Da ich so langsam mein Leben aufräume und wieder mehr zu mir selber finde, kommen plötzlich auch wieder ein paar Plotbunnies um die Ecke gehoppelt. Das eine kam vor einigen Monaten und brachte eine Figur mit mit den Worten „schau mal, das ist Helen. Sie hätte gerne eine Geschichte“. Danke, liebes Bunny, aber das war dann doch arg wenig, oder? Okay, dann kam Felix, der kaum etwas über sich preisgeben wollte, und beide sagten mir, dass da noch jemand ist, der sich aber erstmal komplett versteckte.
Also skizzierte ich die beiden in einem frischen Scrivener-Projekt und legte dieses mit dem unglaublich originellen Arbeitstitel „voll intellektueller Titel für einen Liebesroman“ ab. Nur – ich schreibe gar keine Liebesromane. Zumindest keine klassischen. Die eine oder andere Liebesgeschichte hat es bisher irgendwie immer in meine Geschichten geschafft.
Na gut, so weit erstmal, es blieb beim Fragment.

Dann, vor etwa drei Wochen, traf mich eine kurze Nachricht im Internet mit voller Wucht, kippte eine Ladung Monsterplotbunnies über mir aus und sagte: „Hey, schreib doch mal ein Weltraumepos über ein Generationenschiff!“ Klar, sagte ich. Wo ich ja so viel Ahnung davon habe. Aber es ließ mir keine Ruhe, und so fand ich mich nicht nur abends lange mit einer Freundin, bei der ich das Wochenende verbrachte, ins Gespräch über das Projekt vertieft wieder, sondern auch am nächsten Morgen mit einem Kaffee und meinem BuJo in ihre Wohnzimmer, tief in einen sehr bequemen Sessel vergraben und die sprudelnden Ideen festhaltend. Gleichzeitig chattete ich mit meinem Freund per Whatsapp, der genauso angefixt war und mir fleißig mit weiteren Ideen und Links aushalf. Danke, das war toll und darf gerne wiederholt werden! ❤
Geträumt habe ich auch mehrfach von meinem Projekt, was mir meines Wissens vorher so noch nie passiert ist.
Da dieses Mammutprojekt aber irgendwie sehr viel Recherche benötigt und ich gerne vorher überhaupt wieder ins Schreiben kommen möchte, im Tintenzirkel die Vorbereitungen für den NaNo schon seit Wochen laufen (und ich noch immer nicht ganz sicher bin, ob das für mich eine gute Idee ist) und mich gestern wieder meine anderen Figuren ansprangen – dieses Mal sogar mit Person drei im Schlepptau -, wird das wohl vorgezogen.

Aktueller Stand der Dinge: Neben der ersten Figur (Frau) und der zweiten (Mann) gibt es jetzt noch einen Mann. Dafür teilte mir Figur zwei mit, dass sie auch eine Frau ist, beide Damen teilten mir mit, dass sie Gendereinteilungen und Heterosexualität für überholt halten und der Kerl, der anscheinend in Frankreich am Meer lebt, sagte heute morgen folgenden Satz:

„Menschen“, sagte er, ohne den Blick vom Meer abzuwenden, „Menschen sind das Schlimmste, was dir passieren kann.“

Da bin ich ja mal gespannt, was er noch zu berichten hat! Und wie die drei zusammenfinden. Und was das am Ende gibt. Aber das ist ja das schöne, wenn man einen neuen Roman beginnt: Es gibt erstaunlich viel zu entdecken!

Rezension Die Spiegel von Kettlewood Hall von Maja Ilisch

Vor ein paar Jahren bekam ich Das Puppenzimmer von Maja Ilisch in die Finger und habe es mit wachsender Begeisterung gelesen. Als ich also mitbekam, dass ein neuer Gaslicht-Roman von ihr erscheint, musste ich ihn unbedingt haben (das war das Buch, das ich bestellt habe, um dann gleich zwei weitere mitzunehmen bei der Abholung – ja, ich kaufe Bücher nach wie vor gerne im örtlichen Buchhandel).

Wie auch im ersten Roman begeistert mich hier die Sprache ganz besonders. Maja Ilisch gelingt es, ihrer Protagonistin eine authentische Stimme zu verleihen, die einem das Gefühl gibt, wirklich einer Vierzehnjährigen aus dem späten neunzehnten Jahrhundert zuzuhören, ohne dass es ins Kindliche oder Lächerliche abrutscht. Das alleine macht das Buch zu einem wahren Lesegenuss.

Worum es geht:
Die vierzehnjährige Iris Barling stammt aus sehr einfachen Verhältnissen. Sie ist das uneheliche Kind eines ehemaligen Hausmädchens, das sich und ihre Tochter nun mit der Arbeit in einer Spinnerei über Wasser hält. Sobald Iris alt genug ist, geht sie ebenfalls in der Fabrik arbeiten, und dass die Großmutter zu den beiden Frauen zieht, macht die Situation keinesfalls besser.
Bei einem Unfall in der Fabrik verliert Iris zwei Finger, dennoch geht sie tapfer weiter arbeiten – was soll sie auch anderes tun?
Doch dann stirbt ihre Mutter und Iris muss sich und die Großmutter durchbringen. Zudem wird ein neues Gesetz erlassen, das Kindern nicht erlaubt, länger als acht Stunden zu arbeiten und ihnen zudem zwei Stunden Unterricht am Tag verordnet. Iris sitzt wie alle anderen die Zeit völlig übermüdet im Klassenzimmer ab, lernt mühselig ein wenig Lesen und schreiben, während Handarbeiten ihr aufgrund ihrer verkrüppelten Hand sehr schwer fallen.
Eines Tages erinnert sie sich wieder an die alte Schachfigur, die sie als Kind bei ihrer Mutter fand. Und mit Hilfe ihres Lehrers lernt sie nicht nur die Grundregeln des Schachspiels, sondern findet auch heraus, wo ihre Mutter damals angestellt war. Sie will weg aus Leeds, weg von ihrer garstigen Großmutter und versuchen, ihren Vater zu finden. Und das Geheimnis ihrer Herkunft scheint in Kettlewood Hall zu liegen.

Iris schafft es mit Hilfe ihres Lehrers, dorthin zu kommen und sie wird empfangen wie die längst verlorene Tochter. Nach und nach muss sie erkennen, dass nichts von dem, was sie hier sieht und erlebt, wahr ist, dass alle ihre Geheimnisse und gute Gründe haben, diese vor Iris zu verbergen. Und abgesehen von den zwei riesigen, unheimlichen Hunden, die Iris schon immer in ihren Träumen begegnet sind und denen sie in Kettlewood Hall nun leibhaftig gegenüber steht, lebt etwas in den Spiegeln, nicht greifbar, doch immer aus dem Augenwinkel zu sehen.
Iris beschließt, die Geheimnisse zu lüften und sich auf das Spiel einzulassen, das fünfzehn Jahre lang nur auf sie gewartet zu haben scheint.

Der Roman ist intelligent komponiert und gibt nach und nach erst Preis, worum es wirklich geht. Dass die Perspektive durchgehend auf Iris liegt, macht es besonders vergnüglich, mit ihr mitzuraten, was denn nun wirklich los ist und warum sich die Bewohner Kettlewood Halls so seltsam verhalten. Die vielen kleinen und größeren Anspielungen auf Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“ machen den Roman zu einer Hommage an ein Buch, das nicht nur (siehe Nachwort / Danksagung) Maja Ilisch schon sehr lange begleitet, sondern auch mich seit meiner frühesten Kindheit fasziniert hat – so sehr, dass ich vor vielen Jahren ein Seminar in der Anglistik über dieses Buch belegt habe und fasziniert war und bin, wie vielschichtig es wirklich ist. Diese Vielschichtigkeit ist auch Maja Ilisch in ihrem Roman gelungen und ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, weil ich immer tiefer hineingezogen wurde und unbedingt wissen wollte, wie sich am Ende nun alles auflöst.
Dass es keine „Deus ex machina“-Lösung gibt, gefällt mir tatsächlich sehr gut. So kommt das Buch zu einem Ende, lässt dem Leser aber genug Spielraum, die Geschichte in seinem Kopf weiterzuspinnen, ohne dass es lose Fäden gibt, deren Auflösung es noch bedurft hätte.

Tatsächlich mal wieder ein Roman, der von mir ohne Zögern fünf Sterne erhält.

Maja Ilisch: Die Spiegel von Kettlewood Hall
Knaur 2018
ISBN: 9-78-3-426-52078-9
€ 9,99 (D) / €10,30 (A)

Rezension Obsidian – Schattendunkel von Jennifer L. Armentrout

Nachdem ich jetzt lange Zeit nur sehr wenig und vorwiegend Sachbücher gelesen habe, komme ich nach und nach wieder dazu, auch Belletristik zu lesen. Und auch, wenn ich einige Bücher nicht rezensiert habe, weil es mir an Zeit und Muße mangelte, will ich doch endlich wieder damit anfangen.

Obsidian von Jennifer L. Armentrout ist mir schon vor einiger Zeit ins Auge gesprungen (autsch!), aber ich habe es nie mitgenommen. Als ich neulich eine Woche Urlaub hatte und ein bestelltes Buch abgeholt habe, durfte es endlich mit. Ich mag das Wort Obsidian und auch den Stein, den es benennt. Es ist für mich etwas Geheimnisvolles, Dunkles, Märchenhaftes. Vom Klappentext her wusste ich immerhin, dass ich Jugendfantasy in der Hand halte, und ich fühlte mich ein wenig an die Twilight-Serie erinnert. Was nicht grundsätzlich positiv zu sehen ist.

Dann fing ich an zu lesen. Und ja, die Ähnlichkeit blieb. Ein junges Mädchen an der Grenze zum Erwachsenwerden zieht in eine verschlafene Kleinstadt und lernt einen atmberaubend gut aussehenden Typen kennen, der sich ihr gegenüber ekelhaft abweisend verhält. Und dann freundet Katy sich mit seiner Schwester an. So weit, so bekannt. Gähn. Die ständige Betonung, wie unglaublich gut alle aus seiner Familie und seinem Freundeskreis aussehen, ließ mich fast das Buch weglegen. Aber dann war plötzlich etwas anders. Statt einer Damsel in Distress bekam ich ein selbstbewusstes Mädchen, das für sich und ihre Ziele einsteht und dem ekelhaft gut aussehenden und ebenso arroganten Kerl doch tatsächlich Paroli bietet. Die Spaghettiszene (lesen, Leute, ich verrate doch nicht alles!) hat mich zum Schmunzeln gebracht. Und die kleinen Seitenhiebe auf Twilight sowieso.

Und ja, ihre neuen Freunde sind so viel stärker, schöner und toller als sie, dass sie hin und wieder Katy retten, aber netterweise schafft Katy es eben auch, für die anderen einzustehen und mit ihren ganz normalen menschlichen Fähigkeiten Übermenschliches zu bewirken.

Am Ende des Buches ist die Story noch lange nicht vorbei, es folgen noch vier weitere Romane dieser Reihe, und auch, wenn mich das Buch nicht völlig vom Hocker gerissen hat, ließ es sich angenehm genug lesen, um wissen zu wollen, wie es weitergeht. Und ob Katy sich weiterhin behauptet und ihren wunderbar selbständigen Kopf behält.

Fazit: Ein netter Roman für Zwischendurch, ein bisschen in Richtung Twilight, aber ohne das ganze hilfloses-Mädchen-Getue und als Liebe verpacktes Stalking. Gefällt mir, bekommt 3,5 Sterne.

Jennifer L. Armentrout: Obsidian. Schattendunkel
Carlsen Taschenbuch, 2018 (Deutsche Erstausgabe 2014)
ISBN: 978-3-551-31601-1
€ 9,99 (D) / 10,30 (A)

Rezension The Hunt – Spur der Rosen von Heike Wolter

Das Buch habe ich durch das Meet & Greet bei Knaur auf der Buchmesse erhalten, sonst wäre ich wohl gar nicht darauf aufmerksam geworden.

Das Cover finde ich sehr ästhetisch und ansprechend gestaltet, Rosenblätter auf hellem Grund. Passt.
Der Inhalt hat mich zumindest neugierig gemacht – mir wurde ein Thriller versprochen, und das sagt auch der Klappentext aus:

Du gehörst mir!

Vom ersten Moment an weiß Enrique Montoya, dass die blutjunge Donna die Einzige für ihn ist. Geduldig wartet er auf den Tag, an dem er ihr seine Gefühle offenbaren wird – nur um festzustellen, dass er einen folgenschweren Fehler begangen hat. Denn Donna hat sich einem anderen zugewandt. Enriques Liebe wird zur Besessenheit – zerstörerisch und gnadenlos verfolgt er sein Ziel. Donna muss ihm gehören … um jeden Preis! Auch um den Preis des Lebens …

Ein Thriller um Obsession und Besessenheit: fesselnd und romantisch!

Das Buch beginnt mit einem Rückblick – dachte ich. Tatsächlich ist es aber eher ein Vorausblick, denn nach dem ersten Einblick in Enriques späteres Tätigkeitsfeld gehen wir in seine Teeniezeit zurück. Donna kommt nach dem Tod ihrer Mutter neu an Enriques Schule, der sich sofort in sie verguckt. Da sie aber zwei Jahre jünger ist als er und damit erst 14, begnügt er sich vorläufig damit, ihr ein guter Freund zu sein. Als sie mit 16 ihren ersten Freund hat und Enrique sagt, dass sie nie etwas anderes als eine Art Bruder in ihm gesehen hat, schmeckt ihm das gar nicht. Immer mehr steigert er sich in seine Obsession von ihr hinein, betrachtet sie als die ihm vorbestimmte Frau, sein Licht, quasi sein Eigentum. Alle, die sich zwischen ihn und Donna stellen, werden von ihm aus dem Weg geräumt.
Als Donna älter ist, sagt sie sich völlig von ihm los und flieht mehrfach quer durch mehrere Staaten, um ihm zu entkommen, doch Enrique schafft es immer wieder, sie aufzuspüren.

Was sich wirklich wie ein spannender Krimi liest, ist das leider nicht. Die Erzählstimme ist distanziert, als betrachte man das Geschehen aus der Ferne, ich habe zu keiner der Figuren eine emotionale Bindung aufbauen können, nicht einmal Donna fand ich sympathisch genug, um wirklich Angst um sie zu haben, was letztlich auch daran lag, dass alle Figuren über der Status eines Klischees nicht hinauskommen.
Donna ist bildschön, lieb und gut und kann niemandem etwas zuleide tun. Dass sie dabei auch noch schrecklich naiv bis an den Rand der Dummheit ist, machte es für mich nicht besser.
Enrique wird ausschließlich über seine Verhaltensstörung definiert. Er ist besessen von Donna und er tötet gerne – viel mehr erfährt man über ihn nicht.
Warren, ein späterer Freund Donnas und Polizist (erst LAPD, dann FBI) ist dauerhaft in Donna verliebt und für einen Polizisten so unglaublich dämlich, dass ich mehrfach mit dem Kopf schütteln musste.

Ich habe haufenweise Anmerkungen auf meinem Reader gemacht, da ich aber wegen des Rezensionsexemplares den Blue Fire Reader benutzen musste (DRM lässt grüßen) und dieser alles andere als durchdacht programmiert ist, komme ich nicht mehr an diese heran. Ich muss also aus dem Kopf durchgehen, was mich alles gestört hat. Wer das Buch gerne noch lesen und sich dabei überraschen lassen möchte, sollte hier nicht mehr weiterlesen, da ich nicht völlig ohne Spoiler werde auskommen können.

Mich stören leider schon ein paar Äußerlichkeiten: Die Autorin ist Deutsche. Warum braucht das Buch einen halb englischen, halb deutschen Titel? Hätte es nicht auch „Die Jagd – Spur der Rosen“ heißen können? Und warum muss es auch noch in den USA spielen? Die Story liefert dafür keinen Grund, Donna hätte auch eine Schülerin in Bochum sein können, die kreuz und quer durch Deutschland oder meinetwegen auch durch Europa flieht. Schade, dass deutsche Autoren so oft zu glauben scheinen, dass Geschichten in den USA spielen müssen, nur weil wir so viele US-amerikanische Übersetzungen in den Buchhandlungen liegen haben.

Auch sauer aufgestoßen ist mir, dass der Bösewicht unbedingt einen Migrationshintergrund haben „muss“. Enrique Montoya klingt sehr lateinamerikanisch, auch wenn in einem halben Nebensatz auf seine spanische Abstammung hingewiesen wird. Letztlich ist auch das ein Klischee: Die Einwanderer der Südstaaten haben halt entweder mit Drogen oder mit Mord zu tun.

Wenn jetzt der Erzählstil spannend wäre und die handelnden Personen intelligent gezeichnet, dann hätte mir das Buch immer noch gefallen können. Nur leider, leider machen Donna und Warren immer wieder völlig unbegreifliche Dinge, die jeder, der hin und wieder einen Tatort guckt, besser hinbekommen könnte:
Donna ahnt, dass er etwas mit den Todesfällen in ihrem Umfeld zu tun hat, kann es aber nicht beweisen. Als Enrique in ihre Wohnung eingedrungen ist, flieht sie planlos, anstatt die Polizei zu rufen und ihn anzuzeigen. Auch Warren empfiehlt ihr, zu fliehen, da ihr ja nun auch keiner mehr glauben werde bei der Polizei, weil sie erst weggelaufen ist.
Als Enrique sie später ausfindig macht und in ihrer Wohnung auf sie wartet, wird sie von ihrem Kollegen gerettet, der Enrique bewusstlos schlägt. Hier hätte das Buch bereits sein glückliches Ende finden können: Der Kerl hat sie überfallen und wurde auf frischer Tat ertappt, Anzeige, Unterlassungsklage etc., gut ist. Aber nein, der Kollege lässt den bewusstlosen (!) Enrique liegen und fährt Donna zum Flughafen, damit sie wieder fliehen kann. Wovor denn jetzt noch, verdammt? Und natürlich wacht Enrique wieder auf, fährt seelenruhig zum Flughafen und verpasst Donna nur um Haaresbreite, dafür killt er dann erstmal Wooley, der sie gerettet hat. Das war eine mehr als unnötige und völlig sinnfreie Szene.

Irgendwann nach gut der Hälfte und vier Fluchten hatte ich ernsthaft keine Lust mehr und habe nur weitergelesen, um eine vollständige Rezension abgeben zu können.
Warren begreift irgendwann, dass Enrique der „Rosenmörder“ sein muss, denn schließlich finden sich die gleichen roten Rosen sowohl in Donnas Apartment, wenn Enrique mal wieder da war, als auch an jedem einzelnen Tatort des Scharfschützen.

Ach ja, der gute Enrique findet Donna übrigens unter anderem über eine Vermisstenseite im Internet, auf der er ihr Bild hochlädt und eine rührige Story über seine vermisste „Schwester“ hinterlässt – da Donna netterweise irgendwann im Text ihr Geburtsdatum angibt (Februar 1978) und sie zum Zeitpunkt dieser Suche 22 ist, spielt sich das also im Jahre 2000 ab. Sorry, aber da war das Internet noch nicht so weit, dass es interaktive Suchseiten gibt. Die allgemeine Vernetzung aller Behörden, die Enrique ebenfalls immer wieder hilft, war auch noch in den Kinderschuhen – ja, auch in den USA.

Warren zieht also irgendwann eins und eins zusammen, Enrique macht einen dämlichen Fehler nach dem anderen, und am Ende gibt es einen netten Showdown, der ebenfalls so ziemlich jeglicher Logik entbehrt. Aber gut, daran hatte ich mich beim Lesen bereits gewöhnt.

Fazit: Ich lese wirklich gerne Thriller, aber sie müssen gut gemacht sein. Einen Thriller macht für mich die Intelligenz der handelnden Figuren aus, die Fähigkeit des Autors, den Leser immer wieder auf falsche Fährten zu führen und ihn am Ende zu überraschen. Oder wenigstens vielschichtige Figuren, die nicht immer so handeln, wie man es von einem Klischee erwartet.
Leider konnte mich dieser Roman absolut gar nicht überzeugen. Zum Glück sind Geschmäcker ja verschieden, so dass es bestimmt genug Menschen gibt, denen dieses Buch Spaß macht.

Noch eines zum Stil des Buches: Dass er sehr erzählend und distanziert ist, erwähnte ich ja bereits. Was mich aber wirklich mehrfach gründlich aus dem Lesefluss gebracht hat: Die Autorin wechselt teilweise mehrfach innerhalb einer Szene die Perspektive. Da beginnt sie mit Donnas Innensicht, schwenkt mal kurz in Warrens Kopf hinein und ist wieder bei Donna. Ganz schlimm wird es, wenn sie zwischendrin sogar zu Enrique schwenkt, der nicht mal anwesend ist. Ein, zweimal hätte ich das verzeihen können, aber es passiert gefühlt alle zwei Seiten mindestens einmal.

Ich gebe einen von fünf Sternen – für ein hübsches Cover, solide Rechtschreibung und eine immerhin gute Idee.

Heike Wolter: The Hunt – Spur der Rosen
363 Seiten
Knaur eRiginals
€ 4,99