NaNoWriMo 2018 – ein Rückblick

Wie man unschwer erkennt, habe ich es nicht geschafft, jeden Tag zu bloggen. Genau genommen nicht mal jede Woche, sondern dann einfach gar nicht. Was vor allem daran liegt, dass ich dachte, ich würde häufiger bloggen und mich dann daran festgehalten habe, dass ich jetzt alles nachholen „muss“, was ich nicht erzählt habe.
Blödsinn. Auch Romane leben von den Auslassungen. Niemand will einen minutiösen 24-Stunden-Tagesbericht jeder einzelnen Figur. Auch unsere Leben sind nicht rund um die Uhr spannend. Also picken wir beim Erzählen das heraus, was interessant ist. Sowohl, wenn wir Freunden oder Familie erzählen, was wir erlebt haben, als auch beim Schreiben. Und genau das ist die wahre Kunst daran: Zu erkennen, welche Begebenheiten der Figuren wichtig sind und welche die Geschichte nicht voranbringen. Welche für die passende Stimmung sorgen und welche vom Geschehen ablenken. Ich habe sehr lange das Gefühl gehabt, dafür kein Gespür zu haben. Bei Kurzgeschichten war es einfacher, die sind eh die verdichtete Essenz einer Begebenheit. Aber ein Roman ist nicht die Aneinanderreihung von Kurzgeschichten, sondern funktioniert völlig anders.

Und all diese Dinge wusste ich, habe sie aber in diesem NaNo erlebt. Anhand meines Romans. Wie man am Counter rechts auf dieser Seite erkennen kann, habe ich die 50k nicht erreicht, aber ich ärgere mich nicht darüber. Ich habe nicht nur mehr an einer zusammenhängenden Geschichte geschrieben als in den letzten acht (?) Jahren, sondern auch mehr, als in den letzten fünf Jahren überhaupt. Und ich habe die Geschichte nicht gegen die Wand gefahren. Es gibt Szenen, die rausfliegen werden, welche, die dringend überarbeitet werden müssen und eine Figur, die erneut eine Generalüberholung benötigt, aber all diese Dinge weiß ich und kann sie umsetzen. Ich habe in diesem November nicht nur das Schreiben an sich wiedergefunden, sondern anscheinend auch gelernt, wie man Geschichten überarbeitet, um sie besser zu machen. Wie man mittendrin den Kurs ändert, damit am Ende alles passt, ohne dass man die gesamte Geschichte verändert. Und ich weiß, dass ich es doch kann: Schreiben. Geschichten erfinden, die vielleicht sogar mal jemand lesen mag. Gerne liest. Das ist eine wunderbare Erkenntnis!

Ich werde den Roman in aller Ruhe fertig schreiben und so überarbeiten, dass er rund wird. Vielleicht brauche ich dafür drei Monate, vielleicht ein Jahr. Es ist nicht wichtig – wichtig ist nur, dass ich das Schreiben wiedergefunden habe. Und dass meine Figuren lebendig geworden sind und mir gezeigt haben, dass nicht nur das echte Leben selten so verläuft wie geplant, sondern auch das erfundene. Ich kann als Autor noch so gut planen – wenn ich mich sklavisch an den Plan halte, anstatt der natürlichen Entwicklung des Romans zu folgen, wird er aller Voraussicht nach sehr statisch werden, anstatt sich organisch und lebendig anzufühlen, als schaue man beim Lesen echten Menschen beim Leben zu.

Rezension Die Spiegel von Kettlewood Hall von Maja Ilisch

Vor ein paar Jahren bekam ich Das Puppenzimmer von Maja Ilisch in die Finger und habe es mit wachsender Begeisterung gelesen. Als ich also mitbekam, dass ein neuer Gaslicht-Roman von ihr erscheint, musste ich ihn unbedingt haben (das war das Buch, das ich bestellt habe, um dann gleich zwei weitere mitzunehmen bei der Abholung – ja, ich kaufe Bücher nach wie vor gerne im örtlichen Buchhandel).

Wie auch im ersten Roman begeistert mich hier die Sprache ganz besonders. Maja Ilisch gelingt es, ihrer Protagonistin eine authentische Stimme zu verleihen, die einem das Gefühl gibt, wirklich einer Vierzehnjährigen aus dem späten neunzehnten Jahrhundert zuzuhören, ohne dass es ins Kindliche oder Lächerliche abrutscht. Das alleine macht das Buch zu einem wahren Lesegenuss.

Worum es geht:
Die vierzehnjährige Iris Barling stammt aus sehr einfachen Verhältnissen. Sie ist das uneheliche Kind eines ehemaligen Hausmädchens, das sich und ihre Tochter nun mit der Arbeit in einer Spinnerei über Wasser hält. Sobald Iris alt genug ist, geht sie ebenfalls in der Fabrik arbeiten, und dass die Großmutter zu den beiden Frauen zieht, macht die Situation keinesfalls besser.
Bei einem Unfall in der Fabrik verliert Iris zwei Finger, dennoch geht sie tapfer weiter arbeiten – was soll sie auch anderes tun?
Doch dann stirbt ihre Mutter und Iris muss sich und die Großmutter durchbringen. Zudem wird ein neues Gesetz erlassen, das Kindern nicht erlaubt, länger als acht Stunden zu arbeiten und ihnen zudem zwei Stunden Unterricht am Tag verordnet. Iris sitzt wie alle anderen die Zeit völlig übermüdet im Klassenzimmer ab, lernt mühselig ein wenig Lesen und schreiben, während Handarbeiten ihr aufgrund ihrer verkrüppelten Hand sehr schwer fallen.
Eines Tages erinnert sie sich wieder an die alte Schachfigur, die sie als Kind bei ihrer Mutter fand. Und mit Hilfe ihres Lehrers lernt sie nicht nur die Grundregeln des Schachspiels, sondern findet auch heraus, wo ihre Mutter damals angestellt war. Sie will weg aus Leeds, weg von ihrer garstigen Großmutter und versuchen, ihren Vater zu finden. Und das Geheimnis ihrer Herkunft scheint in Kettlewood Hall zu liegen.

Iris schafft es mit Hilfe ihres Lehrers, dorthin zu kommen und sie wird empfangen wie die längst verlorene Tochter. Nach und nach muss sie erkennen, dass nichts von dem, was sie hier sieht und erlebt, wahr ist, dass alle ihre Geheimnisse und gute Gründe haben, diese vor Iris zu verbergen. Und abgesehen von den zwei riesigen, unheimlichen Hunden, die Iris schon immer in ihren Träumen begegnet sind und denen sie in Kettlewood Hall nun leibhaftig gegenüber steht, lebt etwas in den Spiegeln, nicht greifbar, doch immer aus dem Augenwinkel zu sehen.
Iris beschließt, die Geheimnisse zu lüften und sich auf das Spiel einzulassen, das fünfzehn Jahre lang nur auf sie gewartet zu haben scheint.

Der Roman ist intelligent komponiert und gibt nach und nach erst Preis, worum es wirklich geht. Dass die Perspektive durchgehend auf Iris liegt, macht es besonders vergnüglich, mit ihr mitzuraten, was denn nun wirklich los ist und warum sich die Bewohner Kettlewood Halls so seltsam verhalten. Die vielen kleinen und größeren Anspielungen auf Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“ machen den Roman zu einer Hommage an ein Buch, das nicht nur (siehe Nachwort / Danksagung) Maja Ilisch schon sehr lange begleitet, sondern auch mich seit meiner frühesten Kindheit fasziniert hat – so sehr, dass ich vor vielen Jahren ein Seminar in der Anglistik über dieses Buch belegt habe und fasziniert war und bin, wie vielschichtig es wirklich ist. Diese Vielschichtigkeit ist auch Maja Ilisch in ihrem Roman gelungen und ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, weil ich immer tiefer hineingezogen wurde und unbedingt wissen wollte, wie sich am Ende nun alles auflöst.
Dass es keine „Deus ex machina“-Lösung gibt, gefällt mir tatsächlich sehr gut. So kommt das Buch zu einem Ende, lässt dem Leser aber genug Spielraum, die Geschichte in seinem Kopf weiterzuspinnen, ohne dass es lose Fäden gibt, deren Auflösung es noch bedurft hätte.

Tatsächlich mal wieder ein Roman, der von mir ohne Zögern fünf Sterne erhält.

Maja Ilisch: Die Spiegel von Kettlewood Hall
Knaur 2018
ISBN: 9-78-3-426-52078-9
€ 9,99 (D) / €10,30 (A)

Selbstzweifel, die erste

Tja, angeblich leiden ja alle Autoren hin und wieder an Selbstzweifel und Schreibblockaden. Die meisten schreiben davor und danach aber durchaus brauchbare Texte, weshalb sie sich trotzdem Autoren oder Schriftsteller nennen dürfen.

Und ich? Ich sitze gerade hier und bin unzufrieden. Seit Tagen habe ich nichts geschrieben, und als ich gestern mein Dokument geöffnet habe, passierte Folgendes:

Ich las die letzte szene noch mal, um wieder in den Text zu finden. Den „besten“ Klopper hatte ich schon während des Schreibens markiert, um ihn zu überarbeiten. Wollt ihr ihn sehen?

„Als auch er draußen ist und die Tür zugezogen hat, nachdem er sich vergewissert hat, dass sie einen Schlüssel dabei hat, schließt sie ab.“

Literarisch absolut hochwertig, nicht wahr? Meine Anmerkung dazu lautet auch entsprechend: „Hat – hat – hat – den Satz üben wir noch mal, Frau Bloos!“

Tja, nun bin ich durchaus in der Lage, den Satz zu zerlegen, umzuschreiben und etwas Besseres draus zu machen. Das Hauptproblem des Textes ist aber ein anderes: Er transportiert nichts. Keine Emotionen, keine Bilder. Telling in schlechtester Reinkultur. Und nein, die einzelnen Sätze einfach ins „show“ zu setzen, ändert nicht viel. Denn der ganze Text ist flach, platt und belanglos. Ich sehe meine Figuren nicht vor meinem geistigen Auge, ich habe keine Vorstellung von den Orten, an denen sie sind (doch, die „Standardorte“ haben inzwischen ein Aussehen, das Haus der Familie und das Büro des Vaters) und viel schlimmer: Ich transportiere nicht mal diese winzigen Bruchstücke einer Vorstellung.

Wenn ich als Autorin beim Lesen schon überlege, was der langweilige Scheiß eigentlich soll, wie soll ich damit auch nur einen Leser hinter dem Ofen hervorlocken? Vermutlich gar nicht.

Natürlich könnte ich den Text fertig schreiben, um wenigstens das getan und meine Message in Buchstaben gezwängt zu haben, aber will ich das? Will ich mit einem Text von Verlag zu Verlag tingeln, mir haufenweise Absagen einhandeln, von denen ich weiß, dass sie gerechtfertigt sind?
Oder will ich das Ding in der virtuellen Schublade verrotten lassen, weil ich halt schon weiß, dass ich damit nicht mal Klopapier bedrucken sollte?

In meinem Kopf ist es eine komplexe Geschichte, in der verschiedene Menschen nach und nach merken, dass ein weiterer in ihrer Mitte nur auf sich und seinen Vorteil bedacht ist, obwohl er eben auch sehr liebevoll, zärtlich und fürsorglich sein kann, letztlich aber nie altruistisch, sondern immer narzisstisch handelt. In meinem Kopf sind hier Intrigen und Verwirrspiele beteiligt und sechs Menschen, deren Innerstes nach und nach zutage gefördert wird und durch deren Perspektiven sich das Bild zusammenfügt.

Tatsächlich habe ich bisher sehr viele Einzelszenen, von denen manche okay sind, die meisten aber einfach völlig egal. Wenn ich ein gutes Buch lese, dann halten mich die Szenen und die Figuren gefangen, auch nachdem ich es aus der Hand gelegt habe. Meine Figuren machen das nicht mal, während ich schreibe.

Mir stellt sich derzeit die Frage, ob ich tatsächlich nicht schreiben kann und es aufgrund meiner talentfreiheit auch zukünftig lassen sollte, oder ob man das Schreiben nicht wie jedes Handwerk lernen kann. Und wenn das geht, dann frage ich mich, wie.

Die Tipps, die ich bekomme, laufen meist auf „Üben, üben, üben“ hinaus. An und für sich nicht verkehrt, aber wenn man niemanden hat, der einen korrigiert und einem sagt, wie man es besser, anders, effektiver macht, dann hilft es nicht.
Ich sehe ja, wie schlecht meine Texte sind, ich kann genau den Finger auf die Wunden legen, aber ich weiß nicht, wie es besser geht.

Autoren wie Juli Zeh, Leonie Swann oder Sergej Lukianenko (um nur einige derjenigen zu nennen, die mich in den letzten Monaten beeindruckt haben) machen das so nebenbei. Sie malen Bilder mit wenigen Worten, die sich vor meinem geistigen Auge entfalten. Sie sind großartige Erzähler, denen man gerne folgt, auch wenn nicht immer „show“ ihren Stil leitet. Und sie haben so unglaublich geniale Einfälle, dass ich gleichzeitig staune, kichere und vor Neid erblasse.
Und ich? Ich lese das, ich analysiere es, aber ich habe nicht den leistesten Schimmer, wie man so schreibt.

Vielleicht sollte ich Makramee-Eulen klöppeln. Oder für den Rest meines Lebens Konsument bleiben, denn Lesen mag und kann ich. 😉
Vielleicht finde ich aber irgendwann noch heraus, wie man es macht. Denn immer, wenn ich das Schreiben aufgeben will, kommen Ideen vorbei. Nur leider bringen sie keine Ausführung mit.

Rezension Das Mädchen mit den gläsernen Füßen

Ich gebe es zu: Die Amazon-Rezensionen haben mich neugierig gemacht, und zwar vor allem die negativen.

Worum geht es?
Ida hat ihren Sommerurlaub auf St. Haudas Land verbracht, einem kleinen Insel-Archipel, dessen Lage nicht näher beschrieben wird und der sich klimatisch und von der Namensgebung seiner Orte her irgendwo zwischen Großbritannien und Norwegen befinden dürfte. Kurz: Die Inseln sind fiktiv.
Als Ida wieder auf dem Festland ist, bemerkt sie eine Veränderung an sich: Schleichend werden ihre Füße zu Glas. Es beginnt mit einem Splitter, der sich nach dem Joggen nicht aus dem Fuß ziehen lässt, und es wird mehr. Immer mehr. Ida ist sich sicher, dass St. Haudas Land die Antwort zu diesem Rätsel und auch ein Heilmittel bereithält, und so reist sie mitten im Winter zurück. Inzwischen geht sie schwerfällig, benutzt eine Krücke und trägt überdimensionale Stiefel, um ihre empfindlichen Füßen mit ausreichend vielen Socken schützen zu können.

Sie lebt bei Carl im Haus, der vor vielen Jahren in ihre Mutter verliebt war und nicht den Mut hatte, Freya für sich zu gewinnen. Im Blumenladen begegnet sie Midas, dem schüchternen und ein wenig verschrobenen Fotografen, der ihr Herz erobert ohne selber zu wissen, wie es dazu kommen konnte. Und sie macht sich auf die Suche nach Henry Fuwa, den Mann, der im Sommer auf der Straße stürzte und ihr von den Ochsenmotten erzählte, einem Geheimnis der Natur der Inseln, welches er hütet. Im Sommer glaubte sie ihm nicht, nun glaubt sie, dass er ihr helfen könne.

Während Carl versucht, alles von ihr fernzuhalten, was ihr schaden könne und seinerseits nach einer Lösung des Problems sucht, ist Midas zunächst mit seiner Rolle völlig überfordert und wächst nach und nach in diese hinein.

Das Buch lebt vor allem von seinen wunderbaren Beschreibungen und geradezu märchenhaften Einfällen. Abgesehen von den Ochsenmotten, winzigen geflügelten Kühen, und der seltsamen Krankheit, die Menschen zu Glas erstarren lässt, gibt es noch das Tier, dessen Blick alles zu Weiß werden lässt und Quallen, deren Gift lähmt und die in Schwärmen zum Sterben in die Buchten der Inseln kommen, wobei sie zu Licht zerfallen.

Nicht alle Fäden der Geschichte laufen am Ende zusammen und nicht alle Geheimnisse werden gelüftet, und doch ist das Buch in sich rund. Es hat eine märchenhafte und melancholische Grundstimmung, die mich sofort in ihren Bann gezogen hat, und auch die Sprache ist wunderbar verspielt und einem Märchen angemessen.

Manche Fragen hätte ich gerne noch geklärt, das Ende ist nicht unbedingt als happy end zu bezeichnen, und die Frage meiner Mutter, als ich ihr von dem Buch erzählte, „welche Botschaft steckt denn nun dahinter? Warum wird Ida zu Glas?“, kann ich nicht wirklich beantworten. Es geht um Liebe in all ihren Facetten, um Verlust und verpasste Chancen, um Hoffnung und um Schicksal – vor allem aber geht es darum, dass das Leben sich nicht lenken lässt, sondern einfach passiert, wie es ist.

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und werde das sicher noch einmal tun.
Und weil es so besonders ist, möchte ich auch das äußere Erscheinungsbild hervorheben: Das Cover ist in weiß, hellblau und silber gehalten, es gibt Hochglanz-Vorhebungen und die Natur von St. Hauas Land spiegelt sich in der filigranen Zeichnung wider. Und die Beschnittkante ist silbern, was dem Buch einen sehr edlen Anstrich gibt. Auch das Lesebändchen ist silbern.

Die Fakten:
Ali Shaw: Das Mädchen mit den gläsernen Füßen
script5, 2012
398 Seiten, gebunden
€ 19,95
ISBN: 978-3-8390-0131-8