Rezension Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte

Ich habe dieses Buch zu Weihnachten geschenkt bekommen und mich sehr darüber gefreut. Ich kannte noch nichts von Rachel Joyce und bin entsprechend unvoreingenommen herangegangen. Der Einband gefiel mir, der Klappentext las sich spannend und so, als sei es ein Buch, das mir wirklich gefallen könne (ich sortierte es anhand des Klappentextes bei den Romanen von Jojo Moyes ein, was jedoch im Nachhinein nicht zutrifft).

Also begann ich zu lesen.

Es gibt zwei Zeitebenen, eine 1972, die in dritter Person aus Sicht des elfjährigen Byron erzählt wird, und eine 2012, ebenfalls in dritter Person aus der Sicht des erwachsenen Jim erzählt.
Inwieweit diese beiden Ebenen etwas miteinander zu tun haben, bleibt sehr lange unklar, auch wenn man als Leser Vermutungen anstellen kann, da Byrons bester Freund James heißt.

Byron und James gehören zur gehobenen Mittelschicht und gehen gemeinsam auf eine Privatschule. Während James sehr analytisch veranlagt ist, ist Byron eher ängstlich und versteht die Zusammenhänge nicht unbedingt sofort. Als James ihm beiläufig erzählt, dass dem Jahr zwei Sekunden hinzugefügt werden, damit die Zeit wieder mit der Erdrotation in Einklang ist, ist dies für Byron eine derartige Sensation, dass er wochenlang kaum an etwas anderes denken kann.
Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie weit verbreitet 1972 funkgesteuerte Armbanduhren unter Kindern waren, aber genau in dem Moment, in dem Byron während einer Autofahrt mit seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester auf die Uhr schaut, springt der Sekundenzeiger zweimal zurück (was genau genommen eine Differenz von vier Sekunden zur vorigen Zeit ausmachen würde, aber wer will denn da kleinlich sein).
Vor lauter Aufregung wedelt er hektisch mit dem Arm vor dem Gesicht seiner Mutter herum und versucht, ihre Aufmerksamkeit zu erringen. Gleichzeitig sieht er aus dem Augenwinkel ein kleines Mädchen auf einem roten Fahrrad aus einer Einfahrt in Richtung Straße fahren.
Dann gibt es einen Ruck, das Auto steht.
Und nur Byron hat den Unfall bemerkt. Weder seine Schwester noch seine Mutter sehen das kleine Mädchen, das zusammengekrümmt unter ihrem Fahrrad neben dem Beifahrersitz auf dem Gehweg liegt (ich nehme an, seine Mutter ist vor lauter Schreck über seinen Aufstand wegen der Zeit gegen den Kantstein gefahren und hat nur dies wahrgenommen).
Byron fleht seine Mutter an, schnell weiter zu fahren, und ab diesem Moment gerät seine Welt aus den Fugen, denn nun ist er für seine Mutter und ihre Unschuld verantwortlich, schafft es jedoch nicht, das Geheimnis für sich zu behalten und löst so eine Reihe von verketteten Aktionen und Tragödien aus.

Jim in der Gegenwart ist ein Mann Anfang 50, der viele Jahre seines Lebens in der Irrenanstalt in Besley Hill verbracht hat, bis diese geschlossen und er quasi zwangsresozialisiert wurde. Er leidet unter einem Haufen Zwangsstörungen, stottert und wirkt sehr einfältig. Er lebt in einem Trailer und muss komplizierte Rituale vollführen, wenn er nach Hause kommt. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich als Tischwischer in einem Diner.

Ich habe etwa 200 der insgesamt gut 400 Seiten durchgehalten, obwohl es nicht eine Figur gab, die mir irgendwie sympathisch war. Es war mir schlichtweg egal, was mit ihnen passiert. Byron ist ein dummer, dämlicher, verwöhnter Elfjähriger, der einen Unfall verursacht und nicht nur diese Tatsache nicht sieht, sondern auch noch glaubt, er müsse seine Mutter vor was auch immer schützen, indem er den Unfall weiter verschweigt, schafft aber nicht mal das.
Jim wiederum tut mir zwar ein wenig Leid, aber letztlich ist auch er so distanziert beschrieben, dass er jeder x-beliebige geistig Zurückgebliebene sein könnte.
Etwa nach 150 Seiten war ich mir recht sicher, die Verbindung zwischen den beiden erkannt zu haben, und als ich bei Seite 200 angekommen war und der Roman noch immer unsäglich anstrengend und nichts sagend dahinplätscherte – selbst Byrons Eltern sind Stereotype der damaligen Zeit, auch wenn Diana zumindest ein wenig versucht, aus dem gesellschaftlichen Korsett auszubrechen -, habe ich etwas getan, was ich selten mache: Ich habe entschieden, die Lektüre abzubrechen und nur noch zu prüfen, ob meine Vermutung stimmt. Und siehe da: Ich hatte Recht.

Da ich die Pointe nicht verderben will (es mag ja Menschen geben, die mit dem Buch deutlich besser zurechtkommen als ich und es gerne lesen), werde ich nicht weiter darauf eingehen. Ich bin aber sicher, dass ich anhand der Amazon-Rezensionen (vor allem anhand der ein-Stern-Bewertungen) alle „Höhepunkte“ des Romans, die quasi noch vor mir gelegen hätten, bereits kenne, und für diese lohnt es sich nicht, sich weitere 200 Seiten zu quälen.

Schade, es war ein vielversprechendes Buch, und inzwischen weiß ich, dass der Erstling der Autorin durchaus hoch gelobt wurde, so dass ich ihr als Autorin wohl noch eine Chance geben werde. Sollte mir das Buch dann auch nicht gefallen, dann passen ihr Stil und meine Erwartungen einfach nicht zusammen.

Rachel Joyce: Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte
Fischer Taschenbuch
ISBN-13: 978-3596195374

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