Leben in Zeiten von Corona – zwischen Beschäftigung und Prokrastination

Eigentlich wäre ich in diesen Tagen in extremen Aktivismus verfallen, denn einerseits will/muss ich meine ehemalige Hexenküche bis zum Ende des Monats möglichst komplett geräumt haben, andererseits hätte ich ab Montag drei Wochen Urlaub und wollte mit einem Freund in den Kletterurlaub fahren.

Der Urlaub ist aus nachvollziehbaren Gründen auf unbestimmte Zeit verschoben, frei habe ich aber trotzdem. Aber ich bin leider nur sehr begrenzt motiviert, etwas zu tun. Dazu kommt, dass ich derzeit latente Dauerkopfschmerzen habe, die mich auch nicht so richtig glücklich machen.
Was folgt daraus? Genau, ich puzzle hier ein bisschen herum und mache da ein bisschen was, aber nichts so richtig voller Elan. Wohnung aufräumen putzen? Kann ich auch noch in den kommenden Wochen. Zur Hexenküche fahren auch … Naja, da ist allerdings wirklich noch einiges zu tun und vor allem sehr viel, das auf den Recyclinghof soll. Genauso wie einiges aus meinem Keller, damit ich die Dinge, die ich auf die Schnelle nicht mehr verkaufen kann, da irgendwie noch unterbringe. Falls jemand Kosmetikrohstoffe, Formen, Tiegel, Flaschen etc. pp. gebrauchen kann: Meldet euch bei mir.

Ich habe es heute immerhin geschafft, das gesammelte Altpapier und den Müll rauszubringen, mir was zu kochen und meinen kaputten Lieblingsbecher ein bisschen weiter zu kleben. Das dauert leider, weil ich ein Teil schief eingesetzt habe, es aber auch nicht mehr herausbekomme und nun den Rest ganz vorsichtig zurechtschleifen muss.

Außerdem habe ich mein Strickzeug mal wieder ausgebuddelt und ein bisschen an meiner Socke weitergestrickt. Normalerweise stricke ich ja zwei Socken gemeinsam auf einer Rundstricknadel, hier hatte ich allerdings ein Nadelspiel genommen – und wie immer war die erste Socke fertig und bei der zweiten verließ mich die Lust. Jetzt ist vermutlich die Zeit gekommen, all diese angefangenen Projekte zu beenden. Ich habe noch mindestens zwei angefangene Pullover im Schrank und sicher noch mehr Socken.

Und weil wir alle ja in nächster Zukunft vermutlich deutlich mehr zuhause sein werden als üblich (ob nun ein Lockdown kommt, wie in einigen Bundesländern, oder „nur“ eine freiwillige Ausgangssperre herrscht), dachte ich mir, ich sammle mal, was man so alle machen kann:

  • Stricken oder Häkeln – wer es noch nicht kann, kann es lernen, es gibt tolle Tutorials auf YouTube
  • Zeichnen – ich bin da total unbegabt, habe aber Lust, es mal wieder zu versuchen. Stifte habe ich mehr als genug. Auch hier gibt es reichlich gute Tutorials auf YouTube
  • Ein Instrument spielen – in meinem Fall vor allem Querflöte, kann ich ein bisschen, will ich wieder besser können. Auch dafür habe ich neben meinen gesammelten Noten eine App (tonestro), mit der ich derzeit vor allem noch sehr einfache Volkslieder spiele
  • Backen – das geht irgendwie immer und mit dem Ergebnis kann man auch die vom musikalischen Üben genervten Nachbarn besänftigen. Natürlich sollte man nicht auf die Backware niesen und den Mindestabstand bei der Übergabe wahren!
  • Kochen. Macht satt und glücklich und man kann sich total kreativ austoben. Von Nudeln mit Klopapier rate ich allerdings ab.
  • Puzzles legen. Habe ich ewig nicht mehr gemacht, weiß auch noch nicht, ob ich es wieder machen werde, aber ich habe welche hier.
  • Wer nicht alleine wohnt: Gesellschaftsspiele spielen!
  • Virtuell ins Museum gehen. Unglaublich viele Museen bieten kostenlose virtuelle Rundgänge an. Das gleiche gilt für Zoos, Theateraufführungen etc.
  • Netflix, Amazon Prime etc. haben auch einiges an Ablenkung zu bieten (nutze ich aktuell zu viel, aber hey, ein Laster braucht der Mensch!).
  • Audible hat bis zum 19.04. ein paar Hörbücher kostenlos für alle im Angebot (ja, ohne Abo). Schaut euch mal um, vielleicht ist etwas für euch dabei. Übrigens auch auf Englisch – da kann man dann gleich seine Sprachfähigkeiten auffrischen.
  • Wer eine hat: Die Murmelbahn mal wieder aufbauen. Ich bin stolze Besitzerin einer Cuboro und werde diese ganz sicher in den nächsten Wochen wieder fleißig nutzen
  • Fremdsprachen lernen. Ich bin ein großer Fan von Rosetta Stone, die gerade ihr Lifetime-Angebot auf alle angebotenen Sprachen ausgeweitet haben (nur mein bestehender Account wurde noch nicht geswitcht, da muss ich mal nachhaken, bin mit Französisch und Arabisch aber auch mehr als ausgelastet).
    Alternativ bieten sich aber auch Babbel oder Duolingo an.
  • Und natürlich, Sport machen. Das geht auch in der Wohnung, wie einige sehr lustige Videos zeigen, die derzeit viral gehen. Es geht aber auch mit Eigengewichtsübungen (mit und ohne Anleitung), mit Yoga, einem Hometrainer und vielen anderen Dingen. Es gibt tolle Yoga-Anleitungen im Netz (Yoga mit Adrienne auf YouTube, YogaBurn und einiges mehr), für die allgemeine Fitness nutze ich gerne Kernwerk oder Freeletics.
  • Wer schon immer mal darüber nachgedacht hat, ein Buch zu schreiben, hat vermutlich nie wieder so viel Zeit wie in den kommenden Monaten. Tut es, es macht Spaß (auch, wenn einen die Figuren sehr gerne mal in den Wahnsinn treiben!). Ihr braucht dafür nur Notizbuch und Stift oder Rechner und Textverarbeitungsprogramm. Wer ein deutlich komfortableres Programm möchte, dem kann ich Scrivener ans Herz legen (andere Autoren schwören auf Papyrus Autor).
  • Und last but not least: Lesen. Bücher sind toll! Man trifft auf so viele wunderbare Kulturen, reist in andere Welten, lernt schrullige Figuren kennen. Und der lokale Buchhandel freut sich über Bestellungen (falls das nicht klappt, ist natürlich auch ein ebookreader eine Idee, besonders, wenn man eine Anbindung an die onleihe oder Kindle Unlimited bzw. vergleichbare Angebote nutzt).

 

Vorhin traf ich meine direkten Nachbarn im Treppenhaus. Wir haben uns mit dem gebotenen Sicherheitsabstand kurz unterhalten. Sie ist jetzt im Homeoffice, wir haben also die Möglichkeit, unsere Isolation ein bisschen zu unterbrechen, indem wir uns im Treppenhaus oder von Balkon zu Balkon unterhalten. Das wird auch noch eines meiner Projekte: Meinen Balkon aufzuräumen und herzurichten, damit ich möglichst viel draußen sitzen kann.

Neben all diesem Optimismus erwischt mich hin und wieder aber auch die Erkenntnis, wie surreal das alles ist. Als ich vorhin den Müll rausbrachte, war es viel stiller auf den Straßen als üblich. Keiner meiner Nachbarn war zu sehen, auch nicht auf den Balkonen. In der Ferne war ein Martinshorn zu hören, das normalerweise im Stadtlärm untergegangen wäre. Alles in allem scheint so langsam ins kollektive Bewusstsein zu sickern, dass es ernst ist.

Wer die Zahlen und Hochrechnungen verfolgt, ahnt, dass es in ein paar Wochen nicht vorbei ist. Es kommen spannende Zeiten auf uns zu. Und wie Bilbo Beutlin bin ich mir noch nicht sicher, ob ich wirklich in diesen leben will, aber mir bleibt ja gar nichts anderes übrig. Also machen wir alle das Beste daraus!

Leben in Zeiten von Corona – Ein paar Zahlenspiele

Die Entwicklungen bezüglich des Coronavirus‘ schreiten so schnell voran, dass kaum jemand noch gescheit mitkommt.
Letzten Dienstag sagte ich noch ungläubig zu einer Kollegin „ich hab eben im Radio gehört, Italien hätte 480 bestätigte Fälle, das kann doch unmöglich stimmen?!“ Und während wir noch überlegten, ob das stimmen kann, kam ein Kollege und bestätigte es. Okay, es waren 460 Fälle, aber es war viel – ein paar Tage zuvor waren es keine 20 gewesen.

Heute, nur neun Tage später, hat Italien knapp 3000 Todesfälle durch Corona. Man lasse sich das bitte durch den Kopf gehen, ganz langsam. Von 460 bestätigten Infizierten auf knapp 3000 bestätigte Todesfälle in nur neun Tagen.
Mein Kopf begreift es nicht. Und genau da liegt vermutlich auch das Problem: Die meisten verstehen es nicht. Obwohl es bitterer Ernst ist und die italienischen Krankenhäuser bereits seit Tagen überlastet sind, ist es zugleich völlig abstrakt. Weil es eine Situation ist, die wir so noch nie zu unseren Lebzeiten hatten. Wir haben eine Pandemie, und zwar weltweit. Es gibt zwar Länder, die noch nicht oder kaum betroffen sind, aber es ist eine Frage der Zeit. Und die Menschen sterben wie die Fliegen, wenn nicht rechtzeitig etwas getan wird.

„Ach, so schlimm ist das gar nicht, die Sterberate liegt bei maximal 3%. Und ich bin jung und fit, mich betrifft es eh nicht, ich mache jetzt Party, stecke mich an und wenn ich durch bin, bin ich eh immun.“ Solche und ähnliche Sätze hört man nicht nur vom US-amerikanischen Springbreak, sondern auch hierzulande immer mehr.

Stellen wir mal eine einfache Rechnung auf:

Deutschland hat derzeit knapp 81,5 Mio. Einwohner. Davon werden sich im Laufe der Zeit voraussichtlich 60-70% mit dem neuen Coronavirus infizieren. Das sind dann 49 bis 57 Mio. Menschen.
Von diesen sterben 1-3%, das macht dann im besten Falle knapp 500.000 Tote und im schlechtesten gut 1,7 Mio. Tote.

Wir haben derzeit etwa 28.000 Intensivbetten in ganz Deutschland. Wenn ungefähr 5% der Erkrankten auf Beatmung angewiesen sind, dann hieße das bei 49 Mio. Erkrankten eine Quote von 2,45 Mio. Intensivpatienten.
Nehmen wir weiter an, jeder von ihnen bliebe im Schnitt eine Woche auf der Intensivstation. Dann sind diese 28.000 Betten für 88 Wochen ausgebucht. Das sind fast 1,7 Jahre oder Ein Jahr und acht Monate.

Ein Jahr und acht Monate, in dem keine weiteren Intensivpatienten aufgenommen werden könnten, weil die Betten belegt sind. Kein Herzinfarkt, kein Schlaganfall, kein multiples Organversagen, keine Unfallpatienten – niemand, der dann noch ein freies Bett im Krankenhaus findet.

Selbst, wenn wir wie derzeit in Italien die Patienten nach bereits vier Tagen entlassen und nur 3% der Erkrankten intensivmedizinisch behandelt werden müssen, kommen wir noch auf ein komplettes Jahr volle Bettenauslastung. Ein Jahr, in dem ebenfalls kein anderer Patient auf die Intensivstation kommen darf. Keine OPs, die Intensivpflege benötigen. Keine Beatmung für andere Patienten. Lungenentzündungen, Mukoviszidose, Krebs? Darfst Du alles nicht bekommen oder haben. Und vieles mehr.

Ganz ehrlich: Wenn wir nicht umgehend dafür sorgen, dass wir die Kurve abflachen, sind wir am Arsch. Das da oben sind übrigens die best case-Zahlen. Wenn wir von 70% Infektionen und 10% Intensivpflege für sieben Tage pro Patient ausgehen, sind wir bereits bei vier vollen Jahren Bettenauslastung.

Bleibt verdammt noch mal zuhause, wenn es irgendwie geht! Geht alleine in den Wald oder Park, aber nicht in Gruppen. Sucht euch eine kleinste Peergroup und verlasst diese nicht. Und zwar keiner von euch – diese Gruppe ist euer Sozialkontakt, niemand darf Kontakte außerhalb haben, die über den zu Kassiererinnen, Tankwarten und Ärzten hinausgehen. Wenn ihr arbeiten müsst, sorgt dafür, dass ihr so wenig Kontakt zu Kunden und Kollegen habt, wie irgend möglich. Egal, wie albern andere euch finden.
Meine Kollegin hat Anfang letzter Woche damit begonnen, alles mit Handschuhen zu machen und ihre Hände sowie Kontaktflächen zu desinfizieren. Ich entschuldige mich hiermit bei ihr dafür, dass ich es für überzogen hielt. Ich bin jetzt voll bei ihr.

Ich war heute draußen. Und einkaufen. Ich bin spazieren gegangen und Menschen begegnet. Wir haben alle Abstand gehalten, sind zügig aneinander vorbeigegangen, haben höchstens kurz gegrüßt. Die Spielplätze waren leer, die größte Gruppe, die ich gesehen habe, waren fünf Kinder, ansonsten waren die Menschen alleine oder zu zweit unterwegs. Im Supermarkt wurde der Abstand so gut es ging eingehalten. Das ist wichtig, wenn wir keinen kompletten Lockdown wollen!

Noch ein kleines Rechenbeispiel:

Wenn jeder von uns zu genau vier weiteren Menschen Kontakt hat und diese insgesamt fünf Personen unter sich bleiben, dann ist das eine weitestgehend geschlossene Gruppe. Bekommt einer das Virus, bekommen die anderen fünf es mit großer Wahrscheinlichkeit auch, aber kein weiterer.
Hat auch nur einer von ihnen Kontakt zu einer weiteren Person, die ebenfalls ihre vier Kontaktpersonen hat, so sind insgesamt neun Menschen infiziert. Hat jeder von ihnen Kontakt zu einer weiteren Fünfergruppe (von der er ein Teil ist), so sind insgesamt nicht fünf, sondern 25 Personen infiziert. Und wenn diese auch alle wieder Kontakt zu einer Fünfergruppe haben, sind wir bei 125. Und so weiter und so fort.

Und genau das ist die Gefahr aktuell. Wir igeln uns zwar ein, aber wir treffen uns in Kleingruppen. Heute mit Helga, Bernd und Karl zum Spieleabend, morgen mit der Familie zum Essen. Die Kinder treffen sich heute mit Eva und Finn und morgen mit Lena und Lars. Und diese Personen treffen sich auch wieder heute mit uns und morgen mit anderen. Und so kommt das Virus weiter.
Bis zu einem gewissen Grad soll es das sogar, langsam und halbwegs kontrolliert, damit wir mittelfristig so viele Menschen infiziert haben, dass eine gewisse Grundimmunisierung besteht und die Erkrankungsrate abnimmt. Aber noch sind wir am Anfang der Kurve, nicht in der Mitte und schon lange nicht an ihrem Ende. Und um die Mitte so flach wie möglich zu strecken und die Auslastung der Krankenhäuser so niedrig zu halten, dass auch immer noch Betten für weitere Patienten zur Verfügung stehen, müssen wir unsere realen Kontakte so knapp wie möglich halten – vor allem, solange es noch keinen wirksamen Impfstoff gibt. Und das wird noch recht lange dauern.

Aber wir haben ja andere Möglichkeiten. Telefoniert miteinander. Schreibt Mails. Oder Briefe, wenn Oma keine Mailadresse hat. Chattet, schreibt Whatsapp-Nachrichten und trefft euch online bei Discord oder in MMORPGs. Das macht nebenbei auch noch eine Menge Spaß.

Informiert euch, aber verbreitet keine Panik. Die Zeiten sind hart, aber die allermeisten von uns werden sie überstehen. Wenn wir besonnen handeln.

Ich zitiere mal eine Freundin: „Ich habe sie nicht gewählt, aber Angela Merkel ist meine Kanzlerin.“ Und ja, das, was sie gestern an uns alle gerichtet hat, war klug und besonnen. Wir sollten es uns zu Herzen nehmen.

Die Kieler Woche wurde auf Anfang September verlegt. Ich finde es auf der einen Seite gut, habe aber auf der anderen Seite die Befürchtung, dass das nicht weit genug gedacht ist. Vermutlich wäre es besser, sie 2020 ausfallen zu lassen. Wir werden sehen.

Meine persönlichen Erfolge heute:

  • Ich bin gut eine Stunde spazieren gegangen und habe den beginnenden Frühling genossen, ohne in direkten Kontakt mit anderen Menschen zu kommen
  • Ich habe fast meinen kompletten Wäscheberg abgearbeitet
  • Ich habe viel gelesen
  • Ich habe sehr viel mit der Katze geknuddelt (okay, das mache ich immer und sie ist ebenfalls immer der Meinung, dass es nicht genug war)
  • Ich habe eine Stunde mit einer lieben Freundin telefoniert
  • Ich habe ein bisschen Flöte gespielt

Und ansonsten habe ich das Faulsein genossen und ein bisschen online gezockt.

Wir sind nicht allein, auch wenn wir isoliert sind. Vergesst das nicht. Die Menschen, die wir lieben, sind in ihren Wohnungen und warten darauf, dass wir uns alle wiedersehen. Sorgen wir dafür, dass es dazu kommt.

Leben in Zeiten von Corona – Teil 1

Seit gut drei Monaten ist das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 beim Menschen im Umlauf – zur allgemeinen Entwicklung muss ich nichts sagen, es beherrscht eh seit Wochen auch in Deutschland alle Medien und Gespräche und ist Thema Nummer Eins.

Ich selbst arbeite in der Gastronomie (Hauptjob) und in einer Kletterhalle (Nebenjob). Die Kletterhalle musste bereits letzten Samstag auf unbestimmte Zeit schließen, das Café hat sehr eingeschränkt noch geöffnet.
Da unsere Küche auch diverse Kitas mit Mittagessen beliefert, war der erste heftige Schlag ins Kontor die Nachricht am vergangenen Freitag, dass die Kitas bis zu den Osterferien schließen. Bis auf einen sind alle Köche in Kurzarbeit geschickt worden, der Bäcker durfte vorerst auch bleiben. Montag und Dienstag gab es noch Mittagstisch, gestern wurde dann auch der Bäcker heimgeschickt, der verbliebene Koch übernimmt alle Aufgaben.
Unsere Aushilfen haben keine Schichten mehr, der Rest von uns wurde in zwei Teams eingeteilt, die wochenweise wechselnd arbeiten sollen – Kurzarbeit. Ich hatte gestern noch eine Schicht, theoretisch auch noch heute bis Freitag, die wurden aber alle ersatzlos gestrichen. Ab kommender Woche hätte ich eh drei Wochen Urlaub, bis dahin bummel ich Überstunden ab. Und danach: Kurzarbeit.
Gestern wurde unser Lager geräumt, sämtliche Frischware (Obst, Gemüse, Milchprodukte etc.) werden günstig verkauft. Die Kunden sind teilweise so unglaublich süß, dass es uns die Tränchen in die Augen treibt.
Seit heute dürfen wir nur noch liefern und außer Haus verkaufen. Ich war vorhin dort, um mir selbst noch ein paar Lebensmittel zu holen (und ja, wir haben auch Klopapier! ;D) und es fühlt sich seltsam an, wenn die Tische alle unbesetzt sind, kaum Menschen im Laden und die beiden verbliebenen Kolleginnen halt auch nicht wissen, wie es weitergeht. Sicher ist wohl nur, dass wir nicht gekündigt werden, solange es irgendwie geht. Das ist tröstlich.

Ich habe jetzt sehr viel Zeit, denn der geplante Kletterurlaub kann und wird nicht stattfinden. Ich räume derzeit eh endlich meine Hexenküche aus und werde damit die nächsten Tage verbringen, solange es noch keine Ausgangssperre gibt. Und ich werde mich mit langen Spaziergängen fit halten, denn noch hoffe ich, dass der Megamarsch Anfang Juni stattfindet – auch, wenn die Chancen rapide sinken.

Auch meine Wohnung kann etwas Aufmerksamkeit gebrauchen, die Katze eh (aber die hätte eh gerne am liebsten eine 24/7-Kuschelbetreuung, das werde ich nicht ganz schaffen) und dann sind da auch noch diverse Bücher, die endlich mal gelesen werden wollen. Und wer weiß, vielleicht schreibe ich auch endlich mal wieder selbst.

Gedanken mache ich mir um ein paar Menschen in meinem Umfeld, die aus dem einen oder anderen Grund zur Risikogruppe gehören und nicht alle so einsichtig sind, dass sie Menschenansammlungen meiden. Und ich gehe davon aus, dass es nicht mit zwei Wochen „Ruheverordnung“ getan ist. Aktuell wird der Peak der Infektionen für Juni erwartet, das heißt, dass wir eher noch sechs Monate mit deutlichen Einschränkungen im Sozialleben rechnen müssen. Und danach wird sich das Leben neu sortieren müssen.

Hoffen wir, dass dies keinen weiteren Nährboden für rechte Strömungen bietet. Toleranz und Zusammenhalt sind das Wichtigste. Teilt Klopapier und Nudeln mit euren Nachbarn, Freunde. Lasst euch nicht von billigen Meinungsmachern einfangen. Und bleibt gesund!

Rezension Letztendlich sind wir dem Universum egal und Letztendlich geht es nur um dich von David Levithan

Mehr zufällig bekam ich den zweiten Band in die Finger, las hinein, verstand, dass es einen ersten Teil gibt und lud ihn mir auf meinen Kindle. Und weil beide Bücher so eng miteinander verwoben sind, habe ich auch den zweiten heruntergeladen und gelesen und schreibe die Rezension nun für beide gemeinsam.

A. ist kein normaler Teenager, denn er hat keinen Körper. Oder anders: Er wacht jeden Tag in einem anderen Körper auf und übernimmt für 24 Stunden das Leben der anderen Person. Dennoch hat er eine eigene Persönlichkeit, ein eigenes Gedächtnis und eigene Gefühle -kurz: er ist ein vollständiger Mensch, nur ohne Körper.
Das ist für ihn okay, er kennt es nicht anders. Doch dann begegnet er Rhiannon und verliebt sich in sie. So sehr, dass er immer wieder ihre Nähe sucht und sich ihr offenbart. Und ihre anfängliche Skepsis wandelt sich, bis auch sie die Treffen mit A. herbeisehnt und sich wünscht, es gäbe eine Möglichkeit, mit ihm eine Beziehung zu führen. Aber wie soll das gehen, wenn er doch jeden Tag ein anderer ist?

A wechselt nicht völlig willkürlich den Körper. Eine Regel besagt, dass sein „Wirt“ immer etwa so alt ist, wie er selbst. Eine andere Regel besagt, dass er keine weiten Sprünge vollführt. Dies hat den Vorteil, dass er meistens in Rhiannons Reichweite bleibt (ich glaub, vier Stunden Fahrtzeit waren das Weiteste), aber auch den Nachteil, dass er nicht so einfach zurückkommt, wenn er mit seinem Wirt reist.

So absurd die Idee ist, so faszinierend ist die Geschichte. Ohne A’s Besonderheit wäre es einfach nur eine Teenager-Liebesgeschichte, die auch schon ihren Reiz hätte. So aber kommen haufenweise Aspekte dazu, die einem zeigen, wie selbstverständlich wir vieles nehmen, was es gar nicht ist.

Dazu kommt, dass David Levithan ohne jeden moralischen Zeigefinger Themen wie Untreue, Transgender, Homosexualität etc. behandelt. Seine Figuren sind auf angenehme Weise einfach sie selbst, manche dick, manche dünn, manche depressiv, manche narzisstisch, aber immer authentisch. Auch die Tatsache, dass nicht alle Amerikaner von weißen Europäern abstammen, bringt er völlig unaufgeregt unter.
Weil A. sich selbst als geschlechtslos betrachtet, kann man ihn vermutlich als genderfluid betrachten. Schön finde ich, dass Rhiannon gerade durch die ständig wechselnde äußere Gestalt A’s für sich selbst definiert, womit sie leben kann und womit nicht. Dass sie A immer akzeptiert, aber eben nicht jede seiner Hüllen gleich stark lieben kann. Es wäre mir heuchlerisch vorgekommen, wenn sie „ich liebe dich, egal wie die aussiehst, welchen Bildungsstand und welches Geschlecht du hast“ gesagt hätte. So ist auch hier wieder ein Coming of Age untergebracht, ohne dass in irgendeiner Weise gewertet wird.

Alles in allem mag ich die Bücher sehr und halte sie für sehr gute Jugendbücher. Und weil das Ende in beiden Büchern gleich offen ist, hoffe ich sehr auf eine Fortsetzung.

4,5 Sterne von mir.

Letztendlich sind wir dem Universum egal

  • Taschenbuch: 416 Seiten
  • Verlag: FISCHER Taschenbuch; Auflage: 8 (22. September 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3596811562
  • ISBN-13: 978-3596811564

Letztendlich geht es nur um Dich

  • Taschenbuch: 384 Seiten
  • Verlag: FISCHER Taschenbuch; Auflage: 1 (23. Mai 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 9783596035458
  • ISBN-13: 978-3596035458
  • ASIN: 3596035457

NaNoWriMo 2018 – ein Rückblick

Wie man unschwer erkennt, habe ich es nicht geschafft, jeden Tag zu bloggen. Genau genommen nicht mal jede Woche, sondern dann einfach gar nicht. Was vor allem daran liegt, dass ich dachte, ich würde häufiger bloggen und mich dann daran festgehalten habe, dass ich jetzt alles nachholen „muss“, was ich nicht erzählt habe.
Blödsinn. Auch Romane leben von den Auslassungen. Niemand will einen minutiösen 24-Stunden-Tagesbericht jeder einzelnen Figur. Auch unsere Leben sind nicht rund um die Uhr spannend. Also picken wir beim Erzählen das heraus, was interessant ist. Sowohl, wenn wir Freunden oder Familie erzählen, was wir erlebt haben, als auch beim Schreiben. Und genau das ist die wahre Kunst daran: Zu erkennen, welche Begebenheiten der Figuren wichtig sind und welche die Geschichte nicht voranbringen. Welche für die passende Stimmung sorgen und welche vom Geschehen ablenken. Ich habe sehr lange das Gefühl gehabt, dafür kein Gespür zu haben. Bei Kurzgeschichten war es einfacher, die sind eh die verdichtete Essenz einer Begebenheit. Aber ein Roman ist nicht die Aneinanderreihung von Kurzgeschichten, sondern funktioniert völlig anders.

Und all diese Dinge wusste ich, habe sie aber in diesem NaNo erlebt. Anhand meines Romans. Wie man am Counter rechts auf dieser Seite erkennen kann, habe ich die 50k nicht erreicht, aber ich ärgere mich nicht darüber. Ich habe nicht nur mehr an einer zusammenhängenden Geschichte geschrieben als in den letzten acht (?) Jahren, sondern auch mehr, als in den letzten fünf Jahren überhaupt. Und ich habe die Geschichte nicht gegen die Wand gefahren. Es gibt Szenen, die rausfliegen werden, welche, die dringend überarbeitet werden müssen und eine Figur, die erneut eine Generalüberholung benötigt, aber all diese Dinge weiß ich und kann sie umsetzen. Ich habe in diesem November nicht nur das Schreiben an sich wiedergefunden, sondern anscheinend auch gelernt, wie man Geschichten überarbeitet, um sie besser zu machen. Wie man mittendrin den Kurs ändert, damit am Ende alles passt, ohne dass man die gesamte Geschichte verändert. Und ich weiß, dass ich es doch kann: Schreiben. Geschichten erfinden, die vielleicht sogar mal jemand lesen mag. Gerne liest. Das ist eine wunderbare Erkenntnis!

Ich werde den Roman in aller Ruhe fertig schreiben und so überarbeiten, dass er rund wird. Vielleicht brauche ich dafür drei Monate, vielleicht ein Jahr. Es ist nicht wichtig – wichtig ist nur, dass ich das Schreiben wiedergefunden habe. Und dass meine Figuren lebendig geworden sind und mir gezeigt haben, dass nicht nur das echte Leben selten so verläuft wie geplant, sondern auch das erfundene. Ich kann als Autor noch so gut planen – wenn ich mich sklavisch an den Plan halte, anstatt der natürlichen Entwicklung des Romans zu folgen, wird er aller Voraussicht nach sehr statisch werden, anstatt sich organisch und lebendig anzufühlen, als schaue man beim Lesen echten Menschen beim Leben zu.

Schreiben bedeutet, der Chronist einer Geschichte zu sein

Ich war ja immer ein wenig neidisch, wenn andere sagten, dass sie eigentlich nur aufschreiben, was passiert, während die Figuren durch ihre Welt stolpern. Ich hatte immer mal Momente, in denen ich in einen solchen Schreibrausch geraten bin, aber viel häufiger hatte ich das Gefühl, meine Figuren zu etwas zwingen zu wollen, das ihnen gar nicht recht liegt.
Dieses Mal ist es anders, bisher jedenfalls. Ich habe bei allen bisherigen Szenen das Gefühl, quasi hinter der Kamera zu stehen und draufzuhalten, während meine Figuren nicht mal ein Drehbuch haben, sondern allenfalls grobe Anhaltspunkte. Und es funktioniert erstaunlich gut!
Da ist plötzlich ein Mitbewohner von Helen aufgetaucht, der einer ihrer engsten Freunde ist und den sie viel zu selten sieht, weil beide ständig auf Achse sind. Ein kleiner Twist aus der Plot-Methode hat heute zu einer großartigen Kennenlernszene zwischen Helen und Hannes geführt, die weniger von Streit geprägt war, als ich befürchtet habe, aber sie sind definitiv auch nicht als Freunde auseinandergegangen. Da steckt noch jede Menge Potential drin! 🙂
Ich habe insgesamt schon fast 6.000 Wörter geschrieben und freue mich trotz akuter Müdigkeit auf die kommenden Tage. Auf Zweifel, Streit, Versöhnung und jede Menge Strand. Wie gut, dass sowohl Helen und Fily als auch Hannes am Meer leben. Blöd, dass es nicht das gleiche ist.
Morgen habe ich weniger Zeit zum Schreiben, mal schauen, was ich dennoch schaffe.

NaNo Tag #1: Wir lernen ein paar Figuren kennen

Gestartet bin ich mit vielen Mitautoren aus dem Tintenzirkel um Mitternacht. Nach zwei Einheiten mit je 20min hatte ich 1321 Wörter und bin ins Bettchen gekippt.
Heute morgen fand ich das nachts Geschriebene gar nicht so gruselig und habe heute im Laufe des Tages noch ein paar Einheiten eingelegt, so dass ich den Tag nun mit 3.819 Wörtern beschließe und damit einen kompletten zweiten Tag „grüngeschrieben“ habe.
Die Erfahrung lehrt, dass es gut ist, sich am Anfang einen Puffer zu erschreiben, weil man immer Tage hat, an denen man nicht zum Schreiben kommt. Sei es, weil das LebenTM dazwischenkommt, sei es, dass man so starke Zweifel an seinem Roman hat, dass man einfach eine Pause braucht. Es gibt Tage, an denen man weniger als das Soll von 1.667 Wörtern erreicht, so dass auch diese gepuffert werden müssen. Und es ist immer besser, den Puffer vorneweg zu schaffen, als im Nachhinein verzweifelt zu versuchen, den Wordcount wieder zu erreichen.

Bisher habe ich Hannes und seinen dreibeinigen Hund Streuner ein bisschen besser kennengelernt, außerdem haben Helen und Fily sich getroffen und Helen darf mit ihrem Lieblingsmitbewohner ein Bier auf der Dachterrasse trinken, bevor sie in die Bretagne startet. Das wird spannend, und ich befürchte, dass ihr alter, treuer Bulli irgendwo auf der Strecke ein Problem bekommen wird. Möglicherweise ausgerechnet irgendwo im Nirgendwo in der Nähe von Hannes‘ Hütte.

NaNoWriMo 2018: Wann, wenn nicht jetzt?

Das letzte Mal habe ich 2015 am NaNoWriMo teilgenommen, aber sehr schnell aufgegeben. Wenn man selbständig ist und die Hauptsaison von Oktober bis Dezember geht, dann schafft man es nicht mehr, „nebenbei“ noch einen Roman zu schreiben.
Nun habe ich mein Leben umgekrempelt, meine Selbständigkeit an den Nagel gehängt und bin aktuell in einem Zwischenzustand, der mir erlaubt, etwas mehr Zeit für mich zu nutzen. Und da so langsam auch die Kreativität wieder anklopft, dachte ich „schreib mal ein nettes kleines Spaßprojekt zum Warmwerden, bevor Du Dich an irgendwelche Monster-Epen wagst“. Gesagt, getan.
Zwei Figuren waren schon vor einer Weile da, die dritte kam etwas später und bekam in den letzten Tagen eine Geschlechtsumwandlung (hat ihr gut getan, wirklich!), und nun plotte ich mit der Ideen-Matrix fleißig herum, um nicht völlig ins Blaue zu schreiben.
Klar, dass ich mir trotzdem einiges an Recherchen aufgehalst habe, oder? Aber das wird schon, notfalls sind da ganz viele Gurkensalate (Platzhalter) im Text, um die ich mich dann nach dem NaNo kümmern muss.

Worum es geht?
Nun ja: Um Selbstfindung, Liebe, Konventionen und ihre Aufweichung, um Liebe, Einsamkeit und das Leben.
Oder konkreter: Um drei sehr unterschiedliche Menschen, die zueinanderfinden und sich nicht sicher sind, ob und in welcher Konstellation sie nun eigentlich zueinander stehen. Sind sie drei Freunde, ein Paar mit einem Freund, zwei Paare mit einer Doppelbelegung oder ein „Threesome“? Und ist es wirklich wichtig, dass sie sich ein Etikett aufkleben?
Dazu gibt es ein bisschen hübsche Landschaften, die Auseinandersetzung mit der Rolle, quasi in zwei unterschiedlichen Traditionen aufgewachsen zu sein, einen dreibeinigen Hund namens Streuner und das Meer. ❤

Auf geht es, das wird spannend! Der Ticker da rechts auf der Seite sagt euch, wie weit ich bin. Anfeuern ausdrücklich erlaubt! 🙂

*pustet Staub vom Blog*

Lange Zeit dachte ich, ich hätte nichts mehr zu schreiben, nichts mehr zu sagen. Aber das stimmt so natürlich nicht, ich war nur durch zu viele andere Dinge in meiner Kreativität blockiert.
Da ich so langsam mein Leben aufräume und wieder mehr zu mir selber finde, kommen plötzlich auch wieder ein paar Plotbunnies um die Ecke gehoppelt. Das eine kam vor einigen Monaten und brachte eine Figur mit mit den Worten „schau mal, das ist Helen. Sie hätte gerne eine Geschichte“. Danke, liebes Bunny, aber das war dann doch arg wenig, oder? Okay, dann kam Felix, der kaum etwas über sich preisgeben wollte, und beide sagten mir, dass da noch jemand ist, der sich aber erstmal komplett versteckte.
Also skizzierte ich die beiden in einem frischen Scrivener-Projekt und legte dieses mit dem unglaublich originellen Arbeitstitel „voll intellektueller Titel für einen Liebesroman“ ab. Nur – ich schreibe gar keine Liebesromane. Zumindest keine klassischen. Die eine oder andere Liebesgeschichte hat es bisher irgendwie immer in meine Geschichten geschafft.
Na gut, so weit erstmal, es blieb beim Fragment.

Dann, vor etwa drei Wochen, traf mich eine kurze Nachricht im Internet mit voller Wucht, kippte eine Ladung Monsterplotbunnies über mir aus und sagte: „Hey, schreib doch mal ein Weltraumepos über ein Generationenschiff!“ Klar, sagte ich. Wo ich ja so viel Ahnung davon habe. Aber es ließ mir keine Ruhe, und so fand ich mich nicht nur abends lange mit einer Freundin, bei der ich das Wochenende verbrachte, ins Gespräch über das Projekt vertieft wieder, sondern auch am nächsten Morgen mit einem Kaffee und meinem BuJo in ihre Wohnzimmer, tief in einen sehr bequemen Sessel vergraben und die sprudelnden Ideen festhaltend. Gleichzeitig chattete ich mit meinem Freund per Whatsapp, der genauso angefixt war und mir fleißig mit weiteren Ideen und Links aushalf. Danke, das war toll und darf gerne wiederholt werden! ❤
Geträumt habe ich auch mehrfach von meinem Projekt, was mir meines Wissens vorher so noch nie passiert ist.
Da dieses Mammutprojekt aber irgendwie sehr viel Recherche benötigt und ich gerne vorher überhaupt wieder ins Schreiben kommen möchte, im Tintenzirkel die Vorbereitungen für den NaNo schon seit Wochen laufen (und ich noch immer nicht ganz sicher bin, ob das für mich eine gute Idee ist) und mich gestern wieder meine anderen Figuren ansprangen – dieses Mal sogar mit Person drei im Schlepptau -, wird das wohl vorgezogen.

Aktueller Stand der Dinge: Neben der ersten Figur (Frau) und der zweiten (Mann) gibt es jetzt noch einen Mann. Dafür teilte mir Figur zwei mit, dass sie auch eine Frau ist, beide Damen teilten mir mit, dass sie Gendereinteilungen und Heterosexualität für überholt halten und der Kerl, der anscheinend in Frankreich am Meer lebt, sagte heute morgen folgenden Satz:

„Menschen“, sagte er, ohne den Blick vom Meer abzuwenden, „Menschen sind das Schlimmste, was dir passieren kann.“

Da bin ich ja mal gespannt, was er noch zu berichten hat! Und wie die drei zusammenfinden. Und was das am Ende gibt. Aber das ist ja das schöne, wenn man einen neuen Roman beginnt: Es gibt erstaunlich viel zu entdecken!

Rezension Die Spiegel von Kettlewood Hall von Maja Ilisch

Vor ein paar Jahren bekam ich Das Puppenzimmer von Maja Ilisch in die Finger und habe es mit wachsender Begeisterung gelesen. Als ich also mitbekam, dass ein neuer Gaslicht-Roman von ihr erscheint, musste ich ihn unbedingt haben (das war das Buch, das ich bestellt habe, um dann gleich zwei weitere mitzunehmen bei der Abholung – ja, ich kaufe Bücher nach wie vor gerne im örtlichen Buchhandel).

Wie auch im ersten Roman begeistert mich hier die Sprache ganz besonders. Maja Ilisch gelingt es, ihrer Protagonistin eine authentische Stimme zu verleihen, die einem das Gefühl gibt, wirklich einer Vierzehnjährigen aus dem späten neunzehnten Jahrhundert zuzuhören, ohne dass es ins Kindliche oder Lächerliche abrutscht. Das alleine macht das Buch zu einem wahren Lesegenuss.

Worum es geht:
Die vierzehnjährige Iris Barling stammt aus sehr einfachen Verhältnissen. Sie ist das uneheliche Kind eines ehemaligen Hausmädchens, das sich und ihre Tochter nun mit der Arbeit in einer Spinnerei über Wasser hält. Sobald Iris alt genug ist, geht sie ebenfalls in der Fabrik arbeiten, und dass die Großmutter zu den beiden Frauen zieht, macht die Situation keinesfalls besser.
Bei einem Unfall in der Fabrik verliert Iris zwei Finger, dennoch geht sie tapfer weiter arbeiten – was soll sie auch anderes tun?
Doch dann stirbt ihre Mutter und Iris muss sich und die Großmutter durchbringen. Zudem wird ein neues Gesetz erlassen, das Kindern nicht erlaubt, länger als acht Stunden zu arbeiten und ihnen zudem zwei Stunden Unterricht am Tag verordnet. Iris sitzt wie alle anderen die Zeit völlig übermüdet im Klassenzimmer ab, lernt mühselig ein wenig Lesen und schreiben, während Handarbeiten ihr aufgrund ihrer verkrüppelten Hand sehr schwer fallen.
Eines Tages erinnert sie sich wieder an die alte Schachfigur, die sie als Kind bei ihrer Mutter fand. Und mit Hilfe ihres Lehrers lernt sie nicht nur die Grundregeln des Schachspiels, sondern findet auch heraus, wo ihre Mutter damals angestellt war. Sie will weg aus Leeds, weg von ihrer garstigen Großmutter und versuchen, ihren Vater zu finden. Und das Geheimnis ihrer Herkunft scheint in Kettlewood Hall zu liegen.

Iris schafft es mit Hilfe ihres Lehrers, dorthin zu kommen und sie wird empfangen wie die längst verlorene Tochter. Nach und nach muss sie erkennen, dass nichts von dem, was sie hier sieht und erlebt, wahr ist, dass alle ihre Geheimnisse und gute Gründe haben, diese vor Iris zu verbergen. Und abgesehen von den zwei riesigen, unheimlichen Hunden, die Iris schon immer in ihren Träumen begegnet sind und denen sie in Kettlewood Hall nun leibhaftig gegenüber steht, lebt etwas in den Spiegeln, nicht greifbar, doch immer aus dem Augenwinkel zu sehen.
Iris beschließt, die Geheimnisse zu lüften und sich auf das Spiel einzulassen, das fünfzehn Jahre lang nur auf sie gewartet zu haben scheint.

Der Roman ist intelligent komponiert und gibt nach und nach erst Preis, worum es wirklich geht. Dass die Perspektive durchgehend auf Iris liegt, macht es besonders vergnüglich, mit ihr mitzuraten, was denn nun wirklich los ist und warum sich die Bewohner Kettlewood Halls so seltsam verhalten. Die vielen kleinen und größeren Anspielungen auf Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“ machen den Roman zu einer Hommage an ein Buch, das nicht nur (siehe Nachwort / Danksagung) Maja Ilisch schon sehr lange begleitet, sondern auch mich seit meiner frühesten Kindheit fasziniert hat – so sehr, dass ich vor vielen Jahren ein Seminar in der Anglistik über dieses Buch belegt habe und fasziniert war und bin, wie vielschichtig es wirklich ist. Diese Vielschichtigkeit ist auch Maja Ilisch in ihrem Roman gelungen und ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, weil ich immer tiefer hineingezogen wurde und unbedingt wissen wollte, wie sich am Ende nun alles auflöst.
Dass es keine „Deus ex machina“-Lösung gibt, gefällt mir tatsächlich sehr gut. So kommt das Buch zu einem Ende, lässt dem Leser aber genug Spielraum, die Geschichte in seinem Kopf weiterzuspinnen, ohne dass es lose Fäden gibt, deren Auflösung es noch bedurft hätte.

Tatsächlich mal wieder ein Roman, der von mir ohne Zögern fünf Sterne erhält.

Maja Ilisch: Die Spiegel von Kettlewood Hall
Knaur 2018
ISBN: 9-78-3-426-52078-9
€ 9,99 (D) / €10,30 (A)